Pakt für mehr ausländische Pflegekräfte
Sprachkurse in Heimatländern sollen Einstellungen in Baden-Württemberg beschleunigen
STUTTGART - Der Pflegenotstand ist immens und wird sich laut Studien noch verschärfen. Zur Linderung des Mangels will Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) mehr Fachkräfte aus dem Ausland anlocken. Dazu hat er am Mittwoch in Stuttgart eine Kooperation mit der Arbeitsagentur unterzeichnet. Die Details dazu im Überblick:
Wie groß ist der Pflegenotstand? Laut Bundesagentur für Arbeit waren Ende des vergangenen Jahres rund 140 000 Menschen im Südwesten in der Krankenpflege sozialversicherungspflichtig beschäftigt, in der Altenpflege waren es gut 77 000. Die Zahlen sagen indes nichts über die Teilzeitquote und die Qualifikation der Beschäftigten aus.
Das sind heute schon zu wenige und der Bedarf wird wegen des demografischen Wandels laut Studien weiter steigen. Rund 40 Prozent der Altenpflegekräfte liebäugelten zudem damit, ihren Beruf aufzugeben, hatte der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Anfang des Jahres verkündet. Die Krankenkasse Barmer kam im Februar zu der Prognose, dass allein im Südwesten bis 2030 zusätzlich 4000 Pflegekräfte gebraucht würden. Würden sich die Rahmenbedingungen verbessern – etwa durch mehr Gehalt, mehr Zeit für Pflege und verbindliche Dienstpläne –, könnten zwischen 300 000 und 660 000 Pflegekräfte deutschlandweit zurück in den Beruf gelockt werden. Zu diesem Ergebnis kam vor Kurzem die Studie „Ich pflege wieder, wenn ...“der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Was genau ist das für eine neue Kooperation?
Lucha hat am Mittwoch mit Vanessa Ahuja, Vorständin bei der Bundesagentur für Arbeit, eine Erklärung für stärkere Zusammenarbeit unterzeichnet. Konkret geht es um Geld für das Programm „Triple Win“(zu deutsch: dreifacher Gewinn), das die Bundesagentur mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit 2013 aufgelegt hat. Triple Win heißt es deshalb, weil Arbeitgeber, Pflegekräfte und deren Herkunftsländer profitierten, so die Bundesagentur.
Die Arbeitgeber im Südwesten bekämen sprachlich und fachlich gut ausgebildete Kräfte – noch im Herkunftsland erhalten diese Sprachunterricht bis zum Niveau B1. Genau hierfür investiert das Land eine Million Euro. Das sei besser, als die Menschen zunächst ins Land zu holen, denn Sprachkurse in Deutschland seien oft überbucht und in Vollzeit, also nicht parallel zur Arbeit zu stemmen. Die Arbeitskräfte profitierten, weil sie neben Sprachkursen auch Vorbereitungen auf das Leben in Deutschland bekommen. Hier würden sie dann zum Sprachniveau B2 geführt, erhielten Hilfe bei der Anerkennung ihrer Qualifikation und ein Gehalt, das danach mindestens 2800 Euro brutto betrage. Und es profitierten die Herkunftsländer, weil nur in Kooperation mit diesen Fachkräfte angeworben werden. So soll verhindert werden, dass in den Ländern selbst benötigte Kräfte abwandern. Abkommen gibt es laut Ahuja mit Tunesien, Bosnien-Herzegowina, Indonesien, einem Bundesstaat in Indien, Jordanien und den Philippinen
– allein dort bereiteten sich aktuell 1300 Menschen auf Pflege in Deutschland vor, so Ahuja.
Was erhofft sich Lucha vom Triple-Win-Abkommen?
„Wir haben einen unglaublichen Bedarf an Pflegekräften“, erklärt Lucha. Über die Teilnahme am Programm erhofft er sich zusätzlich 200 Pflegekräfte aus dem Ausland bis Ende kommenden Jahres. Es soll vor allem kleineren Einrichtungen die Suche nach Mitarbeitenden erleichtern, die sich bisher gescheut hätten, selbst im Ausland aktiv zu suchen. Denn die Verfahren sind oft kompliziert und aufwendig. „Es ist ein Beitrag, durch eine personelle Aufstockung die Arbeitsbelastung für alle zu senken“, erklärt Lucha.
Welche Bemühungen unternimmt das Land außerdem? Triple Win ist nicht der einzige Weg für ausländische Pflegekräfte, in Baden-Württemberg Arbeit zu finden. Allein im Jahr 2020 sind laut Lucha 1700 Pflegekräfte nach der Anerkennung ihrer Qualifikation hinzugekommen. Weitere 2000 hätten eine eingeschränkte Erlaubnis bekommen, weil etwa Prüfungen fehlten. Der Minister spricht von einer Vervierfachung der Zahl, seit er 2016 das Ressort übernommen hat.
Lucha erhofft sich zudem eine größere Strahlkraft des Berufs durch die grundlegende Reform der Pflegeausbildung seit 2020. Um Pflegekräfte zu halten und wieder für den Job zu begeistern, hat das Land auch einen Ideenwettbewerb ausgerufen. Mit bis zu 80 000 Euro sollen zwischen zehn und 15 Einrichtungen ausgezeichnet werden, die als gute Beispiele hierfür dienen.
Welche Reaktion gibt es?
Aus Sicht von AfD-Fraktionschef Bernd Gögel sind die Bemühungen „zum Scheitern verurteilt“. Lucha solle sich vielmehr darauf konzentrieren, das Potenzial im Land zu heben. „Wenn in einem bevölkerungsreichen Land wie Deutschland niemand im Pflegebereich arbeiten will, dann muss man an den Bedingungen in diesem Bereich etwas ändern und nicht einfach in schlimmster Kolonialherrenmanier Arbeitskräfte aus dem Ausland ‚rekrutieren‘ – die letzten Endes wohl ohnehin nicht lange in diesem maroden Sektor arbeiten werden.“
Der SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl äußert sich differenzierter. Triple Win habe sich seit 2013 bewährt. Es brauche allerdings mehr Auszubildende und verbesserte Bedingungen. „Gute Pflege kann man nicht herbeiklatschen – da braucht es Konzepte und Tempo. Beides fehlt bei dieser Landesregierung.“
Mehr Ausbildungsstellen sowie bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung fordert auch Andrea Kiefer, DBfK-Vorsitzende Südwest. „Es gibt nicht den Stein der Weisen, der den Fachkräftemangel löst“, sagt sie. „Das Triple-Win-Programm ist ein Baustein, um Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.“Sorgfältige Auswahlverfahren seien wichtig – ebenso gute Sprachkenntnisse. Denn: „Pflege ist ein kommunikativer Beruf, Sprache spielt da eine zentrale Rolle.“Zudem brauche es eine gute Begleitung der ausländischen Kräfte, „sonst bleiben sie alleine, integrieren sich nicht und kehren schnell zurück“.