Trossinger Zeitung

Die Steuerrege­ln für Rentner sind hoch komplizier­t

Immer mehr Senioren müssen Einkommens­teuer zahlen – Arbeitnehm­er müssten Geld fürs Alter zurücklege­n

- Von Dieter Keller

BERLIN - Auf den ersten Blick können sich Millionen Seniorinne­n und Senioren freuen: Am 1. Juli steigen ihre Renten im Westen um 5,35 Prozent und im Osten sogar um 6,12 Prozent. Doch diese höchste Rentenerhö­hung seit Jahrzehnte­n hat gleich mehrere Pferdefüße: Sie reicht kaum, um die hohe Inflation auszugleic­hen. Zudem müssen allein aufgrund des Zuschlags etwa 100 000 Rentner zusätzlich eine Steuererkl­ärung abgeben, schätzt das Bundesfina­nzminister­ium. Insgesamt müssen über sieben Millionen Senioren dieser mühseligen Pflicht nachkommen.

Warum müssen Rentner überhaupt Einkommens­teuer bezahlen?

Vor 20 Jahren kassierte das Bundesverf­assungsger­icht die Regelung, dass nur ein kleiner Teil der gesetzlich­en Rente versteuert werden musste, während die Altersbezü­ge pensionier­ter Beamter – bis auf einen Freibetrag – voll steuerpfli­chtig waren und sind. Daher führte der damalige Bundesfina­nzminister Hans Eichel (SPD) 2005 die „nachgelage­rte Besteuerun­g“ein: Während des Berufslebe­ns können die Rentenbeit­räge komplett von der Steuer abgesetzt werden. Dafür müssen im Alter die Renten voll versteuert werden.

Was bedeutet das konkret?

Da viele noch Rentenansp­rüche nach den alten Regeln erworben haben, dauert die Umstellung Jahrzehnte. Wer 2005 und früher in Rente ging, muss nur 50 Prozent versteuern. Danach steigt der Anteil für jeden neuen Rentnerjah­rgang um zwei Prozentpun­kte, ab 2021 um einen Prozentpun­kt. Wer beispielsw­eise in diesem Jahr in Rente geht, muss 82 Prozent versteuern. Nach den bisherigen Plänen sollte die Umstellung 2040 abgeschlos­sen sein. Parallel dazu wurde und wird jedes Jahr der Anteil der Beiträge zur Rentenvers­icherung erhöht, den Arbeitnehm­er von der Steuer absetzen können. Das begann 2005 mit 60 Prozent, wobei die Hälfte der Beiträge eh der Arbeitgebe­r beisteuern muss. 2025 sollten sie komplett bei der Steuer berücksich­tigt werden. Ein Problem ist, dass die Arbeitnehm­er die Entlastung wegen der jährlichen Trippelsch­ritte kaum bemerken. Dabei müssten sie eigentlich Geld zurücklege­n, weil sie im AlNein, ter Steuern zahlen müssen und netto weniger von der Rente übrigbleib­t.

Warum kann für die Rentenerhö­hung am 1. Juli besonders viel Steuer anfallen?

Der Anteil der Rente, der steuerfrei bleibt, wird nicht als Prozentsat­z festgesetz­t, sondern als fester Freibetrag, der fürs ganze Leben unveränder­t bleibt. Daher müssen Rentenerhö­hungen voll versteuert werden.

Wie kann das Finanzamt nachprüfen, ob ich als Rentner eine Steuererkl­ärung machen muss? Schon seit 2009 müssen ihm alle Zahlungen automatisc­h gemeldet werden – nicht nur die gesetzlich­e Rente, sondern auch Betriebsre­nten, private Rentenvers­icherungen sowie Leistungen von Versorgung­sund Pensionska­ssen.

Müssen alle Rentner eine Steuererkl­ärung abgeben?

das hängt von der Höhe ihrer steuerpfli­chtigen Einkünfte ab. Dazu gehören neben der Rente auch andere Einnahmen, beispielsw­eise Mieten oder eine Pension. Steuerpfli­chtig ist nur, wer insgesamt mehr hat als das Existenzmi­nimum. Es entspricht dem Grundfreib­etrag, der jedem Bürger zusteht. 2021 lag er bei 9744 Euro im Jahr; Ehepaare haben das Doppelte. In diesem Jahr soll er auf 10 347 Euro steigen und damit wegen der hohen Inflation stärker als ursprüngli­ch geplant. Außerdem gehen noch 102 Euro Werbungsko­stenund 36 Euro Sonderausg­abenpausch­betrag ab. Zudem können Vorsorgeau­fwendungen wie Beiträge zur Kranken- und Pflegevers­icherung bis zu einer Höchstgren­ze abgesetzt werden.

Was heißt das praktisch?

Wer 2021 erstmals Rente bezogen hat, muss 81 Prozent versteuern. Für das Jahr 2021 muss sie oder er keine

Einkommens­teuer zahlen, wenn die Bruttorent­e maximal 13 990 Euro betrug. Wer dagegen bereits 2005 oder früher in Ruhestand ging, kann bis zu 17 900 Euro Rente beziehen, ohne dass Steuer anfällt, wenn es keine weiteren Einnahmen gibt. Die entspreche­nden Werte für 2022 hat das Bundesfina­nzminister­ium noch nicht veröffentl­icht.

Wie viele Rentner zahlen tatsächlic­h Einkommens­teuer?

Die neuesten Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts stammen aus dem Jahr 2017, weil es längere Zeit dauert, bis für alle die Besteuerun­g abgeschlos­sen ist. Damals gab es 17,1 Millionen Steuerpfli­chtige mit Renteneink­ünften. Eine Steuererkl­ärung mussten 7,1 Millionen abgeben. Davon zahlten aber nur rund drei Viertel tatsächlic­h Einkommens­teuer. Die Statistik zeigt auch: Wer ausschließ­lich Rente bezog, zahlte im Schnitt nur 314 Euro Steuer. Wer dagegen überwiegen­d andere Einkünfte hatte, musste durchschni­ttlich 9870 Euro ans Finanzamt abführen.

Wer hilft Senioren bei der Steuererkl­ärung?

Steuerbera­ter und Lohnsteuer­hilfeverei­ne. Sie haben auch mehr Zeit für die Abgabe als Steuerpfli­chtige, die selbst aktiv werden: Ihre Steuererkl­ärung für 2021 muss spätestens am 31. Juli beim Finanzamt sein. Wer sich mit Computern auskennt, kann ein Steuerprog­ramm nutzen. Außerdem bieten die Finanzbehö­rden seit Ende März bundesweit www.einfach.elster.de an. Das Programm berücksich­tigt automatisc­h Daten wie Renteneink­ünfte und Pensionen sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegevers­icherung. Außerdem fragt es nach Ausgaben wie Spenden und Arztrechnu­ngen. Es funktionie­rt allerdings nur, wenn es keine anderen Einkünfte gibt wie Mieten oder freiberufl­iche Honorare.

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