Märchenhafte Besserwisserei
Die angestammte Reihenfolge von Wissen und Ermahnung geht traditionell von den Älteren in Richtung Jüngere. So war’s der Brauch über Jahrtausende hinweg. Doch die Naseweisheit unserer verrückten Zeiten kehrt diese Richtung inzwischen immer öfter um. Im Lichte der adoleszenten Schlaumeierei muss dringend der Literatur-Kanon umgeschrieben werden. Heidi sollte dem Pfeife schmauchenden Großvater Alm-Öhi nicht vorbehaltlos in die Arme fallen, sondern ihn über das Risiko von Zungen-, Lungenund Kehlkopfkrebs bei Rauchern
unterrichten. Das Grimm’sche Märchen vom Schlaraffenland müsste heute im Lichte ernährungsphysiologischer Aspekte vorgelesen werden und im Zweifel schon auf dem Buchdeckel mit einer Lebensmittelampel versehen sein. Denn Fressorgien bergen unbestritten die Gefahr von Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Sodbrennen.
Beim gestiefelten Kater muss sich der vorlesende Großvater darauf gefasst machen, dass die Enkel ihn darauf hinweisen, dass es sicher keiner artgerechten Haltung entspricht, wenn eine Katze menschliches
Schuhwerk trägt. Und beim Vortragen von Frau Holle ist es wahrscheinlich, eine klimapolitische Debatte vom Zaun zu brechen. Denn düstere Prognosen machen es eher unwahrscheinlich, dass Frau Holle in Zukunft einfach so Schnee aus den Kissen schüttelt. Und über die Holzhammer-Pädagogik aus dem Struwwelpeter mit Paulinchen, Suppen-Kaspar und Zappel-Philipp oder dem Hanns Guck-in-die-Luft, die alle ein böses Ende nehmen, haben wir da noch gar nicht geredet. (nyf )
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