„So extrem war es noch nie“
Das Tierheim platzt aus allen Nähten - Tiere werden oft einfach „weggeworfen“
SPAICHINGEN - Wer Tiere liebt, der könnte fast eine Abneigung für Menschen entwickeln. Das zumindest ist das Gefühl, das einen beschleicht, wenn man derzeit das Spaichinger Tierheim besucht. Denn wie anderswo auch, platzt es aus allen Nähten. Es gibt Wartelisten für Abgabetiere und fast täglich müssen ausgesetzte oder vernachlässigte Tiere aufgenommen werden. Der Coronaeffekt? Es war einsam und langweilig und überhaupt, Homeoffice. Also beschafft man sich ein Tier. Und das lässt sich anschließend nicht in die Ecke stellen, während des Urlaubs zum Beispiel. Und es macht Arbeit. Also muss es weg.
So begründen die Leute natürlich ihren Abgabewunsch nicht. Aber erstaunlich sei es schon, dass ausgerechnet im Juli und August die Oma krank wird, die Wohnung gewechselt, oder was auch immer. Tierheimleiterin
ANZEIGE
Ludmilla Eferl will nicht das Schlechteste denken. Aber sie wundert sich manchmal schon: Die Katzen sind zum Teil unkastriert, die Häschen auch, manchmal sollen sie wild gefunden worden sein, sind aber total zahm.
„Man kann nicht immer alles glauben“, sagt Eferl. Und kümmert sich halt doch, wenn Tiere gefunden werden. Für Abgabekatzen gibt es eine Warteliste. „Es tut uns weh, Nein zu sagen, aber es geht einfach nicht mehr.“Fest steht: „So extrem war es noch nie“, sagt die Tierheimleiterin. Das Haus ist voll mit Hunden, Katzen, Kaninchen, und natürlich Pensionstieren für den Urlaub - eine unabdingbare Einkommensquelle für den Verein.
So viele Tiere zu versorgen, die ärztlichen Behandlungen und Kastrationen zu bezahlen, notfalls zu unterstützen, wenn jemand die Kosten für seine Tiere nicht bezahlen kann, bevor wieder neue Tiere in schlechten Verhältnissen geboren werden... all das kostet Geld, viel Geld. Ganz zu schweigen von einer dringend nötigen fest angestellten Kraft, um die längst in Rente seiende ehrenamtliche Heimleiterin zu ersetzen. Aber das ist eine Aufgabe, die auf anderer Ebene zu bewältigen ist.
Beim Gang durchs Heim weist Eferl auf eine Rassekatze im Raum für die Seniorentruppe hin. „Die hat keiner gesucht!“, sagt sie fassungslos. Katzen um die zwölf Jahre, werden oft abgegeben wegen schwerer Krankheit oder Scheidung der Besitzer. Die Senioren sind fast alle ein bisschen eigen. Manche misstrauisch, manche inkontinent, manche eigenbrötlerisch.
Halt wie Menschen. Bruno zum Beispiel will nicht gekuschelt werden. Aber gucken kommt er schon an die Tür. Schwierige Katzen brauchen verständige Menschen. Am Besten verständige Senioren. Jede Menge kleiner Kätzchen sind gerade da.
Man kann es einfach nicht verstehen, dass sie ausgesetzt wurden, manchmal sogar mitsamt der Mama. Die Rasselbande trübt aber kein Wässerchen, es wird getollt und gejagt, die Beine hochgeklettert und die Fototasche inspiziert.
Ein ganz heikles Thema ist das der Kastration. Denn die kostet 70, 80 Euro. Aber unkastrierte Tiere produzieren nur jede Menge Nachwuchs, der wieder Fürsorge, und Geld, braucht. Ein Teufelskreis. Wer wirklich nicht zahlen kann, dem hilft der Tierschutzverein. Aber oft wollen die Besitzer sich offenbar nicht kümmern.
Andrea Kienöhl ist gerade mit zwei beschlagnahmten Kaninchen gekommen. Sie ist vom Tierschutzverein Rottweil und hat den Nachbarverein um Hilfe gebeten, denn es waren viele Kaninchen, die Unterschlupf brauchten. Sie hat eine klare Meinung: Seit 2013 gebe es ein Gesetz, das es den Gemeinden ermöglicht, eine Kastrationspflicht zu verhängen. „Jeder Freigänger muss gechipt, kastriert und registriert sein.“Das würde auch der um sich greifenden Neigung von manchen Menschen entgegentreten, sich ein (möglichst Rasse-) Tier anzuschaffen, Hund oder Katze, und davon Nachwuchs produzieren zu lassen. Bei Katzen oft drei Mal im Jahr, was die Mütter natürlich auslaugt.
Der Nachwuchs wird dann auf EBay verhökert. Ohne Sachkundenachweis, oft ohne ärztliche Versorgung und fast immer ohne Steuern. Kienöhl nennt diese Leute „Vermehrer“. Eigentlich wäre das auch eine Angelegenheit fürs Finanzamt, sagt sie.
Ludmilla Eferl ist skeptisch: „Wie wollen Sie die Kastrationspflicht kontrollieren?“
Kienöhl ist aber von der Notwendigkeit überzeugt: „Wenn wir nichts machen, haben wir die gleichen Zustände wie im Ausland.“