Krach macht krank
Corona und Krieg verändern die Wahrnehmung von Lärm – Unliebsame Geräusche können auf Dauer der Gesundheit schaden
Ob knatternde Motoren, kräftiges Geschrei oder laute Maschinengeräusche – besonders in der Stadt ist der Alltag geprägt von vielen Klängen, die nicht immer angenehm sind. Aber auch streitende Nachbarn oder rücksichtslose Kollegen können auf Dauer zum Problem werden. „Lärm definiert sich durch ein Geräusch, das nicht mal unbedingt laut sein muss, jedoch unerwünscht ist. Man empfindet es als unangenehm, man will sich dem entziehen“, erklärte Lärmforscherin Brigitte Schulte-Fortkamp. Wie hat sich die Wahrnehmung von Lärm zuletzt verändert?
Lärm oder Krach sei belästigend, könne die Konzentration stören – oder im Extremfall, wenn er anhalte und jede Erholung ausschließe, auch krank machen, so die Expertin. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht sogar davon aus, dass Umgebungslärm, insbesondere Verkehrslärm in Westeuropa, jährlich für den Verlust von mehr als einer Million gesunder Lebensjahre durch Einschränkungen oder vorzeitige Sterblichkeit verantwortlich ist. Lilian Busse, die Vizepräsidentin des
Umweltbundesamts, sagt dazu: „Wir sind von vielen Lärmquellen betroffen.“Dauerhafte Lärmbelästigung kann auch nach ihrer Einschätzung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, zu Schlafstörungen, zu kognitiven Beeinträchtigungen, aber auch zu psychischen Erkrankungen. So werde Lärm vor allem in der Stadt zum ernsten Umweltproblem.
Grundsätzlich sei das Empfinden von Lärm subjektiv, so Akustik-Spezialistin Schulte-Fortkamp. Im Allgemeinen könne man aber sagen, dass sehr laute Geräusche, die über 85 Dezibel lägen und Kommunikation verhinderten, relativ einheitlich als Lärm empfunden würden, wenn es sich um Umgebungsgeräusche handele. Vergleichbar sei dies mit einem dicht vorbeifahrenden Lkw.
Entscheidend für die psychische und physische Belastung sei aber auch die Quelle des Geräusches. Bau- oder Straßenlärm etwa verbinden die wenigsten Menschen mit etwas Positivem und daher wird er auch sehr schnell als störend empfunden. Bei lauter Musik kann das anders sein, je nachdem ob sie gewollt oder ungewollt gehört wird.
Grundsätzlich wandeln sich das Lärmempfinden und der Umgang mit Geräuschen auch mit der Zeit, sie sind immer abhängig von der Lebenswelt, erklärt Schulte-Fortkamp.
In Zeiten des Ukraine-Krieges lösten beispielsweise Sirenen und akustische Alarmsignale, etwa von Polizeifahrzeugen
oder Krankenwagen, bei manchen große Angst aus – insbesondere für Geflüchtete und jene, die schon einmal einen Krieg miterleben mussten. Aber auch für Menschen, die vor dem Hintergrund medialer Berichterstattung solche Geräusche anders bewerten als zuvor. „Jetzt in dieser Kriegssituation spielen Geräusche für viele Menschen eine Rolle und vermitteln ein Gefühl von Unheil, Tod und Tragödie“, so SchulteFortkamp. Man wisse, dass sich durch Geräusche bei Menschen schließlich ganz unterschiedliche Gefühlswelten aufbauten, ergänzt sie. „Geräusche haben schon eine enorme Tragweite.“
Auch zwei Jahre Pandemie haben zuletzt das Lärmempfinden verändert, sagte die Expertin weiter. Insbesondere in Zeiten der Lockdowns ist es nach ihrer Einschätzung nicht mehr vorrangig der Straßen- und Verkehrslärm gewesen, der vielen Menschen auf die Nerven gegangen ist. „Das hat sich verschoben und auf den nahen Wohnbereich verlegt.“So habe der Nachbarschaftslärm durch die längerfristig „verordnete“Nähe an Bedeutung zugenommen. Weil zudem besonders viel gebaut werden konnte, sei auch der Baulärm vielfach als stärker belästigend wahrgenommen worden.
Mit den gelockerten Corona-Beschränkungen hat der Verkehrslärm wieder zugenommen, was akustisch wieder deutlicher spürbar werde – und möglicherweise auch auf empfindlicher gewordene Ohren treffe. Auch in der Umgebung etwa von Schulen sei der Geräuschpegel wieder deutlich höher als in Zeiten des Homeschoolings. Großveranstaltungen wie Konzerte oder Shows kämen hinzu. Zwar sieht Schulte-Fortkamp eine mögliche „Begrüßungseuphorie“gegenüber der aufflammenden Geräuschkulisse, eine neue Toleranz den Geräuschen gegenüber erwartet sie aber dennoch nicht.
UBA-Vizepräsidentin Busse hält es für eine der zentralen Herausforderungen der Stadtentwicklung, das Lärmschutzniveau trotz stärkerer Innenentwicklung zu sichern. Um diese Schwierigkeit zu bewältigen, sei aus Sicht des UBA ein Gesamtkonzept erforderlich, das besonders auch eine deutliche Verringerung der Pkw-Dichte in Städten vorsehe. So werde Platz für kompaktes Bauen und städtisches Grün geschaffen, was etwa auch das Lärmkonfliktpotenzial senken könne.