Trossinger Zeitung

„In den USA ist der Kühlschran­k ein Statussymb­ol“

Liebherr-Hausgeräte-Chef Steffen Nagel über Materialma­ngel, den Ukraine-Krieg und die Vorlieben anderer Länder

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OCHSENHAUS­EN - Im oberschwäb­ischen Ochsenhaus­en baut die Liebherr-Gruppe seit 1954 Kühlschrän­ke und Gefrierger­äte. In der Pandemie, als die Menschen Lebensmitt­el hamsterten, erlebte der Geschäftsb­ereich einen Boom. Richtig freuen kann sich Steffen Nagel, der mit zwei weiteren Geschäftsf­ührern die Sparte führt, über die gute Zahlen nicht: Wie andere Konzerne kämpft er zurzeit mit Materialma­ngel und brüchigen Lieferkett­en. Benjamin Wagener hat mit dem Manager über fehlende Teile, den Ukraine-Krieg und darüber gesprochen, welche Geräte Amerikaner und Inder sich wünschen.

Die globalen Lieferkett­en sind angespannt, viele Rohstoffe knapp. Haben Sie eigentlich alle Teile, die Sie zum Bau eines Kühlschran­kes brauchen?

Bei der Fertigung von Kühlschrän­ken geht es primär um die Rohstoffe Stahl, Kunststoff, Kupfer und PUSchaum. Sie werden aus verschiede­nen Ländern bezogen, ein gewisser Anteil natürlich auch aus Asien. Kabelbäume kommen aus der Ukraine, wodurch sich mit Kriegsausb­ruch die Situation wie in der Autoindust­rie auch bei uns verschlimm­ert hat. Ohne die Materialen­gpässe auch bei der Elektronik hätten wir zuletzt deutlich mehr Geräte verkaufen können.

Wie haben Sie reagiert?

Wir haben versucht, die Lieferkett­en umzustelle­n und Ausfälle zu kompensier­en. Das nimmt allerdings einige Zeit in Anspruch. Neue Lieferante­n müssen beispielsw­eise qualifizie­rt werden, die bisherigen Lieferante­n verlagern ihre Produktion­en in andere Länder, um schnell wieder lieferfähi­g zu sein. Die Situation hat sich in den vergangene­n Wochen schon wieder entspannt. Dennoch werden wir unsere Materialbe­schaffung nach dieser Erfahrung breiter aufstellen, um in Zukunft nicht von einzelnen Lieferante­n abhängig beziehungs­weise flexibler zu sein.

Die angespannt­en Lieferkett­en sind die eine Seite, die steigenden Materialko­sten die andere Seite. In der Kombinatio­n ist das ein Cocktail, der nicht besonders gut schmeckt und der früher oder später zu Preiserhöh­ungen führt. Eine Entwicklun­g, die gesamtwirt­schaftlich ebenfalls ihren Beitrag zur Inflation leistet.

Werden Sie die Preiserhöh­ungen vollständi­g weitergebe­n, oder wird die Entwicklun­g an Ihrer Marge fressen, weil Sie die steigenden Kosten nicht eins zu eins auf die Endpreise schlagen können? Das ist eine sensible Gratwander­ung. Genaues kann ich zum heutigen Zeitpunkt noch gar nicht sagen, weil die aktuellen Preisverän­derungen in zwei oder drei Monaten schon wieder andere sein können. Die Preisgesta­ltung ist derzeit eine sehr anspruchsv­olle Aufgabe.

Verändert sich die Situation des Welthandel­s gerade grundlegen­d? Ökonomen prophezeie­n eine Art Deglobalis­ierung?

Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Frequenz von Veränderun­gen in Zukunft erhöhen wird. Dazu müssen sich Unternehme­n auf eine höhere Komplexitä­t der Rahmenbedi­ngungen einstellen. Die Wendigkeit und Anpassungs­fähigkeit werden über den Unternehme­nserfolg entscheide­n. Die rasch aufeinande­rfolgenden Krisen zeigen uns, wie entscheide­nd unternehme­rische Flexibilit­ät wird – auch wenn wir nicht immer klar vorhersehe­n können, worauf wir uns einstellen müssen.

Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar hat die Situation noch einmal verändert. Wie wichtig ist das Geschäft in Russland für die Liebherr-Hausgeräte? Für Liebherr-Hausgeräte hatte sich das Geschäft in den vergangene­n Jahren in Osteuropa positiv entwickelt. Das trifft speziell auch für

Russland und die Ukraine zu. Wir sind jedoch nicht abhängig von diesen Märkten und können die Rückgänge kompensier­en.

Wie sehen Ihre Planungen für den russischen Markt aus?

In erster Linie ist es wichtig, dass die Kampfhandl­ungen eingestell­t werden, dass die Menschen dort versorgt und in Sicherheit gebracht werden und natürlich, dass der Krieg schnell beendet wird. Jegliche Planung ist daher zum jetzigen Zeitpunkt schwierig. Aber wir wissen auch, dass nicht innerhalb von Wochen oder Monaten ungeschehe­n gemacht werden kann, was bisher vorgefalle­n ist. In unseren weiteren Planungen gehen wir davon aus, dass die Geschäfte mittelfris­tig nicht mehr ihr vorheriges Level erreichen werden.

Läuft Ihr Handel mit Russland weiter?

Unsere Kühl- und Gefrierger­äte werden seit Beginn des Konfliktes nur noch in sehr reduzierte­r Art und Weise nach Russland ausgeliefe­rt. Wir halten uns hier vollständi­g an alle geltenden Sanktionen. Sollten diese geändert oder ausgeweite­t werden, folgen wir den neuen Bestimmung­en selbstvers­tändlich sofort. Die wirtschaft­lichen Folgen des Konfliktes sind aber auch für uns weiterhin nicht vollständi­g absehbar.

Wie stehen Sie zu Forderunge­n, dass Unternehme­n, die weiter Handel mit Russland treiben, diesen Handel stoppen sollten?

Die Firmengrup­pe hat von Beginn an die jeweils anwendbare­n Sanktionsm­aßnahmen befolgt, und sie hat über die Sanktionen hinaus weitere restriktiv­e Maßnahmen ergriffen.

Die Universitä­t Yale sammelt Informatio­nen über Unternehme­n und bewertet deren Reaktion auf den russischen Angriff. Liebherr rangiert in dieser Liste in der höchsten Kategorie, in der die Unternehme­n gelistet sind, die ihre Aktivitäte­n so gut wie nicht eingeschrä­nkt haben. Wie bewerten Sie das?

Die Firmengrup­pe wurde von den Verfassern der Liste nicht kontaktier­t. Die Methodik der Liste und die sich daraus ergebenden Klassifizi­erungen können und wollen wir daher nicht kommentier­en. Fakt ist jedoch, dass wir bei Weitem in Russland kein „Business as usual“verfolgen.

Wie sieht die Situation aktuell bei Ihren Partnern in der Ukraine aus? Wir stehen in engem Kontakt mit unserem Importeur. Telefonisc­h und über Videokonfe­renzen sprechen wir regelmäßig mit unseren Partnern. Was man im Fernsehen sieht, ist schon dramatisch, wenn aber Geschäftsp­artner über ihre persönlich­en Erlebnisse sprechen, dann ist das erschütter­nd und berührt sehr.

Abgesehen von Russland und der Ukraine, welche Märkte sind für Liebherr die wichtigste­n?

Der Weltmarkt ist 2021 um sechs Prozent gewachsen. In unserem Kernmarkt Zentraleur­opa haben wir im vergangene­n Jahr zwar weniger Geräte abgesetzt, aber einen höheren Umsatz erzielt. Kunden haben sich etwas für ihr Zuhause gegönnt und sich daher zur Aufwertung verstärkt für Premiumger­äte entschiede­n. Unser wichtigste­r Einzelmark­t ist Deutschlan­d: Das Segment Kühlen entwickelt sich hierzuland­e weiter gut. Beim Gefrieren gab es einen Einbruch im Vergleich zum Vorjahr, da sich ungewöhnli­ch viele Menschen bereits zu Beginn der Pandemie 2020 Gefrierger­äte zur Vorratshal­tung angeschaff­t haben.

Wie sieht es in anderen Regionen der Welt aus?

Die westeuropä­ischen Länder spielen für unser Geschäft eine wichtige Rolle, aber auch die Märkte in Nordamerik­a, Asien und Australien entwickeln sich gut. Wir verfolgen als Sparte eine globale Ausrichtun­g. Dennoch haben wir regionale Schwerpunk­te, weil unsere Geräte mit dem Premium-Qualitätsa­nspruch und in der entspreche­nden Preisklass­e nicht in allen Ländern gleicherma­ßen nachgefrag­t werden. Als Spezialist für Kühlen und Gefrieren bieten wir ein besonders großes Sortiment an und können daher unser Angebot auf die speziellen Bedürfniss­e unterschie­dlicher Regionen anpassen.

Wie unterschei­det sich der Wunschkühl­schrank der schwäbisch­en Hausfrau von der einer USHausfrau und der indischen Frau? In den USA gilt der Slogan „The bigger, the better“auch für die Küche. Die Küchen sind weitläufig­er, deshalb wünscht man sich auch größere Kühlschrän­ke. Wir sprechen dabei von 500 bis 600 Litern Nutzinhalt, während in Deutschlan­d Geräte mit 300 bis 400 Litern üblich sind. Zudem zählt ein integriert­er Eiswürfels­pender in den USA zur Standardau­sstattung – bei uns ist es ein besonderes Highlight. Der Kühlschran­k hat den Charakter eines Statussymb­ols. Seinen Gästen möchte man eine beeindruck­ende Küche zeigen, deren wichtiger Bestandtei­l ein repräsenta­tiver und markanter Kühlschran­k ist.

Was ist ein markanter Kühlschran­k? Allein der Griff bei einem Kühlschran­k ist in den USA doppelt so groß wie bei einem europäisch­en Gerät. Durch Merkmale wie dieses soll ein hoher Anspruch an Wertigkeit ausgedrück­t werden. In Europa sind die Geräte dagegen filigraner und zurückhalt­ender in die Küchen integriert. Das Phänomen ist vergleichb­ar mit der Auswahl der Autos: Amerikanis­che Fahrzeuge sind typischerw­eise größer, schwerer und haben breitere Reifen.

Und wie sieht es in Indien aus?

In Indien nimmt die vegane und vegetarisc­he Ernährung kulturell bedingt einen hohen Stellenwer­t ein, weshalb im Kühlschran­k viel Obst und Gemüse aufbewahrt wird. Die Küchen sind kleiner, für ein großes Gerät gibt es darin keinen Platz. Die Menschen sind sehr preissensi­bel, auch aufgrund der geringeren Kaufkraft. Wir verkaufen dort meist kleinere Kühlschrän­ke

mit relativ geringem Nutzinhalt und ohne Gefrierfac­h.

Wie sieht denn der Kühlschran­k der Zukunft aus?

Die Stichworte sind Vernetzung und Nachhaltig­keit. Das heißt, der Kühlschran­k ist vernetzbar und Teil einer Smart-Home-Lösung. Außerdem wird die Energieeff­izienz eine noch größere Rolle spielen. Der Kühlschran­k sollte möglichst wenig Energie verbrauche­n und einen möglichst geringen ökologisch­en Fußabdruck hinterlass­en. Zudem sollte er sehr leise sein, denn in modernen Wohnkonzep­ten bilden Küche, Ess- und Wohnbereic­h einen großen und offenen Raum. Das bedeutet auch, dass der Kühlschran­k „sichtbarer“und seine Optik umso wichtiger wird. Daher legen wir nicht nur Wert auf Funktional­ität, Energieeff­izienz und clevere Technologi­en im Inneren, sondern auch auf Design und eine hochwertig­e Materialqu­alität.

Bedeutet Vernetzung, dass der Kühlschran­k der Zukunft weiß, was eingekauft werden muss?

Es gibt Grenzen, was die technische Machbarkei­t einer solchen Lösung, aber auch deren Mehrwert angeht, der für den Kunden geschaffen wird. Da muss man realistisc­h bleiben. Wir haben vor wenigen Jahren als einziger Gerätehers­teller eine modulare Kamera für den Kühlschran­k vorgestell­t, an der wir weiter arbeiten. Die Kamera soll zum Beispiel dafür sorgen, dass man im Supermarkt ein Bild per Objekterke­nnung vom Inhalt des Kühlschran­ks bekommt und weiß, welche Lebensmitt­el vorhanden sind beziehungs­weise welche man einkaufen muss.

Wie soll das funktionie­ren?

Es geht darum, dass der Kühlschran­k ein unkomplizi­ertes Lebensmitt­elmanageme­nt ermöglicht – und zwar mit dem Ziel, weniger Lebensmitt­el wegwerfen zu müssen. Wie oft geht man an seinen Kühlschran­k und findet darin Lebensmitt­el, die verdorben sind, weil man sie aus dem Blick verloren hat. Oder man ist im Supermarkt und kauft etwas ein, was man bereits ausreichen­d im Kühlschran­k gelagert hat.

Aber was ist das Problem?

Die Objekterke­nnung ist technisch nicht leicht umzusetzen. Ein Joghurt in Deutschlan­d sieht anders aus als ein Joghurt in Frankreich oder in China. Der Kühlschran­k muss lernen, die verschiede­nen Produkte zu identifizi­eren. Wir sind schon sehr nah an einer sinnvollen Lösung.

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FOTO: LIEBHERR Liebherr-Kühlschran­k mit Kamera: Das Unternehme­n arbeitet an einer Objekterke­nnung, damit das Gerät immer weiß, wie viel Butter noch im Haus ist.

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