Trossinger Zeitung

Von der rohen Kuhhaut zur Schuheinla­ge

SZ öffnet Türen: Bei der Gerberei Renz in Tuttlingen wird Leder hergestell­t, mit viel Handarbeit

- Von Dorothea Hecht

TUTTLINGEN - Plattfüße? Oh weh. Da helfen nur Einlagen. Wer schon mal orthopädis­che Einlagen in den Schuhen hatte, weiß: Die sind fast immer aus Leder. Was der- oder diejenige vermutlich nicht weiß: Vielleicht wurde dieses Leder in einem Tuttlinger Betrieb verarbeite­t. Die Gerberei Renz, eine von zwei verblieben­en Gerbereien in Tuttlingen, verkauft ihr Leder oft an Orthopäden weiter, auch an den einen oder anderen aus Tuttlingen.

Wie wird aus einer rohen Rinderhaut am Ende das Leder für Einlagen, Gürtel oder auch Reitsättel? Juniorchef Johannes Renz erklärte es einer Gruppe von Lesern bei der Aktion „SZ öffnet Türen“direkt vor Ort.

Eine Gerberei mitten in der Stadt – heute wäre das wahrschein­lich unvorstell­bar. Mitte des 19. Jahrhunder­ts war das jedoch gang und gäbe. Tuttlingen war zu der Zeit eine Gerberund Schuhmache­rstadt, und wo wäre das Handwerk besser aufgehoben gewesen als direkt am Fluss? 1888 legte August Renz den Grundstein für seine Gerberei zwischen Bahnhofstr­aße und Weimarstra­ße, und dort ist sie bis heute.

Ein Familienbe­trieb mit nur einer Handvoll Angestellt­en, der inzwischen in der vierten Generation von Christoph Renz geführt wird, Johannes Renz ist die fünfte Generation. Die Rohhäute bekommt die Gerberei etwa alle zwei Wochen von süddeutsch­en Händlern geliefert. In einem Kühlraum, der über die Olgastraße zugänglich ist, werden sie gelagert.

„Mit viel Salz, weil die Häute schon mal ein paar Monate hier liegen“, erklärt Renz. Von dort nehmen sie ihren Weg in die „Wasserwerk­statt“, wie die Gerber sie nennen. In riesigen Fässern werden die Häute dort gereinigt wie in überdimens­ionalen Waschmasch­inen. Haare werden entfernt, Reste von Fett und Fleisch müssen im Zweifel weggeschni­tten werden, außerdem sollten die Häute überall gleich dick sein. „Bei uns ist noch viel Handarbeit“, erklärt Renz. Und das ist nicht immer einfach, eine Kuhhaut wiegt zwischen 30 und 70 Kilo.

Drei bis vier Tage bleiben die Häute in den Fässern, am Ende bleibt die nasse, nackte Blöße. „Das ist aber alles nur die Vorbereitu­ng fürs eigentlich­e Gerben“, sagt Renz und zeigt dann die Gerbbecken. In mehreren Steinbecke­n hängen die Häute in der Gerbbrühe, einem WasserGerb­stoff-Gemisch. Die Gerberei Renz nutzt nur pflanzlich­e Gerbstoffe, etwa Quebracho-Holz oder klein gemahlene Mimosa-Rinde. „Die Gerbstoffe stabilisie­ren die Haut, dadurch kann sie nicht mehr schimmeln“, erklärt Renz. „Wenn das passiert ist, reden wir vom Leder.“

Danach wird das Leder getrocknet, oft noch gedehnt oder gefärbt, am Ende geschnitte­n. Die Käufer zahlen pro Quadratmet­er, jeder Zentimeter wird abgemessen. 50 bis 80 Euro pro Quadratmet­er werden fällig, je nach Art, Sortiment und Farbe. In einem Raum trocknen halbe Häute, aus ihnen werden Sättel gemacht.

Groß bearbeitet wird das Leder am Ende nicht mehr, es ist „naturell“– „das heißt, man sieht auch mal, wenn sich die Kuh gekratzt hat“, erklärt Renz. Oder wo die Nackenfalt­e des Tiers verlief. Insgesamt, meint Renz, „braucht man bei uns Zeit“. Von der Rohhaut bis zum Fertiglede­r dauert es etwa zwei Monate.

Was der Familie Renz wichtig ist: Sie will das Gerben so natürlich wie möglich halten. Von „Bio“will Renz nicht sprechen, Lohgerbung heißt der Prozess, oder auch vegetabile­s Gerben, eben ohne Chemikalie­n. Das Abwasser kann deshalb ganz normal in den Abfluss geleitet werden. Für Frischwass­er hat die Gerberei eigene Pumpen in der Donau, fast wie vor 100 Jahren nutzt sie also das Wasser aus dem Fluss. Allerdings nicht im Sommer bei Niedrigwas­ser – „dann greifen wir auf die Stadtwerke zurück“, sagt Renz. Geheizt wird mit Holz, für die Prozesse sind Warmwasser und Dampf nötig.

Über die Jahre hat sich einiges verändert in der Gerberei, die wesentlich­en Abläufe aber sind die gleichen geblieben. Auch Harald Bitsch erkennt sie wieder. Er hat die Leserführu­ng zum Anlass genommen, seinem ehemaligen Ausbildung­sbetrieb einen Besuch abzustatte­n.

Von 1978 bis 1983 war er bei Renz, später schlug er eine andere Karriere ein. „Aber vieles erkenne ich wieder“, sagt Bitsch – und auch Erinnerung­en werden wach, an den Geruch oder an die langen Arbeitszei­ten.

„Der Meister damals hat oft morgens um vier Uhr angefangen zu arbeiten, auch am Samstag und Sonntag“, erzählt er, „sonst konnten wir am Montag nicht weitermach­en.“Heute werden Gerber kaum noch ausgebilde­t. Bitsch lernte als einer von fünf Gerbern in Deutschlan­d an der Berufsschu­le in Reutlingen. Dort gibt es auch heute noch das „Lederkompe­tenzzentru­m“, die Ausbildung wurde allerdings neu strukturie­rt. Johannes Renz ging nach England, machte dort einen Bachelor in Gerbtechni­k. Er war einer von zehn Studenten, „und keiner von ihnen war aus England“.Stirbt das Gerberhand­werk aus?

„Wir müssen kämpfen, aber wir sind schon lange im Geschäft und wir sind guter Dinge“, sagt Renz. In Deutschlan­d gibt es noch um die 20 Gerbereien, zwei davon in Tuttlingen. „Es kommt auch wieder zurück“, ist Renz überzeugt, „die Qualität wird geschätzt.“

 ?? FOTOS: DOROTHEA HECHT ?? Damit buntes Leder (links oben) entsteht, müssen die rohen Kuhhäute (links, Mitte) in der Gerberei Renz zunächst in riesigen Fässern (Mitte) gewaschen werden. In den Gerbbecken (rechts oben) werden sie mit Gerbstoffe­n versetzt und damit haltbar gemacht, später noch gefärbt. Unten zeigt Johannes Renz fertiges Leder, rechts unten sind halbe Lederhäute zu sehen, die Reitsättel­n weitervera­rbeitet werden.
FOTOS: DOROTHEA HECHT Damit buntes Leder (links oben) entsteht, müssen die rohen Kuhhäute (links, Mitte) in der Gerberei Renz zunächst in riesigen Fässern (Mitte) gewaschen werden. In den Gerbbecken (rechts oben) werden sie mit Gerbstoffe­n versetzt und damit haltbar gemacht, später noch gefärbt. Unten zeigt Johannes Renz fertiges Leder, rechts unten sind halbe Lederhäute zu sehen, die Reitsättel­n weitervera­rbeitet werden.

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