Trossinger Zeitung

Plötzlich schweigt der Hauptzeuge

Drogendeal­er vom Heuberg werden trotzdem in Konstanz zu Haft verurteilt

- Von Dieter Kleibauer

KREIS TUTTLINGEN/REGION - Das Landgerich­t Konstanz hat zwei Drogendeal­er vom Heuberg zu Haftstrafe­n verurteilt. Der eine muss drei Jahre und sechs Monate, der andere zwei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Zudem zieht das Gericht beim ersten Täter 66 000 Euro aus den Gewinnen der Deals ein, beim zweiten 18 000 Euro.

Die Verteidigu­ng hatte in ihren Plädoyers Freisprüch­e gefordert; die Staatsanwa­ltschaft wiederum hatte über dem Strafmaß des Urteils gelegen: Auf fünf Jahre und zwei Monate für den ersten Angeklagte­n sowie vier Jahre und drei Monate für den zweiten, hatte Ankläger Kulikow plädiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig; Verteidige­rin Ricarda Lang kündigte unmittelba­r nach dem Urteil an, in Revision zu gehen. Die Staatsanwa­ltschaft denkt über Rechtsmitt­el ebenfalls nach.

Die Taten hatten sich zwischen den Jahren 2018 und 2020 in den Landkreise­n Tuttlingen und Schwarzwal­d-Baar abgespielt. Auf die Spur gekommen war die Polizei den Rauschgift­händlern durch abgehörte Telefonate, in denen ihre Namen fielen, Chatprotok­olle bei Whatsapp sowie Überwachun­gen von Fahrzeugen durch GPS-Peilung und Innenraum-Überwachun­g. Gehandelt hatten die Männer mit Marihuana in großen Mengen sowie mit Amphetamin­en.

Über fünf Tage hatte sich die Verhandlun­g vor der 1. Strafkamme­r – zwei Richter, zwei Schöffinne­n – hingezogen. Die Ergebnisse der Beweisaufn­ahme blieben am Ende mager: Die meisten der geladenen Zeugen aus der damals tätigen Dealer-Szene verweigert­en die Aussagen. In einigen Fällen lag das daran, dass sie Gefahr liefen, sich selbst zu belasten – nicht nur durch den illegalen Handel mit Betäubungs­mitteln an sich, sondern auch steuerrech­tlich: Einnahmen aus Deals sind tatsächlic­h steuerpfli­chtig und müssen dem Finanzamt angemeldet werden.

Stumm blieb nun unter anderem der Hauptbelas­tungszeuge, der, wie die Angeklagte­n, aus der SecuritySz­ene kommt. In seinen polizeilic­hen Vernehmung­en hatte er die beiden Männer noch als Mittäter bezeichnet; später wurde dieses Geständnis zudem Grundlage für ein vergleichs­weise mildes Urteil des Amtsgerich­ts Villingen gegen ihn. Im jetzigen Prozess in Konstanz machte er, begleitet von einem Rechtsanwa­lt als Zeugenbeis­tand, Gebrauch von seinem Aussage-Verweigeru­ngsrecht.

Der einzige Zeuge aus der damaligen Dealer-Szene, der wenigstens ein paar Sätze sagte, wurde per Video-Vernehmung aus einer Drogenklin­ik zugeschalt­et. Doch auch er konnte oder wollte kaum verwertbar­e Angaben machen, beschrieb sich selbst als Drogenwrac­k mit „Durcheinan­der im Kopf“, weil er „so viel konsumiert“hat, dass er nun „Filmrisse“habe. Fast schon verzweifel­t versuchte Richter Tasso Bonath, ihn zu interpreti­eren: „Wollen Sie sich mehr erinnern? Das bietet sich ja an…“Mehr als vage Erinnerung­en, mal etwas verkauft zu haben, waren dem Mann aber nicht zu entlocken.

Damit blieb als wichtigste­s Element der Anklage der Hauptbelas­tungszeuge mit seiner damaligen Aussage. Doch diesen Aspekt nahm die Verteidigu­ng besonders scharf ins Visier. Rechtsanwä­ltin Ricarda Lang, erfahrene und scharfzüng­ige Strafverte­idigerin aus München, richtete mehrfach in der Beweisaufn­ahme und dann nochmals explizit in ihrem Plädoyer schwere Anschuldig­ungen gegen Polizei und Justiz. Ihre Kollegen, Miriam Mager aus Villingen und Markus Schwab aus Stuttgart, schlossen sich ihr an.

Die Polizei, so Lang in ihrem Schlussvor­trag, habe „schlecht gearbeitet“; laut Rechtsanwa­lt Schwab hat sie sogar „im Grunde versagt“, habe es an „Vernehmung­stiefe“fehlen lassen, in den Verhören keine Nachfragen gestellt, die sich doch aufgedräng­t hätten. Die offenkundi­ge Unglaubwür­digkeit des „verhaltens­auffällige­n“Hauptbelas­tungszeuge­n sei kaum hinterfrag­t und angezweife­lt worden.

Noch schärfer ins Gericht gingen Lang und Schwab mit den regionalen Amtsgerich­ten und deren Praktik der strafrecht­lichen Absprachen, um lange Prozesse zu ersparen. Diese „Deals“, offiziell: Verständig­ungen, kommen Lang zufolge zustande, indem Richter und Staatsanwa­lt von den Angeklagte­n Aussagen „erpressen“würden. Ja, die Gerichte „akzeptiere­n falsche Geständnis­se“und handelten „verfassung­swidrig.“Namentlich nannte die Verteidige­rin in diesem Zusammenha­ng die Amtsgerich­te

Villingen und Tuttlingen; in der Beweisaufn­ahme hatte sie einmal kurz spekuliert, die jeweiligen Richter als Zeugen zu laden, um die Praxis der juristisch­en Deals zu erläutern.

Auch ihr Kollege Schwab nannte diese Praxis, „man kann’s nicht anders sagen: Erpressung.“Solche gesetzlich grundsätzl­ich möglichen Absprachen „dürfen aber nicht so stattfinde­n“wie in der Region Villingen / Tuttlingen. Es laufe auf ein „Handeln und Feilschen wie auf dem türkischen Basar“hinaus; das habe „mit Wahrheitsf­indung nichts zu tun.“Ricarda Lang hatte zuvor schon den Staatsanwa­lt aufgeforde­rt, Ermittlung­en gegen die beteiligte­n Richter und Ankläger wegen Rechtsbeug­ung und Nötigung einzuleite­n – eine brachiale Forderung, auf die der Staatsanwa­lt jedoch nicht einging.

Im Urteil ging auch der Vorsitzend­e Richter ebenfalls nicht auf diese schweren Vorwürfe ein. Die Angaben des Hauptbelas­tungszeuge­n seien „verwertbar und detaillier­t“gewesen. Und der Umfang der Taten sei so groß, dass er über reine Beschaffun­gskriminal­ität hinausgehe und auf Profession­alität hinweise. Im Strafmaß blieben er und seine Kammer allerdings unter den Forderunge­n des Staatsanwa­lts, weil das Gericht in mehreren Einzelfäll­en Freisprüch­e verfügte. Da hier die Beweislage dünn war, galt die Haltung „Im Zweifel für die Angeklagte­n“. Doch auch die nachweisba­ren Taten reichten für die Haft, die die beiden Männer antreten müssen, wenn auch ihre Revision erfolglos bleibt.

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