Umzug der Produktionsstätte sprengte Finanzen
Serie „Trossingens Vereine“: Verein Lebenshaus und Nudelhaus
TROSSINGEN (hoc) - Teigwaren des Nudelhauses Trossingen sind seit Jahren weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Das Nudelhaus gibt es seit 1992 als Zweck- und Wirtschaftsbetrieb des Vereins Lebenshaus e.V. – gegründet als Manufaktur für Menschen mit Behinderungen und existenziellen Problemen, die im Trossinger Lebenshaus an der Kirchstraße eine Wohnung auf Zeit gefunden haben und vom Verein begleitet werden. Die Einrichtungen stehen heute im Mittelpunkt unserer Sommer-Serie über „Trossingens Vereine“.
Was in der Weidenstraße 3-5 aus sozialer Verantwortung begann, entwickelte sich zu einem Geschäftsmodell mit heute mehr als 30 Mitarbeitern. „Das Unternehmen expandierte und kam mit der Produktion an Grenzen“, blickt Claudia Liehner, 2. Vorsitzende des Vereins Lebenshaus, zurück. Wegen baulicher Unzulänglichkeiten sei zudem im Frühjahr 2018 der Antrag auf eine EU-Zulassung des Betriebs mit Verarbeitung von Frischeiern und Fleisch am bisherigen Standort abgelehnt worden. „Damit war für die Verantwortlichen des Vereins klar: Eine neue Produktionsstätte musste gefunden werden, und das möglichst schnell.“
Zeitgleich stand der Verkauf des ehemaligen Trossinger Bahnhofs an, der bislang von den Stadtwerken als Betriebsgelände genutzt wurde. Architekt Jochen Möller kam im April 2018 im Auftrag der Stadt Trossingen auf den Verein zu und bot die Immobilie an.
Vorplanungen und Gespräche folgten – mit dem Veterinäramt, mit der Denkmalbehörde wegen der denkmalgeschützten Güterhalle. Bereits am 20. Juni wurde in der Mitgliederversammlung dem Kauf des Objekts zugestimmt, am 1. August der notarielle Kaufvertrag abgeschlossen und am 30. September fand die Übergabe statt. Ermöglicht wurde der Transfer auch durch eine Förderung von 500 000 Euro von der Hildegard-und-Katharina-HermleStiftung aus Gosheim, so Claudia Liehner.
So konnte im Dezember 2018 mit dem Rückbau des Bahnhofsgebäudes durch ehrenamtliche Helfer begonnen werden. Der Verein beauftragte Architekt Johannes Gläser als Bauleiter.
Die Baugenehmigung wurde im März 2019 erteilt. Da am Bahnhofsgebäude aus dem Jahr 1898 zahlreiche Umbauten vorgenommen worden waren, warteten enorme bauliche Herausforderungen. „Die Tragstruktur war voller Mängel“, erinnert sich Claudia Liehner. „Die Räume waren unterschiedlich hoch, es gab viele Unterzüge und
Träger. Die Wände standen teilweise nicht übereinander. Der Bahnhof und die Güterhalle hatten unterschiedliche Höhenniveaus. Die Bestandsböden waren für das Gewicht der Produktionsmaschinen nicht ausreichend tragfähig. Eine Bodenplatte im Keller und tragende Wände fehlten. Die Wände des unterkellerten Teils der Güterhalle waren instabil. Die Raumaufteilung der bisherigen Stadtwerke-Verwaltung war für das komplexe Raumprogramm des Nudelhauses ungeeignet.“
Die zahlreichen Arbeiten wurden geplant, die Gewerke ausgeschrieben und ausgeführt. „Zum Beispiel musste ein Teil der Güterhalle tiefergelegt, neue Bodenplatten eingezogen, die Höhendifferenz mit Treppen und zwei Hubliften ausgeglichen und behindertengerechte Zugänge geschaffen werden“, erläutert Claudia Liehner. Jetzt laufe der Boden auf einer Ebene durch. Der Bodenbelag sei, soweit arbeitsschutztechnisch möglich, in allen Produktionsräumen einheitlich. Im Eingangsbereich sowie in den Umkleide- und Aufenthaltsräumen sei Eichenparkett verlegt. „In der Güterhalle wurde eine
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Nudelhaus Trossingen
Haus-in-Haus-Bauweise umgesetzt, das heißt, die Wände verkleidet.“Die Hallentore seien durch Glastüren und Fenster ersetzt worden. „Die Fassade des Bahnhofs und der Turm erstrahlen in neuem Glanz.“Wert gelegt worden sei auf BeleuchtungsAchsen, verglaste Maueröffnungen und lichtdurchlässige Bauteile, „um alle Bereiche mit Tageslicht zu versorgen und als Einheit erlebbar zu machen“. Alle Bereiche in der Güterhalle und der Produktion verbinde ein bunter Fliesenfries – zur Orientierung in verschiedenen Farben gehalten.
Die Zahlen zum größten Projekt in der Geschichte des Vereins Lebenshaus verdeutlichen dessen Umfang: Güterhalle, Untergeschoss,und Produktion umfassen 590 Quadratmeter, Umkleide- und Aufenthaltsräume 90 Quadratmeter, Ladengeschäft, Lager und Büroräume 160 Quadratmeter; etwa 100 Handwerker, die meisten aus der Region, waren am Bau beteiligt; deutlich mehr als 1000 Arbeitsstunden wurden von Ehrenamtlichen geleistet; Mini-Jobber und Helfer, die Sozialstunden ableisten mussten, waren im Einsatz.
Die Kosten des Umbaus betragen laut Claudia Liehner nach derzeitigem Stand das Dreifache der ursprünglich geplanten Bausumme. „Dank einer erneuten Förderung durch die Hildegard-und-KatharinaHermle-Stiftung konnten die Baumaßnahmen beendet werden. Dazu kamen Spenden der Stadt, des Landkreises, von Privatpersonen sowie ein beträchtliches Darlehen eines Trossinger Bürgers.“
Die neue Produktionsstätte Nudelhaus ging im Mai 2021 an der Bahnhofstraße 9 in Betrieb. „Die Mitarbeiter mit Geschäftsführer Udo Zaiß haben sich mit den Veränderungen schnell angefreundet, denn: Statt Säcke zu schleppen und die Maschinen zu befüllen, bläst nunmehr eine Mehlförderanlage Mehl und Gries direkt in die Teigmaschinen.“Die Anlieferung von Waren könne direkt über eine Rampe erfolgen. Die Einheit von Produktionsstätte, Lager und Ladengeschäft entlaste Organisation und Logistik.
„Wir haben diese Etappe mit viel Energie und Unterstützung geschafft und für Trossingen eine moderne Produktionsstätte geschaffen. Jetzt geht es darum, das Team im Nudelhaus weiterhin zu begleiten, um auch künftig Produkte anzubieten, die bei den Kunden ankommen. Nur wenn wir erfolgreich sind, wird der Verein die Schulden tilgen können,“lautet das Resümee der Vorsitzenden des Vereins, Dr. Ingrid Dapp.
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