Trossinger Zeitung

Die Bühne als Bilderräts­el

Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck schicken mit „Melencolia“das Publikum in Bregenz auf Reisen

- Von Katharina von Glasenapp

Melancholi­sch macht diese zweite Neuprodukt­ion der Bregenzer Festspiele nicht – eher lässt „Melencolia“staunen über die Flut an Bildern, Farben, Klängen, Videos, künstliche­n Intelligen­zen, die die deutsche Komponisti­n Brigitta Muntendorf gemeinsam mit dem Regisseur Moritz Lobeck und ihrem Team von Video, Licht- und Klangregie über die Werkstattb­ühne hereinbrec­hen lässt. Auf drei Screens werden teils höchst ästhetisch­e, auch wundersame Videos gezeigt (Veronika Simmering sowieso Andreas Huck und Roland Nebe von Warped Type haben die visuellen Welten und Videos entwickelt), vor zwei Greenscree­ns agieren dazu Instrument­alisten und Sängerinne­n live und werden zugleich in die großen Screens „montiert“.

Das ist zum Teil schrill in den Farben, bevorzugt pink, neongrün, lila, grau, überborden­d in den Formen und Farben, phantasiev­oll, witzig und reich an Assoziatio­nen. Und es ist vor allem eine Hommage an das Ensemble Modern, die instrument­altechnisc­hen Fähigkeite­n der spielfreud­igen Musikerinn­en und Musiker, die sich auch szenisch, in Kostüm und langhaarig­en Perücken, sprechend und singend einbringen. Gemeinsam mit den Bregenzer Festspiele­n hat das in Frankfurt beheimatet­e Ensemble Modern der Komponisti­n den Auftrag gegeben, in vielen

Gesprächen wurde das Projekt entwickelt und auf die Mitglieder und ihre besonderen Möglichkei­ten zugeschnit­ten.

Auf Wunsch der Festspiele hat Brigitta Muntendorf auch für sechs Damen des Festspielc­hors eine Ensemble-Rolle komponiert: in hautengen grünen Kleidern und hohen Schuhen bilden sie einen ungemein harmonisch­en Background­chor in zum Teil höchsten Höhen (Einstudier­ung: Benjamin Lack), bewegen sich schlangeng­leich oder fungieren als Cheerleade­rinnen.

Auch die digitale Welt hat Einzug gehalten bei den Festspiele­n, schon im Foyer kann man QR-Codes scannen und sich in einen wispernden, flüsternde­n, schwebende­n „virtuellen

Chor der Melancholi­e“einfügen – die zugehörige App zieht allerdings viel Saft aus dem Handy-Akku, deshalb wurde sie lieber ausgemacht… In sieben Bilder haben Muntendorf und Lobeck ihre „Show gegen die Gleichgült­igkeit des Universums“, so der Untertitel, gegliedert: ausgehend von Albrecht Dürers berühmtem Kupferstic­h, in dem ein geflügelte­s Wesen seinen Kopf in die Hand stützt und der in seiner Bildsprach­e ebenso rätselhaft wie vieldeutig ist, geht die Reise durch verschiede­ne Welten: Künstliche Intelligen­z in Kommunikat­ionssystem­en spielt ebenso hinein wie die drei Nornen, die die Schicksals­fäden der Welt in ihren Händen halten und spinnen. Für viele Fußballfan­s war der historisch­e Kopfstoß, mit dem Zinédine Zidane bei der WM 2006 seine Karriere beendete, ein besonderer Moment der Melancholi­e: kunstvoll verfremdet in der Verbindung von Video, Fußballrep­ortage und einem französisc­hen Text von Jean-Philippe Toussaint steht diese Szene im Zentrum. Eingebunde­n in Videos von Häuserschl­uchten und Architektu­r ist der aus dem Iran stammende Musiker Saeid Shanbehzad­eh mit seinem besonderen dudelsacka­rtigen Instrument, dem Ney-anban.

Mit seinem Wolkenanzu­g, seiner Perücke, seinen Geschichte­n und seiner Musik ist er ebenso wie die Nornen, ein „digitaler Gast“auf der Leinwand. Vor einer japanisch inspiriert­en Winterszen­e singt Megumi Kasakawa, die Bratschist­in des Ensembles, einen beliebten japanische­n Popsong über die Flüchtigke­it des Lebens. Der rätselhaft­e Reigen endet zurückgeno­mmen mit dem Bild eines Embryos, der die Gedanken des englischen Philosophe­n Thomas Browne über den Zustand dieser Welt entwickelt.

Brigitta Muntendorf­s Musik dazu wirkt ebenso vielschich­tig, zitathaft, bilderreic­h, gut hörbar, aber nicht wirklich greifbar. Zu den live gespielten Instrument­en und den Sängerinne­n mischen sich elektronis­che Klänge, dazu verwandeln 60 Lautsprech­er die Werkstattb­ühne in einen Klangdom, der das Publikum einhüllt und eintauchen lässt in ein Hörabenteu­er der besonderen Art.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING „Melencolia“präsentier­t rätselhaft­e Szenen und Musik.

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