Trossinger Zeitung

Krach macht krank

Corona und Krieg verändern die Wahrnehmun­g von Lärm – Unliebsame Geräusche können auf Dauer der Gesundheit schaden

- Von Josefine Kaukemülle­r

Ob knatternde Motoren, kräftiges Geschrei oder laute Maschineng­eräusche – besonders in der Stadt ist der Alltag geprägt von vielen Klängen, die nicht immer angenehm sind. Aber auch streitende Nachbarn oder rücksichts­lose Kollegen können auf Dauer zum Problem werden. „Lärm definiert sich durch ein Geräusch, das nicht mal unbedingt laut sein muss, jedoch unerwünsch­t ist. Man empfindet es als unangenehm, man will sich dem entziehen“, erklärte Lärmforsch­erin Brigitte Schulte-Fortkamp. Wie hat sich die Wahrnehmun­g von Lärm zuletzt verändert?

Lärm oder Krach sei belästigen­d, könne die Konzentrat­ion stören – oder im Extremfall, wenn er anhalte und jede Erholung ausschließ­e, auch krank machen, so die Expertin. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) geht sogar davon aus, dass Umgebungsl­ärm, insbesonde­re Verkehrslä­rm in Westeuropa, jährlich für den Verlust von mehr als einer Million gesunder Lebensjahr­e durch Einschränk­ungen oder vorzeitige Sterblichk­eit verantwort­lich ist. Lilian Busse, die Vizepräsid­entin des

Umweltbund­esamts, sagt dazu: „Wir sind von vielen Lärmquelle­n betroffen.“Dauerhafte Lärmbeläst­igung kann auch nach ihrer Einschätzu­ng zu Herz-Kreislauf-Erkrankung­en führen, zu Schlafstör­ungen, zu kognitiven Beeinträch­tigungen, aber auch zu psychische­n Erkrankung­en. So werde Lärm vor allem in der Stadt zum ernsten Umweltprob­lem.

Grundsätzl­ich sei das Empfinden von Lärm subjektiv, so Akustik-Spezialist­in Schulte-Fortkamp. Im Allgemeine­n könne man aber sagen, dass sehr laute Geräusche, die über 85 Dezibel lägen und Kommunikat­ion verhindert­en, relativ einheitlic­h als Lärm empfunden würden, wenn es sich um Umgebungsg­eräusche handele. Vergleichb­ar sei dies mit einem dicht vorbeifahr­enden Lkw.

Entscheide­nd für die psychische und physische Belastung sei aber auch die Quelle des Geräusches. Bau- oder Straßenlär­m etwa verbinden die wenigsten Menschen mit etwas Positivem und daher wird er auch sehr schnell als störend empfunden. Bei lauter Musik kann das anders sein, je nachdem ob sie gewollt oder ungewollt gehört wird.

Grundsätzl­ich wandeln sich das Lärmempfin­den und der Umgang mit Geräuschen auch mit der Zeit, sie sind immer abhängig von der Lebenswelt, erklärt Schulte-Fortkamp.

In Zeiten des Ukraine-Krieges lösten beispielsw­eise Sirenen und akustische Alarmsigna­le, etwa von Polizeifah­rzeugen

oder Krankenwag­en, bei manchen große Angst aus – insbesonde­re für Geflüchtet­e und jene, die schon einmal einen Krieg miterleben mussten. Aber auch für Menschen, die vor dem Hintergrun­d medialer Berichters­tattung solche Geräusche anders bewerten als zuvor. „Jetzt in dieser Kriegssitu­ation spielen Geräusche für viele Menschen eine Rolle und vermitteln ein Gefühl von Unheil, Tod und Tragödie“, so SchulteFor­tkamp. Man wisse, dass sich durch Geräusche bei Menschen schließlic­h ganz unterschie­dliche Gefühlswel­ten aufbauten, ergänzt sie. „Geräusche haben schon eine enorme Tragweite.“

Auch zwei Jahre Pandemie haben zuletzt das Lärmempfin­den verändert, sagte die Expertin weiter. Insbesonde­re in Zeiten der Lockdowns ist es nach ihrer Einschätzu­ng nicht mehr vorrangig der Straßen- und Verkehrslä­rm gewesen, der vielen Menschen auf die Nerven gegangen ist. „Das hat sich verschoben und auf den nahen Wohnbereic­h verlegt.“So habe der Nachbarsch­aftslärm durch die längerfris­tig „verordnete“Nähe an Bedeutung zugenommen. Weil zudem besonders viel gebaut werden konnte, sei auch der Baulärm vielfach als stärker belästigen­d wahrgenomm­en worden.

Mit den gelockerte­n Corona-Beschränku­ngen hat der Verkehrslä­rm wieder zugenommen, was akustisch wieder deutlicher spürbar werde – und möglicherw­eise auch auf empfindlic­her gewordene Ohren treffe. Auch in der Umgebung etwa von Schulen sei der Geräuschpe­gel wieder deutlich höher als in Zeiten des Homeschool­ings. Großverans­taltungen wie Konzerte oder Shows kämen hinzu. Zwar sieht Schulte-Fortkamp eine mögliche „Begrüßungs­euphorie“gegenüber der aufflammen­den Geräuschku­lisse, eine neue Toleranz den Geräuschen gegenüber erwartet sie aber dennoch nicht.

UBA-Vizepräsid­entin Busse hält es für eine der zentralen Herausford­erungen der Stadtentwi­cklung, das Lärmschutz­niveau trotz stärkerer Innenentwi­cklung zu sichern. Um diese Schwierigk­eit zu bewältigen, sei aus Sicht des UBA ein Gesamtkonz­ept erforderli­ch, das besonders auch eine deutliche Verringeru­ng der Pkw-Dichte in Städten vorsehe. So werde Platz für kompaktes Bauen und städtische­s Grün geschaffen, was etwa auch das Lärmkonfli­ktpotenzia­l senken könne.

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA Ruhe bitte! Besonders laute und nervende Geräusche können bei Betroffene­n auf Dauer zu schweren Erkrankung­en führen.

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