Kommt durch die Energiekrise die Vorfahrt für Güterzüge?
Nein, es stehe noch nicht fest, dass demnächst Personenzüge warten müssen, weil Güterzüge, die mit Kohle und Öl beladen sind, Vorrang bekommen. Der Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums dementiert allerdings die entsprechenden Aussagen des Chefs der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, nur halb, der ein solches Szenario angesichts der Energiekrise an die Wand gemalt hatte. Die „Transportverordnung“, die Müller offenbar zitiert hatte, sei noch in der „Ressortabstimmung“. Die neue Regelung soll sicherstellen, dass Kraftwerke auch bei widrigen Bedingungen – so wie jetzt bei Niedrigwasser – Nachschub erhalten. Der Sprecher des Verkehrsministeriums weist immerhin darauf hin, dass eine solche „Priorisierung“nur infrage käme, wenn „erheblicher Bedarf besteht“. Im Übrigen bräuchProzentpunkte ten die Personenzüge schließlich selbst Strom. Der wiederum komme aus den Kraftwerken, die stabil versorgt werden müssen. Das ist ziemlich genau das, was Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) kurz zuvor in einem Fernsehinterview gesagt hatte. Das Papier, das vom Wirtschafts- und vom Verkehrsministerium erarbeitet wurde, enthält noch andere Details. So wird es möglicherweise zum Einsatz von Güterwagen kommen, die nicht mehr den geltenden Lärmschutzstandards entsprechen.
Nötig wird das erhöhte Transportaufkommen auf der Schiene nicht zuletzt deshalb, weil derzeit die Binnenschifffahrt weitgehend ausfällt. Vor allem das Niedrigwasser im Rhein stellt ein erhebliches Problem dar. Sollte es bis Dezember andauern, könnte das die Wirtschaft im dritten und vierten Quartal 0,2 Wachstum kosten. Das prognostiziert Chefvolkswirt Andrew Kenningham vom britischen Analysehaus Capital Economics. Eine Rezession werde dadurch wahrscheinlicher. Andere Wissenschaftler halten größere Verluste für möglich. Die Industrie ist ganz dirkekt betroffen. „Entlang der großen Flüsse finden sich etliche Industrie- und Kraftwerksstandorte“, sagt Boris Lehmann, Professor für Wasserbau und Hydraulik an der Technischen Universität Darmstadt. Die Industrie nutze das Flusswasser als Prozess- und/oder Kühlwasser. Sei zu wenig Wasser im Fluss, „ist das Auspumpen der benötigten Wassermengen aus dem Fluss nicht mehr möglich, da beispielsweise die Pumpenansaugstutzen mangels ausreichender Überdeckung mit Wasser neben dem Flusswasser auch Luft ansaugen“. Flussnahe Kraftwerke entnehmen Kühlwasser und leiten es erwärmt wieder ein. Das Problem: Bei bestimmten Pegelständen könnte dieses Verfahren untersagt werden. Kühlwasserabhängige Kraftwerke könnten ganz abgeschaltet werden. Das soll der „Aktionsplan Niedrigwasser Rhein“verhindern helfen. Den hat das Bundesverkehrsministerium nach den Erfahrungen mit dem Niedrigwasser im Jahr 2018 nach Aussagen eines Sprechers „zusammen mit großen Industrieunternehmen an Rhein und Mosel und Vertretern aus Schifffahrt und Logistik“aufgestellt „und Maßnahmen vereinbart, mit denen zuverlässig kalkulierbare Transportbedingungen am Rhein auch bei einer möglichen Häufung klimawandelbedingter extremer Niedrigwasserereignisse sichergestellt werden sollen“. (abo)