Wenn die Hexen mit dem Teufel tanzen
Die Wirklichkeit war grausam, der Mythos aber hat großen Unterhaltungswert – Rund um den Brocken im Harz ist zur Walpurgisnacht der Teufel los
Wenn dichte Nebelschwaden über den Brocken ziehen wie so oft und Hexen ums Feuer tanzen, dann ist Walpurgisnacht, jene magische Nacht vom 30. April auf den 1. Mai. Oberhexe, Teufel, Scharfrichter und der Chef des Brockenhauses kennen sowohl Mythos als auch Unterhaltungswert.
Wenn es nur so einfach wäre! Als Mephisto in Johann Wolfgang von Goethes wohl größtem Werk in der Hexenküche einen Verjüngungstrank für Faust brauen lässt, zitiert die Hexe das Hexen-Einmaleins:
Seit Goethe im „Faust“die Hexensage aufgegriffen hat („Die Hexen zu dem Brocken ziehn …“), ist der Brocken zum Kultberg geworden und der Harz zum Hexenland. Hexen gehören bis heute wie selbstverständlich in die Region. Und wer heute in den Harz reist, will nicht nur Natur genießen, sondern auch den Hexentanzplatz, das auf dem Kopf stehenden Hexenhaus sowie möglichst auch das Hexenspektakel vom 30. April auf den 1. Mai erleben: die Walpurgisnacht.
„Jede Stadt und jedes Dorf im Harz feiert die Walpurgisnacht mit Umzügen und Kostümfesten. Auf dem Brocken selbst wird keine Walpurgis mehr gefeiert, da der Berg im Zentrum des Nationalparks Harz liegt“, sagt Christoph Lampert, der Chef im Brockenhaus, das ganz oben auf dem Brocken steht.
Die dortigen Dauerausstellungen erläutern historische Hintergründe, denn die schrecklichen mittelalterlichen Hexenverfolgungen und Hexenprozesse sind bei den Festen kein Thema. Auch auf das Ritual der Verbrennungen von Hexenpuppen wird verzichtet. Es symbolisierte lange den Sieg des Guten über das Böse und des Frühjahrs über den Winter, doch der Brauch erinnerte zu sehr an die Zeit der mittelalterlichen Inquisition. „Heute geht es bei uns ausschließlich um das Brauchtum“, sagt Oberhexe Antje Wedde von der Wolfshäger Hexenbrut und – keine Frage – „Wir sind Unterhaltungshexen“, die sich verkleiden, eine spitze, krumme Nase aufsetzen und mit hoher, giftiger Stimme ihre Hexensprüche zum Besten geben – vor bis zu 10 000 Zuschauern. Im Internet kam die Wolfshäger Hexenbrut sogar auf 145 Millionen Klicks. „Die Choreografie, die Texte – alles ist hausgemacht“, sagt die Oberhexe. Manchmal macht sie auch Kräuterwanderungen mit Gästen und klärt über Walburga auf, die keine Hexe, sondern ein Äbtin war und heiliggesprochen wurde.
Faust sagt dazu in Goethes Tragödie: „Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.“Die Alte, die Zauberin, die Magierin: Es gibt einige Synonyme für Hexe, die wohl stets eine Wissende war, mit Kräutern heilen und vielleicht nicht hellsehen, aber doch Zusammenhänge deuten konnte. Wissen aber beanspruchte einzig und allein der Klerus für sich. Deshalb wurden wissende Frauen als Hexen dämonisiert und verfolgt. „Sie wurden befragt“, sagt der Scharfrichter mit zynischem Blick und klärt auf:
„Der Scharfrichter war im 16. und 17. Jahrhundert für die Folter zuständig. Er legte Daumenschrauben an, quälte an der Streckbank oder folterte mit Pech“, sagt Stadtführer Wilfried Ristau in historischem Scharfrichtergewand, mit Schwert und Leiterwägelchen voller Folterinstrumente. So ausgestattet zeigt er Interessierten sein Goslar zur Hexenzeit.
Mit dem Schwert wurde die rechte, die gute, Hand abgeschlagen, sodass frau nicht mehr schwören konnte. Viermal Sieden gab’s für Falschaussagen.
Sogar Hebammen wurden als Hexen diffamiert und allein in Goslar in jener Zeit mehr als 50 Frauen als Hexen verbrannt. So erging es vielen wissenden Frauen im ganzen Land, besonders aber im Harz, einem Schwerpunkt der Hexenverfolgung.
Für ganz Europa gehen Historiker von rund 50 000 Frauen aus, die dämonisiert und als Hexen verbrannt wurden. Auch der Marktplatz von Wernigerode war ein Schauplatz von Verbrennungen. Im Jahr 1528 brannte sogar die ganze Stadt. Am Marktplatz blieb nur ein Haus verschont, das heutige Hotel „Gothisches Haus“. Dort diniert man abends fein – mit Blick auf den Markt- und früheren Verbrennungsplatz sowie das vielleicht schönste Rathaus der Republik, das 1545 neu errichtet wurde.
so sang Liedermacher Konstantin Wecker Ende der 1970er-Jahre in seinem „Hexen-Einmaleins“und sah sogar Parallelen zu seiner Zeit:
„Immer noch werden Hexen verbrannt Auf den Scheiten der Ideologie. Irgendwer ist immer der Böse im Land Und dann kann man als Guter und die Augen voll Sand,
In die heiligen Kriege ziehn.“
Dem Volksmund nach trafen sich die Hexen zunächst am Hexentanzplatz in Thale und ritten dann auf ihren Besen hinauf zum Brocken, um mit dem Teufel zu tanzen: „Die schönste Hexe machte der Teufel jedes Jahr zur Frau. Doch so manche
Hexe wollte ihn gar nicht“, sagt Ulrich Behnecke. „Jede seiner Frauen musste dem Teufel ja die Füße küssen, die er 300 Jahre lang nicht gewaschen hatte.“Er lacht. Auch an der Teufelsmauer von Blankenburg geht es mit Teufel Behnecke im schwarzen Umhang und mit roten Hörnchen um Unterhaltung. Wie auch beim „virtuellen Hexenflug auf dem Besen hinauf zum Brocken in unserer Greenbox“, sagt Brocken-Chef Lampert. „Der Besenflug ist seit 20 Jahren das Highlight im Brockenhaus.“
Der Brocken erhebt sich bis auf 1142 Meter, über der Baumgrenze ist er die Hälfte des Jahres von Nebel und Wolken eingehüllt. Er ist der mächtigste Berg und das Zentrum im Nationalpark Harz sowie der am nördlichsten gelegene Eintausender Deutschlands – lange war er in DDROst und BRD-West geteilt. Das Klima dort oben ähnelt dem von Island, Grönland und Sibirien. An hundert Tagen jährlich gibt es Eis, das Jahresmittel liegt bei 2,9 Grad. „90 Prozent aller Winde erreichen den Brocken aus Westen. Die Niederlande und Niedersachsen haben keine Berge, die den Wind bremsen könnten und somit trifft jeder Sturm ungebremst als erstes direkt auf den Brocken“, erklärt Christoph Lampert. Diese Bedingungen sorgen im nördlichsten deutschen Mittelgebirge für diese bizarre Landschaft aus Moos, Sträuchern, Krüppelkiefern und abgestorbenen Bäumen. „An 165 Tagen sieht man auf dem Brocken ganztägig nichts“, sagt Lampert. Bedingungen wie gemacht für Legenden und Sagen, Teufel und Hexen.