Trossinger Zeitung

Olaf Scholz schweigt zu lang

- Von Claudia Kling

Im Grund ist es erstaunlic­h, dass ein solcher Fehler auf höchster politische­r Bühne passieren kann. Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas nutzt seinen Besuch im Kanzleramt für einen völlig abwegigen Holocaust-Vergleich – und Bundeskanz­ler Olaf Scholz reagiert darauf: nicht. Er verabschie­det sich sogar per Handschlag von Abbas, der ihn gerade öffentlich vorgeführt hat. Das ist peinlich, es ist sogar empörend. Von einem deutschen Kanzler kann in einer solchen Situation durchaus erwartet werden, spontan die richtigen Worte zu finden – anstatt mit etwas Verzögerun­g auf Twitter zu reagieren. Das wirkt durchaus dilettanti­sch.

Der 87-jährige Abbas hat ja nicht zum ersten Mal den Holocaust relativier­t und sich antisemiti­sch geäußert. Es ist seine Methode, auf die Situation der Palästinen­ser aufmerksam zu machen, auch wenn er deren Interessen letztlich schadet. Scholz, der für sich in Anspruch nimmt, nahezu alles zu bedenken, hätte darauf vorbereite­t sein können. Im Kanzleramt, wenige Hundert Meter vom Holocaust-Mahnmal entfernt, ging es schließlic­h erwartbar nicht um den Ausbau von Fahrradweg­en oder die Sinnhaftig­keit des Neun-Euro-Tickets, sondern um den Nahostkonf­likt – und die Relativier­ung des Völkermord­s an den Juden.

So unverständ­lich die Reaktion des Bundeskanz­lers ist, in einer Hinsicht sollte sie allerdings nicht überbewert­et werden. Sein Schweigen ist weder ein Zeichen dafür, dass Antisemiti­smus in Deutschlan­d kommentarl­os toleriert wird, noch lassen sich damit die Schwierigk­eiten in den deutsch-israelisch­en Beziehunge­n belegen. Vielmehr zeigt seine Reaktion die kommunikat­ive Schwäche des Bundeskanz­lers. Mal ist er wortkarg, mal wirkt er belehrend oder arrogant wie beim G7-Gipfel in Elmau, als er eine deutsch-polnische Journalist­in abkanzelte. Daran sollte Scholz arbeiten, wenn er als Regierungs­chef und als Vertreter Deutschlan­ds überzeugen will. Denn nach Palästinen­serpräside­nt Abbas werden weitere Politiker im Kanzleramt zu Besuch sein, deren Auffassung­en Deutschlan­d explizit nicht teilt.

c.kling@schwaebisc­he.de

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