Nach dem Goldlauf ins Krankenhaus
Für Gina Lückenkemper ist der EM-Titel über 100 Meter eine Genugtuung
MÜNCHEN (SID) - Gina Lückenkemper lag am Morgen nach dem Lauf ihres Lebens glückselig im Bett, sie hielt einen Kaffee in der Hand. Ein großes Pflaster bedeckte ihre Wunde am linken Bein, Europas neue Sprintkönigin musste noch in der Nacht mit acht Stichen genäht werden. Aber egal. Lückenkemper war ja sensationell zu EM-Gold über die 100 m gerannt, der größte Triumph ihrer Karriere – und was war das für eine Show im Olympiastadion.
„Kann mich mal wer kneifen? Ist das gestern wirklich alles passiert?“, fragte Lückenkemper ungläubig bei Instagram: „Oder war das nur ein Traum?“
Aber Lückenkemper hat nicht geträumt, mit einem super Finish machte sie ihren größten Traum wahr. Nach 10,99 Sekunden stürzte sich Lückenkemper ins Ziel zu Gold – nur fünf Tausendstelsekunden vor der Schweizerin Mujinga Kambundji. Bronze ging an die Britin Daryll Neita (11,00).
„Ich bin überglücklich und kann das alles noch gar nicht so richtig fassen“, sagte Lückenkemper, der ihre Wunde im Gefühlstaumel zunächst gar nicht auffiel, weil sie „voller Adrenalin“war. Lückenkemper weinte vor Glück, schrie ihre Freude heraus, auf den Tribünen feierten die 40 000 Fans eine riesige Leichtathletikparty.
Erst später, mit der Deutschlandfahne um die Schultern, bemerkte
Lückenkemper das Blut an ihrem linken Bein. Sie hatte alles, ja wirklich alles hineingeworfen in diesen Goldlauf – und war nach dem Ziel gestürzt. Dabei schlitzte sich Lückenkemper wohl mit den Spikes das Bein etwas auf. Mutter und Vater waren bei ihr, als Sanitäter die Wunde versorgten. Später ging es dann noch ins Krankenhaus. „Aber mir geht es gut“, sagte Lückenkemper, nachdem sie um 1.10 Uhr im Teamhotel ankam und vom Rest der Mannschaft gefeiert wurde. Ihr Staffelstart am Sonntag scheint nicht gefährdet zu sein.
Vor vier Jahren hatte Lückenkemper in Berlin schon EM-Silber gewonnen, jetzt ist sie Europas neue Sprintkönigin – was für eine Genugtuung. Denn die Jahre dazwischen waren hart, Verletzungen bremsten Lückenkemper ein, sie war nicht mehr schnell, musste Spott und Häme über sich ergehen lassen. „Wenn jemand vor einem Jahr, wo es nach wie vor schwierig für mich war, so an mich geglaubt hätte, hätte ich diesen Menschen unfassbar gefeiert“, sagte Lückenkemper in der ARD.