Bücher, die unter die Haut gehen
Leihkörper und Nahtoderfahrung: Tiefsinniger Literaturabend in der Stadtbücherei
TROSSINGEN - Literatur, die berührt, erlebten rund 40 Interessierte in der Stadtbücherei. Barbara Breithack, Sabine Felker-Henn, Regine Mayer und die Moderatorin des Abends Margarete Schmitz präsentierten im Rahmen der Trossinger Literaturtage vier sehr persönliche und berührende Bücher.
Leichte Kost war an diesem Abend jedoch sicherlich nicht geboten. Das verdeutlichte schon das erste vorgestellte Buch. „Hast du uns endlich gefunden“von Ex-“Polizeiruf“-Kommissar Edgar Selge thematisiert den Nationalsozialismus und Kindesmissbrauch. Im Gegensatz zu vielen Berichten handele es sich dabei aber nicht um eine Autobiographie, wie Barbara Breithack klarstellte. Darin schlüpft der Autor in die Rolle eines zwölfjährigen Jungen, der von seinem Vater brutal geschlagen und missbraucht wird. Er entflieht durch Musik und seine unbegrenzte Fantasie. „Sie werden erstaunt sein, wie Selge es fertigbringt, die Perspektive eines Kindes wiederzugeben“, verspricht Breithack.
Weiter ging es mit Regine Mayers Lieblingsbuch von Hanns-Josef Ortheil. „Ombra ist sein persönlichstes Buch“, führt sie aus. Auch hier sei die Musik ein wichtiges Element für den fiktiven Protagonisten Johannes Ortheil, der seine Krankengeschichte verarbeitet. Mayer verbindet mit dem Buch sehr viel: „Auch ich wurde schon oft mit dem Tod konfrontiert.“Sabine Felker-Henn merkte an, dass die Figur unsympathisch wirke: „Er braucht den großen Auftritt“.
Ein wenig aus dem Rahmen fällt das dritte vorgestellte Buch. Ein echter Science-Fiction-Stoff wurde von Sabine Felker-Henn präsentiert. „Hologrammatica“von Tom Hillenbrand wirft den Blick in die nicht ganz so ferne Zukunft. 2090 tragen Menschen Holo-Projektionen statt teuren Kleidern und leihen sich bei Bedarf - und entsprechendem Festgeldkonto
- den Körper eines anderen Menschen. Der Leihvorgang ist unkompliziert - „wie bei der Stadtbücherei“, lacht Felker-Henn. Das gestaltet jedoch die Aufgabe von Detektiv Singh mehr als schwierig, eine gewitzte Computerexpertin ausfindig zu machen. Doch Obacht: Der fremde Körper wird nach 21 Tagen abgestoßen, es kommt zum „Braincrash“. „Da wird das Buch philosophisch“, erklärt sie: Die Seele ist verantwortlich dafür.
Zuletzt stellte Moderatorin Margarete Schmitz den Bestseller des letzten Jahres vor. Es ist ein Buch über die See und eine unkonventionelle Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einer älteren, forschen Frau. Benjamin Myers, der als freischaffender Journalist auch über Death Metal berichtet, ist mit „Offene See“ein berührender Roman gelungen - und für Margarate Schmitz sogar ein „moderner Klassiker“. Dulcie sei „eine starke Frau“, die es in der Literatur leider viel zu selten gebe. Für Breithack sei sie eine wahre Inspiration. Auch Mayer ist voll des Lobes: „Die Sprache ist wunderbar, einzigartig.“
Zum Abschluss des Abends wurden auch noch die Lieblingsbücher der Zuhörerinnen und Zuhörer präsentiert. Dabei wurde eine französische Vorliebe unter den Anwesenden mehr als deutlich - „Salz auf unserer Haut“etwa, ein Klassiker von Benoîte Groult. Margarete Schmitz gab den Gästen noch auf den Nachhauseweg mit: „Manchmal ist es schön, ein Buch nicht gelesen zu haben. Ganz einfach, weil man es eben noch nicht gelesen hat.“
Der Abschluss der 2. Trossinger Literaturtage ist am Mittwoch, 4. Mai, der Film „Das geheime Leben der Bäume“, basierend auf dem Buch von Peter Wohlleben, im Kommunalen Kino im Linde-Saal, 17.15 und 20.15 Uhr, Eintritt sechs, ermäßigt fünf Euro.