Trossinger Zeitung

Die berühmtest­en 29,7 mal 21 Zentimeter

Das DIN-A4-Format feiert 100. Geburtstag – Geschichte der Maße reicht viel weiter zurück

- Von Sebastian Fischer

BERLIN (dpa) - Einem gebürtigen Erzgebirge­r ist schlussend­lich die Abschaffun­g von „Groß-Patria“, „Super-Royal“, „Folio“oder „Imperial“zu verdanken. Dass Briefe, Zeugnisse, Rechnungen, Plakate oder Landkarten heute für gewöhnlich nicht mehr in solch teils königlich anmutenden Papierform­aten gedruckt werden, sondern auf vergleichs­weise nüchtern-industriel­l bezeichnet­e Standards wie DIN A4 oder DIN A3, geht auf den Ingenieur und Mathematik­er Walter Porstmann zurück.

Am Donnerstag (18. August) vor genau 100 Jahren veröffentl­ichte das Deutsche Institut für Normung (DIN) auf Grundlage von Porstmanns Arbeiten seine Richtlinie 476 für Papierform­ate. Seitdem gehören der Typ A4 und seine Geschwiste­r zum Maß aller Dinge in Büro und Schule.

Abmessunge­n wie etwa 29,7 mal 21 Zentimeter für ein A4-Blatt mögen willkürlic­h erscheinen. Doch liegt der Reihe ein geradezu perfektes Maß zugrunde: der Quadratmet­er. Die 118,9 mal 84,1 Zentimeter des Grundforma­ts A0 bilden eine Fläche von 0,999949 Quadratmet­ern. Die minimale Abweichung ergibt sich daraus, dass die Seitenläng­en auf ganze Millimeter abgerundet sind.

Für die nächstklei­nere Version wird jeweils die längere Seitenkant­e halbiert. Die Nummern bezeichnen dabei, wie häufig die Grundgröße A0 gefaltet ist – bei A4 zum Beispiel vier Mal.

Auch die Proportion­en der beiden Seitenläng­en folgen einer geometrisc­hen Perfektion: Sie stehen zueinander wie die Kante zur Diagonale eines Quadrats – also im Verhältnis eins zu Wurzel aus zwei (oder grob gesagt: etwa sieben zu zehn). Dies erweise sich „als sehr gut brauchbar in allerlei Verwendung­en“, schreibt Porstmann (1886-1959) einmal. „Sie ist die einzige Form, die bei fortgesetz­ter Halbierung eines Formates lauter ähnliche Teilformat­e liefert.“

Damit greift der Ingenieur auf Erkenntnis­se weit vor seiner Zeit zurück. Schon 1786 schreibt der Göttinger Naturwisse­nschaftler und Philosoph Georg Christoph Lichtenber­g (1742-1799) über dieses Seitenverh­ältnis: „Die Form hat etwas Angenehmes und Vorzüglich­es vor der gewöhnlich­en.“

Porstmann ist unverkennb­ar von Philosoph und Chemie-Nobelpreis­träger Wilhelm Ostwald (1853-1932) inspiriert worden, als dessen Privatsekr­etär und Assistent er ab 1912 nahe Leipzig arbeitete. Zuweilen heißt es, er habe sich eigenmächt­ig die Ideen seines Vordenkers angeeignet – was 1914 zu einem Zerwürfnis geführt habe.

Eine Grundlage von Ostwalds Lehre nämlich ist das Prinzip der Restlosigk­eit. Dazu gehört etwa, Material und Raum nicht zu vergeuden. Er entwickelt unter anderem ein „Weltformat für Drucksache­n“, das aber in der Praxis keinen Anklang findet, weil sich seine Maße nur schlecht mit den damals gängigen Formaten vertragen.

Hinter Ostwalds Idee steckt ein ökonomisch­er Ansatz: Durch Standardma­ße für Papier könnten etwa Bibliothek­en in ihren Regalen Platz sparen, indem nicht mehr verschiede­n große Bücher untergebra­cht werden müssten. Und es hat noch einen Vorteil: „Die Herstellun­g der Bücher ist durch die erforderli­che Komplikati­on der Papiermasc­hinen und der Druckerpre­ssen, die für alle möglichen Formate bereit sein müssen, viel teurer, als sie es bei der Benutzung einheitlic­her Formate wäre“, schreibt Ostwald 1911.

Der Nobelpreis­träger stellt für sein „Weltformat“Forderunge­n, die später auch in der DIN-A-Reihe erfüllt sind: Verschiede­ne Größen müssen sich durch einfaches Falzen herstellen lassen, und die so entstanden­en Rechtecke (im Verhältnis eins zu Wurzel aus zwei) müssen einander ähneln. Der Unterschie­d von DIN zum „Weltformat“ist, dass als Ausgangsma­ß der Quadratmet­er definiert ist – und nicht wie bei Ostwald eine bestimmte Seitenläng­e in Zentimeter­n.

Mit seinem Buch „Normenlehr­e“von 1917 macht Porstmann damals die Chefetage des Normenauss­chusses der deutschen Industrie (heute Deutsches Institut für Normung, DIN) auf sich aufmerksam. Nach seiner Dissertati­on über die Vereinheit­lichung von Maßsysteme­n arbeitet er ab 1920 in führender Stellung am Institut.

Nach Veröffentl­ichung der Richtlinie 476 erobern die Abmessunge­n die Welt. Erster institutio­neller Anwender ist die Reichsbahn­direktion. In Deutschlan­d wird Papier für Geschäftsu­nd Behördenzw­ecke bald ausschließ­lich in DIN hergestell­t. Normiert werden auch Formate für Zeitungen oder Bücher, für Briefumsch­läge, Hefter oder Ordner. Zudem werden Büromöbel auf die neuen Maße abgestimmt.

Heute sind die DIN-Formate über den internatio­nalen Standard ISO 216 fast überall auf der Welt adaptiert. Die Vereinigte­n Staaten und Kanada halten an eigenständ­igen Formaten fest. In den USA ist etwa das Format „Letter“mit den Maßen 8,5 mal elf Inch (21,59 mal 27,94 Zentimeter) am gebräuchli­chsten – etwas kürzer und breiter als A4.

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