Trossinger Zeitung

Angeklagte­r sieht sich als Opfer

Gutachter sieht Risiko, dass Trossinger erneut eine ähnliche Tat begehen könnte

- Von Moni Marcel

TROSSINGEN/ROTTWEIL - Dr. Charalabos Salabasidi­s ist ein erfahrener Psychiater, der schon zahlreiche Prozesse als Gutachter begleitet hat. Der Leiter der Diakonie-Klinik Mosbach tut dies auch beim Prozess gegen einen 34-jährigen Mann aus Trossingen, der sich derzeit vor dem Rottweiler Landgerich­t wegen versuchten Totschlags verantwort­en muss: Er soll einen Nachbarn und dessen zwei Söhne mit einem Messer und einer Brechstang­e verletzt haben, den Vater lebensgefä­hrlich. Am Freitag ging es unter anderem um die Frage, ob der 34-Jährige bei der Tat schuldund steuerungs­fähig war.

Nach eigenen Angaben soll er am 28. September letzten Jahres in dem Mehrfamili­enhaus am Solweg drei bis vier Gläser Wodka getrunken und zudem Marihuana und Amphetamin­e genommen haben. Vom Alkohol fand sich allerdings in der Blutprobe, sechs Stunden nach der Tat entnommen, nicht mehr viel: Die Berechnung des Psychiater­s landete bei 0,4 Promille. Dass Drogen im Spiel waren, beweist ein Haartest, für den dem Angeklagte­n Brusthaare entnommen wurden – auf dem Kopf trägt er keine.

Seine Psyche scheint einigermaß­en in Ordnung zu sein, Gutachter Salabasidi­s hat unter anderem 567 Fragen ausgewerte­t, die der 34-Jährige beantworte­t hat. Und sich natürlich lange mit ihm unterhalte­n, gleich drei Mal hat er ihn im Gefängnis besucht und gründlich untersucht. Eine Schizophre­nie, eine spezifisch­e Persönlich­keitsstöru­ng konnte er nicht feststelle­n. Salabasidi­s betonte aber, dass eine solche Untersuchu­ng mit Maske schwierig sei, da man ja die Mimik nicht sehen könne. Der Angeklagte sei respektvol­l und freundlich gewesen, so der Psychiater, allerdings habe er keinerlei Reue oder Empathie für die Opfer gezeigt. „Er hing an dem Aspekt der Notwehr“, so der Psychiater. Er sehe sich als Opfer, das zu Unrecht in Haft sitze und nächste Woche auch wieder entlassen werde. Das hatte der 34Jährige auch während seiner Aussage wiederholt betont, nämlich, dass er von den drei Nachbarn mit einer Pistole

angegriffe­n worden sei, darum habe er sich zur Wehr setzen müssen, er habe zeitweise gedacht, sein Leben sei jetzt zu Ende.

Zurück zu seiner Psyche: Leichte depressive Anteile hat der Gutachter gefunden, hingegen keine Anzeichen auf Fremdsteue­rung, also dass der 34-Jährige beispielsw­eise unter Halluzinat­ionen leidet, Stimmen hört oder ähnliches. Die Erklärung dafür, dass der Mann wiederholt nachts seine Mitbewohne­r um den Schlaf gebracht hat, indem er gegen Heizungsro­hre klopfte oder Löcher in Wände und Decke bohrte, sei logisch gewesen, so Salabasidi­s. Was genau das bedeutete, ließ er offen.

Der 34-Jährige habe bei den Untersuchu­ngen großen Wert darauf gelegt, einen guten Eindruck zu hinterlass­en und betont, er habe bei dem Messerangr­iff darauf geachtet, dass es zu keiner tödlichen Verletzung komme. „Aber ich weiß nicht, ob er diesbezügl­ich bewandert ist.“Salabasidi­s betonte, dass der Mann auf jeden Fall schuldfähi­g war, als er die Tat beging. Das zeige auch das „Nach-Tat-Verhalten“: Da soll er in seine Wohnung zurückgega­ngen sein, und dann vom Fenster aus die Frau des Schwerverl­etzten, die sich im Hof um ihn kümmerte, beschimpft und bedroht haben, sie sei als nächstes dran.

Das Risiko, dass er wieder eine solche Tat begehe, sei da, so der Psychiater, die Gefährlich­keit schätzte er „moderat bis hoch“ein. Von einer Absicht, sich das Leben zu nehmen, wie der 34-Jährige es ausgesagt hatte – er habe sich die Rottweiler Hochbrücke runter stürzen wollen – sei nicht die Rede gewesen. Der Vorsitzend­e Richter Karlheinz Münzer fragte nach: Ob der Angeklagte therapieba­r sei? In einer Entziehung­sanstalt?

Das bejahte der Gutachter, ein bis anderthalb Jahre seien denkbar, wobei Münzer selbst einschränk­te: „Es wird natürlich schwierig, wenn sich jemand als Opfer sieht, dann zu sagen: Ich brauche eine Therapie.“

Am Mittwoch, 4. Mai, wird der Prozess weitergehe­n, dann mit den Plädoyers der Staatsanwä­ltin und des Verteidige­rs, anschließe­nd soll das Urteil fallen.

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