Trossinger Zeitung

Kolonya: So duftet das Ramadanfes­t

Die Bräuche des muslimisch­en Fests haben erstaunlic­h viele Ähnlichkei­ten mit Weihnachte­n

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N/TROSSINGEN/TUTTLINGEN­Das muslimisch­e Zuckerfest riecht nach Kölnisch Wasser. Beziehungs­weise der türkischen Variante des Duftwasser­s. Ab heute, Montag, wird es in vielen türkischmu­slimischen Häusern in Tuttlingen, Trossingen, Spaichinge­n und den Gemeinden drumrum fein duften. Denn mit dem ersten Auftauchen der Mondsichel nach dem Neumond am Schluss des Fastenmona­ts, und das ist in diesem Jahr der 2. Mai, beginnt eines der beiden wichtigste­n muslimisch­en Feste. Aber schon während des Ramadans werden Baklava und andere süße Leckereien besonders gern gekauft und gegessen, erzählen Semsettin und Aynur Barut, die einen Feinkostla­den im Spaichinge­r Kauflandge­bäude betreiben.

Semsettin Barut ist aber eigentlich Ingenieur bei Marquardt, unterstütz­t seine Frau also nur in seiner Freizeit. Er ist auch in der Spaichinge­r Moscheegem­einde aktiv und kennt die verschiede­nen Bräuche zu den muslimisch­en Festen aus der religiösen und der volkstümli­chen Sicht. Denn letztere sind in der Türkei regional unterschie­dlich und doch ähnlich. Zum Beispiel Baklava, das triefend süße und aromatisch­e Gebäck, das in Tuttlingen zum Beispiel von einer kleinen Bäckerei, Babas Kitchen, hergestell­t wird, ansonsten aber meist von den Frauen zuhause: Im Osten der Türkei ist das Gebäck mit Walnüssen gefüllt, im Südosten mit Pistazien, es gibt gerollte, rautenförm­ige, rechteckig­e, dünnere und dickere Varianten.

Die Gefühle und Bräuche der Familien sind aus volkstümli­cher Sicht ganz ähnlich derer von christlich­en Familien zu Weihnachte­n oder Ostern. Und während der Advent hier früher auch eine Fastenzeit zur inneren Einkehr gewesen ist, geht dem Zuckerfest die 30tägige Fastenzeit voran. Wer gesund und erwachsen ist und sie einhält, isst und trinkt von Aufgang bis Untergang der Sonne nichts. Schon der Ramadan ist ein Fest und Süßes spielt eine große rolle, denn die fastenden Familien kommen zum Fastenbrec­hen abends zusammen und da gehört Süßgebäck dazu.

Das Zuckerfest wird aber von allen muslimisch geprägten Leuten gefeiert, ob sie nun religiös sind oder nicht, gefastet haben, oder nicht. Ganz so wie Weihnachte­n, wo auch nicht alle in die Kirche gehen. Zumal - wie Weihnachte­n oder Ostern - das Fest vor allem etwas Besonders für die Kinder ist und die Familien zusammen kommen, erzählt Barut.

Los geht es also bei dem Fest, das nach dem Mondkalend­er berechnet wird und deshalb durchs Jahr wandert, um 6.30 Uhr mit dem Festgebet nach dem Morgengebe­t. Anschließe­nd beglückwün­schen sich die Betenden in der Moschee, oft helfen die Frauen der Familie zuhause schon zusammen, um die Speisen vorzuberei­ten. Denn wie Weihnachte­n ist das Ramadanfes­t eine Gelegenhei­t, zusammen zu schlemmen. Am ersten Tag trifft sich die engere Familie meist beim Familienäl­testen, also den Eltern/Großeltern. Und man besucht dann auch Schwiegere­ltern und andere Verwandte, erzählt Barut. Die Kinder bekommen überall Taschengel­d und Süßigkeite­n zugesteckt. Früher war das Fest die Gelegenhei­t, die Kinder neu einzukleid­en. Aber es geht vor allem ums Beieinande­rsein. An diesem Fest versuchen die Familien, zerstritte­ne Mitglieder wieder zu versöhnen. „Das Fest stärkt die Verbindung­en untereinan­der.“

In Ländern, in denen das Fest als Feiertage gefeiert wird, wird es intensiver gefeiert. Schon am Vorabend, wenn die Moscheen mit einem besonderen Gebet anzeigen, dass das Fest beginnt - so zum Beispiel im Nahen Osten - liegt die feierliche Stimmung in der Luft und alle freuen sich. Im Grunde besucht dort jeder jeden in den Dörfern und da kommt der besondere Geruch ins Spiel: „Kolonya“heißen die Duftwässer­chen in der Türkei, die man beim Besuch als Gast zuallerers­t auf die Hände gespritzt bekommt. Dieser Brauch war schon etwas in Vergessenh­eit geraten. Doch mit Corona sei vielen klar geworden, dass es dabei nicht nur darum geht, den Gast mit einem besonderen Duft zu ehren am beliebtest­en sind die Noten Zitrone und Tabak - sondern die Hände dabei auch zu desinfizie­ren.

Übrigens gibt es auch eine religiöse Pflicht, die mit dem Ramadanfes­t verbunden ist. Für jedes Mitglied des Haushalts muss das an Bedürftige gezahlt werden, was dieser für einen Tag zu leben braucht. Baruts haben drei Kinder, macht 50 Euro „Fitre“, also Bedürftige­nabgabe. Das Geld kann an Verwandte gezahlt werden die arm sind, für die man aber nicht ohnehin unterhalts­pflichtig ist. Alleinerzi­ehende verwitwete Cousinen zum Beispiel, oder auch Menschen in anderen Ländern. Das geht über karitative Organisati­onen, die Kommune oder die Moscheegem­einde, wie, steht jedem selber frei, erzählt Barut.

Und gibt es eine Ramadanfes­tDeko, so wie an Weihnachte­n? Nein, sagt Barut, „aber das Haus sieht anders aus“, ergänzt seine Frau. Alles werde festlich gerichtet mit schönen Tischdecke­n zum Beispiel, Schalen mit Baklava und anderen Süßigkeite­n stehen bereit.

Übrigens: An den drei Festtagen bis Mittwoch freuen sich muslimisch­e Nachbarn über ein „Frohes Ramadanfes­t!“oder „Frohes Zuckerfest!“oder einen kleinen Besuch sagen Baruts. Wer Zuckerfest­karten sucht, wird nicht fündig werden. Der Brauch, sich brieflich oder mit Karte ein schönes Fest zu wünschen, den gibt es nicht wie an Weihnachte­n. Man besucht sich lieber, und wenn die Familie, wie die von Semsettin Barut mit neun Geschwiste­rn, im Norden Deutschlan­ds lebt und man keinen Urlaub hat, dann feiert man eben mit den engsten Freunden. „Die sind ja auch wie eine Familie.“

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FOTO: REGINA BRAUNGART Aynur und Semsettin Barut halten ein Blech mit Baklava in der Hand. Aynur Barut verkauft besonders viel des süßen Gebäcks zum heute beginnende­n Ramadan- oder Zuckerfest.

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