Vom Bürgerkrieg geflohen, in Tuttlingen geblieben
Familie Sivagnanalingam stammt aus Sri Lanka, für die vier Kinder ist aber Deutschland die Heimat
TUTTLINGEN - Ja, seinen Namen müsse er des Öfteren buchstabieren, sagt Tanush Sivagnanalingam, und schreibt ihn zur Sicherheit auf einen Zettel. Er kennt das ja. „Beim Arzt und überall“, sagt er mit einem Lächeln. Der 22-Jährige ist eines von vier Kindern von Kirija und Sivagnanalingam Balasingam. Seine Eltern stammen aus Sri Lanka, seit mehr als 30 Jahren leben sie in Tuttlingen.
Dass der Vorname des Vaters zum Nachnamen der Kindern wird, ist in Sri Lanka üblich. Und wenn wir schon mal bei Namen sind: Die Geschwister heißen Pirasanna, Nivetha und Apishan. Sie sind allesamt in Deutschland geboren, inzwischen sind sie 18, 22, 24 und 26 Jahre alt. Tanush und sein älterer Bruder studieren, Physik in Heidelberg beziehungsweise Fahrzeugtechnik in Stuttgart, seine Schwester macht ein Soziales Jahr, sein kleiner Bruder ist gerade mit dem Abi fertig. Was er mal machen will – wer weiß das schon mit 18?
Die Mutter ist sichtlich stolz auf ihre vier Zöglinge. Auch wenn inzwischen nicht mehr alle zu Hause wohnen, in den Semesterferien kommt die Familie oft in der bescheidenen Wohnung in der westlichen Innenstadt zusammen. Familienfeste, sagen sie, sind in ihrer Kultur wichtig. Die kleinen wie die großen – und dann am liebsten richtig groß. „Wenn wir feiern, Hochzeiten oder Geburtstage, dann werden schon mal Hallen gemietet“, übersetzt Tanush für seine Mutter Kirija aus dem Tamilischen. Um die 30 andere tamilischen Familien leben in Tuttlingen, schätzt sie. Man kennt sich untereinander.
Die meisten kamen aus demselben Grund nach Deutschland wie die Sivagnanalingams: Sie flohen vor dem Bürgerkrieg. Die Bevölkerung von Sri Lanka, eine Inselgruppe südlich von Indien, ist geteilt in buddhistische Singhalesen und meist hinduistische Tamilen. Die Konflikte begannen mit der Kolonialisierung und verschärften sich in den 1980er Jahren. Bis 2009 dauerte der blutige Bürgerkrieg, auch heute gibt es noch Unruhen, zudem steckt das Land in einer Wirtschaftskrise.
In den 1990er-Jahren kamen Kirija und Sivagnanalingam Balasingam nach Deutschland, erst hier lernten sie sich kennen. Andere Verwandte waren schon da, über Ravensburg landeten die beiden in Tuttlingen. „Anfangs hatte ich Angst, dass ich wieder zurück muss, inzwischen aber nicht mehr“, erzählt Kirija. Zurück würde die Familie auch nicht mehr wollen.
Ihr Mann arbeitet seit etlichen Jahren beim Tuttlinger Bauhof, die Kinder sind gut integriert, Kirija fühlt sich in der sri-lankischen Gemeinde aufgehoben. Sie ist des Öfteren im Tempel in Singen – auch wenn der von der Größe her kein Vergleich sei zu denen in ihrer Heimat. Sie kommt aus dem Norden Sri Lankas, Jaffna ist eine tamilisch geprägte Stadt.
An Deutschland und die kulturellen Unterschiede hat sich die 61-Jährige längst gewöhnt. Wobei – das Essen? „Hm“, sagt Kirija und verzieht ein wenig das Gesicht. Ihr Sohn lacht: „Mir schmeckt beides“, sagt er. Kirija kocht lieber traditionell und tischt gleich mal einen Grießkuchen auf. Die sri-lankische Küche ist ähnlich der indischen. „Reis muss immer dabei sein“, sagt Kirija. In Tuttlingen gibt es einen Spezialitäten-Laden, den Rest kauft sie in der Schweiz ein – oder lässt sich auch mal was von Bekannten aus Sri Lanka mitbringen. Tee zum Beispiel.
Die Familie Sivagnanalingam ist nur selten in Sri Lanka – wenn dann der Vater, die Kinder zum Teil noch gar nicht. Tamilisch sprechen aber alle. „Also ich sollte es zumindest können“, sagt Tanush und lacht verlegen. Immer sonntags war er für einige Stunden in einer tamilischen Schule in Tuttlingen.
Dort ging es nicht nur darum, die Sprache zu sprechen, sondern auch Schreiben und Lesen zu üben. Mit den Eltern sprechen die Kinder nach wie vor in deren Muttersprache, erzählt Tanush, „unter uns Geschwistern haben wir aber schon immer Deutsch gesprochen“.