Die Grünen sind jetzt erwachsen
Vor gut 20 Jahren musste sich Joschka Fischer noch als Kriegstreiber beschimpfen und mit Farbbeuteln bewerfen lassen. Damals, 1999, stimmte der grüne Außenminister dem Kosovo-Einsatz der Nato unter deutscher Beteiligung zu. Im Jahr 2022 sind die Grünen von Farbbeutelwürfen weit entfernt. Dabei ist die Situation gar nicht so anders.
Wieder sitzen die Grünen im Außenministerium. Wieder tragen sie weitreichende Entscheidungen in einem europäischen Krieg mit. Wieder scheint sich das grüne Spitzenpersonal im Rekordtempo von alten Überzeugungen verabschiedet zu haben. Doch diesmal dringen nur wenige kritische Worte an die Öffentlichkeit. Die Grüne Jugend meckert leise, einige Ur-Grüne auch. Nun hat die Basis auf einem Parteitag ihr Ja zur Lieferung schwerer Waffen und dem geplanten Sondervermögen der Bundeswehr gegeben.
Sind die Grünen erwachsen geworden? Die Antwort lautet: ja. An wohl keiner anderen Person lässt sich dieser Wandel der Friedens- und Ökopartei so deutlich festmachen wie an Anton Hofreiter. Einst linker Vorzeige-Öko, kann er mittlerweile die Namen von Raketensystemen runterbeten und war einer derjenigen, der am lautesten nach Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine rief.
Außenministerin Annalena Baerbock begründete die Lieferung schwerer Waffen mit Pragmatismus. Panzer und Raketenabwehrsysteme seien nötig, um Schlimmeres zu verhindern. Vizekanzler Robert Habeck bezeichnete Pazifismus als „fernen Traum“. Habeck macht Gasgeschäfte mit Autokraten. Fracking-Gas, bei dessen Beförderung die Umwelt leidet, ist okay.
Dass der Aufschrei aus der Basis ausbleibt, hat damit zu tun, dass sich die Grünen schon seit Jahren auf die Regierungsarbeit vorbereiteten. Weg von der Ersatzbank und endlich an die Macht. Darüber hinaus kommen sie bei der Bevölkerung mit ihrem Kurs gut an. Derzeit sind Habeck und Baerbock die beliebtesten Kabinettsmitglieder. Und manche fragen sich schon, ob Habeck nicht der bessere Kanzler wäre.
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