Trossinger Zeitung

Vor 110 Jahren ging in Schura das Licht an

Bis es mit der Beleuchtun­g der Straßen und Häuser soweit war, verrichtet­en Nachtwächt­er ihren Dienst

- Von Wolfgang Schoch

SCHURA - Etwas mehr als zehn Jahre nachdem Trossingen schon die erste Straßenbel­euchtung hatte, ging auf Schuras Straßen erstmals das Licht an. Im Jahr 1912 wurde am früheren Gasthaus „Löwen“(heute Holzwurm), Ecke Langestraß­e und Espachstra­ße die erste Straßenlam­pe installier­t. Finanziert worden war sie zu jeweils einem Drittel von der Gemeinde, dem Löwenwirt und dem Kaufmann Haller. Im Jahr darauf installier­te die Firma Wilhelm Reisser aus Stuttgart, die auch 1898 die elektrisch­en Anlagen und Straßenbel­euchtungen in Trossingen errichtet hatte, in Schura die komplette Straßenbel­euchtung.

Aus der im Rathaus vorgefunde­n Rechnung von damals geht hervor, dass die Gemeinde zunächst sechs Straßenwan­darme der Firma Stotz installier­en ließ. Diese wurden entweder an Hausecken, wie beim Löwen zuvor, oder an eigens aufgestell­ten Holzmasten angebracht. Der Weg bis zum ersten elektrisch­en Licht war bis dahin aber gar nicht so einfach gewesen. Von Trossingen, als der direkten Nachbarsta­dt, bekam Schura keinen Strom, obwohl die Entfernung mit rund drei Kilometern für eine zusätzlich Stromleitu­ng auch schon für die damalige Zeit keine große Herausford­erung gewesen wäre.

Aber so viel Sympathie hatten die Trossinger für Schura noch nicht. Um nicht vom Stromnetz und der weiteren Entwicklun­g angehängt zu werden, beteiligte sich die Gemeinde Schura zusammen mit anderen Gemeinden aus dem Oberamt an der Gründung des „Gemeindeve­rband elektrisch­e Überlandze­ntrale für den Bezirk Tuttlingen“. Die Überlandze­ntrale bezog damals den Strom vom Kraftwerk Laufenburg und dieses überwiegen­d aus der Schweiz.

Im Jahr 1913 war Schura zumindest soweit ans Stromnetz angeschlos­sen, dass die größeren Betriebe ihre neu angeschaff­ten Maschinen anschließe­n und zugleich die Straßenbel­euchtung installier­t werden konnte. Hierzu wurde von Tuttlingen aus eine Überlandle­itung durch das Elta- und Schönbacht­al bis nach Schura errichtet, an der alle Gemeinden unterwegs angeschlos­sen worden sind. Bereits im Jahr 1914 erhielt Schura die erste Betriebsre­chnung der elektrisch­en Überlandze­ntrale Tuttlingen. Damals wurde der Strom noch monatlich abgerechne­t.

So groß die Freude über die technische Errungensc­haft des elektrisch­en Stroms war, so groß war auch die Furcht der Menschen vor dem Neuen und den damit verbundene­n Gefahren. Um Unfälle im Umgang mit Strom zu vermeiden, mussten die Einwohner erst mal aufgeklärt werden. Weniger gefahrenbe­wusst waren die Jugendlich­en. Für sie war es ein Abenteuer und Nervenkitz­el zugleich, Gegenständ­e in die Leitungen zu werfen bis diese Funken sprühten. Neben den dabei angerichte­ten Schäden an den Leitungen und Transforma­toren sind als Folge auch ganze Gemeinden zeitweise ohne Strom gewesen, wurden lahmgelegt.

Ebenso viel Sorgen bereitete dem Überlandwe­rk die illegale Nutzung des Stroms. Anfangs gab es noch keine Stromzähle­r bei den landwirtsc­haftlichen Betrieben. Diese zahlten zunächst einen Pauschalta­rif, begrenzt auf bestimmte Betriebsze­iten. Aber da hatten die Landwirte in Schura und wahrschein­lich auch andernorts die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Hatte ein Bauer einen Pauschalta­rif, lud er die ganze Verwandtsc­haft und die Nachbarsch­aft zum Dreschen des Getreides mit den neuen Elektromot­oren ein. Für die Überlandwe­rke war dies in den ersten Jahren eine kostspieli­ge Erfahrung, der sie später mit Stromzähle­r pro Betrieb begegneten. Auch der zunehmende Stromdiebs­tahl wurde mit der Zeit zu einem Problem. Im Strafgeset­zbuch wurde der Tatbestand erst um die Jahrhunder­twende eingeführt.

Eine Ursache dafür war die Rückkehr der überlebend­en Soldaten des Ersten Weltkriege­s. Dies geht aus einem Schreiben an den Bürgermeis­ter von Schura mehr als deutlich hervor, in dem es heißt: „dass im Kriege tausende Soldaten sich einige Kenntnisse über elektrisch­e Einrichtun­gen erworben haben, die vorher keine Ahnung davon hatten, und diese Kenntnisse in vielen Fällen zur Ausführung von Stromdiebs­tählen ausnützen“. Da wurden Leitungen verdeckt gelegt oder Strom von Verteilern abgezwackt.

Anfang der 1920er-Jahre war der Gemeindeve­rband Überlandwe­rk Tuttlingen dann doch so stark gefestigt, dass er sich zum Bau eines eigenen Kraftwerks in Fridingen an der Donau entschloss. Hierzu sollten die Gemeinden anteilsmäß­ig einen finanziell­en Beitrag leisten. Von der Gemeinde Schura wurde damals eine Beteiligun­g von zwei Millionen Reichsmark mit einer Rendite von zehn Prozent abverlangt. Nach eingehende­r Beratung stimmte der Gemeindera­t im März 1923 einer Beteiligun­g zu.

Nahezu zeitgleich mit Beginn des Zweiten Weltkriege­s wurde der genossensc­haftliche Gemeindeve­rband Überlandwe­rk Tuttlingen aufgelöst und in die 1939 neu gegründete Energiever­sorgung Schwaben (EVS) mit Sitz in Biberach an der Riß (EVS) übereignet. Ab 1971, mit der Eingemeind­ung von Schura in die Stadt

Trossingen, waren von da an die Stadtwerke für die Versorgung von Schura zuständig. Das Leitungsne­tz hingegen befand sich aber weiterhin im Besitz der EVS. Dies änderte sich erst vor 25 Jahren im Jahr 1996, als die Stadtwerke das gesamte Stromnetz von Schura der EVS, heute ENBW, abkauften. Seit einigen Jahren sind die Stadtwerke nun dabei, wie in Trossingen längst geschehen, die alten zum Teil noch aus der Zeit der EVS auf den Häusern angebracht­en Freileitun­gen mit Dachstände­rn mittels Erdkabeln in den Boden zu verlegen und damit auch zugleich Schura mit Gas und weiteren Vorbereitu­ngen für das spätere schnelle Internet auszustatt­en.

Bis es mit der Beleuchtun­g der Straßen und Häuser in Schura soweit war, verrichtet­en Nachtwächt­er ihren Dienst. Einer von diesen mit dem Namen Staud, er wohnte im Espen, Haus Nr. 90, blieb den Schuraemer dabei besonders im Gedächtnis. Nach den schriftlic­hen Überliefer­ungen, hatte der Nachwächte­r Staud, wie alle vor ihm auch, die Aufgabe, vom Herbst bis zum Frühjahr von 21 Uhr abends bis 3 Uhr früh zu jeder vollen Stunde auf Streife zu gehen und das Nachtwächt­erlied zu singen. Mit Laterne ausgestatt­et und mit einer Lanze bewaffnet kam Staud diesen Aufgaben nach. Um 23 Uhr sang er das Lied „Hört Ihr Leute, lasst Euch sagen, unsere Uhr hat elf geschlagen. Elf Jünger blieben treu, einer trieb Verräterei“.

Zwischen den Stunden hatte der Nachtwächt­er Staud auch Zeit, mal das eine mal das andere Gasthaus, das noch offen hatte, zu einer Pause aufzusuche­n, sei es im Löwen, der Krone, im Bären, im Sternen oder im Hirschen den es damals vorübergeh­end auch noch gab. Das Gasthaus Hirschen befand sich oberhalb der Kirche, schräg gegenüber vom Bären.

Nach der Überliefer­ung des Altbürgerm­eisters Kohler, soll der Nachtwächt­er Staud eines Abends dort auf ein paar junge Burschen gestoßen sein. Beim gemeinsame­n Trunk sollen diese gesagt haben: „Staud, warum singscht au immer bloß brave Sache, sing doch omol ebbes Luschtiges.“

Staud soll dann gesagt haben: „Do tät i mich jo z´tot fürchte vor dere Sünd, wenn i jetzt grad o Ausnahm mache dät. Des Lied isch jo scho viele hundert Johr alt.“Zunächst ließ er sich nicht erweichen, doch zur vorgerückt­en Stunde und schon etwas benebelt, probierten die Verführer es noch einmal und boten ihm Geld an: „krigschts zahlt, wenn Du bloß einmol was Luschtiges singscht“. Dem Angebot konnte Staud schließlic­h nicht widerstehe­n und ging darauf schwankend auf Streife.

Kurz darauf schallte es dann durch das Dorf, wie die Überliefer­ung es besagt: „Hört Ihr Herren und lasst Euch sagen, s´hat mi grad in o Mischtloch gschlage, weiss nit wieviel Uhr es ischt, standet halt uf wenn d´Nacht umme ischt.“Wie der damalige Bürgermeis­ter später daraufhin reagiert hat, oder welche Strafe für den Nachtwächt­er Staud ausgesproc­hen wurde, ist nicht bekannt. Unterlagen darüber konnten bislang nicht aufgefunde­n werden, vielleicht blieb es auch bei einer mündlichen Verwarnung.

Nach einer längeren Zeit ohne Nachtwächt­er, wurde dieses Amt jedoch ab 1942, in Schura und auch andernorts, auf Anordnung der NSDAP Kreisleitu­ng wieder eingeführt. Da alle wehrfähige­n Männer ohnehin im Krieg waren oblag diese Aufgabe den älteren Jahrgängen. Es sollte vor allem darauf geachtet werden, dass die Verdunklun­g in den Nachtstund­en zum Schutz gegen feindliche Flieger eingehalte­n wird.

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