Olaf Scholz schweigt zu lang
Im Grund ist es erstaunlich, dass ein solcher Fehler auf höchster politischer Bühne passieren kann. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nutzt seinen Besuch im Kanzleramt für einen völlig abwegigen Holocaust-Vergleich – und Bundeskanzler Olaf Scholz reagiert darauf: nicht. Er verabschiedet sich sogar per Handschlag von Abbas, der ihn gerade öffentlich vorgeführt hat. Das ist peinlich, es ist sogar empörend. Von einem deutschen Kanzler kann in einer solchen Situation durchaus erwartet werden, spontan die richtigen Worte zu finden – anstatt mit etwas Verzögerung auf Twitter zu reagieren. Das wirkt durchaus dilettantisch.
Der 87-jährige Abbas hat ja nicht zum ersten Mal den Holocaust relativiert und sich antisemitisch geäußert. Es ist seine Methode, auf die Situation der Palästinenser aufmerksam zu machen, auch wenn er deren Interessen letztlich schadet. Scholz, der für sich in Anspruch nimmt, nahezu alles zu bedenken, hätte darauf vorbereitet sein können. Im Kanzleramt, wenige Hundert Meter vom Holocaust-Mahnmal entfernt, ging es schließlich erwartbar nicht um den Ausbau von Fahrradwegen oder die Sinnhaftigkeit des Neun-Euro-Tickets, sondern um den Nahostkonflikt – und die Relativierung des Völkermords an den Juden.
So unverständlich die Reaktion des Bundeskanzlers ist, in einer Hinsicht sollte sie allerdings nicht überbewertet werden. Sein Schweigen ist weder ein Zeichen dafür, dass Antisemitismus in Deutschland kommentarlos toleriert wird, noch lassen sich damit die Schwierigkeiten in den deutsch-israelischen Beziehungen belegen. Vielmehr zeigt seine Reaktion die kommunikative Schwäche des Bundeskanzlers. Mal ist er wortkarg, mal wirkt er belehrend oder arrogant wie beim G7-Gipfel in Elmau, als er eine deutsch-polnische Journalistin abkanzelte. Daran sollte Scholz arbeiten, wenn er als Regierungschef und als Vertreter Deutschlands überzeugen will. Denn nach Palästinenserpräsident Abbas werden weitere Politiker im Kanzleramt zu Besuch sein, deren Auffassungen Deutschland explizit nicht teilt.
c.kling@schwaebische.de