Von der rohen Kuhhaut zur Schuheinlage
SZ öffnet Türen: Bei der Gerberei Renz in Tuttlingen wird Leder hergestellt, mit viel Handarbeit
TUTTLINGEN - Plattfüße? Oh weh. Da helfen nur Einlagen. Wer schon mal orthopädische Einlagen in den Schuhen hatte, weiß: Die sind fast immer aus Leder. Was der- oder diejenige vermutlich nicht weiß: Vielleicht wurde dieses Leder in einem Tuttlinger Betrieb verarbeitet. Die Gerberei Renz, eine von zwei verbliebenen Gerbereien in Tuttlingen, verkauft ihr Leder oft an Orthopäden weiter, auch an den einen oder anderen aus Tuttlingen.
Wie wird aus einer rohen Rinderhaut am Ende das Leder für Einlagen, Gürtel oder auch Reitsättel? Juniorchef Johannes Renz erklärte es einer Gruppe von Lesern bei der Aktion „SZ öffnet Türen“direkt vor Ort.
Eine Gerberei mitten in der Stadt – heute wäre das wahrscheinlich unvorstellbar. Mitte des 19. Jahrhunderts war das jedoch gang und gäbe. Tuttlingen war zu der Zeit eine Gerberund Schuhmacherstadt, und wo wäre das Handwerk besser aufgehoben gewesen als direkt am Fluss? 1888 legte August Renz den Grundstein für seine Gerberei zwischen Bahnhofstraße und Weimarstraße, und dort ist sie bis heute.
Ein Familienbetrieb mit nur einer Handvoll Angestellten, der inzwischen in der vierten Generation von Christoph Renz geführt wird, Johannes Renz ist die fünfte Generation. Die Rohhäute bekommt die Gerberei etwa alle zwei Wochen von süddeutschen Händlern geliefert. In einem Kühlraum, der über die Olgastraße zugänglich ist, werden sie gelagert.
„Mit viel Salz, weil die Häute schon mal ein paar Monate hier liegen“, erklärt Renz. Von dort nehmen sie ihren Weg in die „Wasserwerkstatt“, wie die Gerber sie nennen. In riesigen Fässern werden die Häute dort gereinigt wie in überdimensionalen Waschmaschinen. Haare werden entfernt, Reste von Fett und Fleisch müssen im Zweifel weggeschnitten werden, außerdem sollten die Häute überall gleich dick sein. „Bei uns ist noch viel Handarbeit“, erklärt Renz. Und das ist nicht immer einfach, eine Kuhhaut wiegt zwischen 30 und 70 Kilo.
Drei bis vier Tage bleiben die Häute in den Fässern, am Ende bleibt die nasse, nackte Blöße. „Das ist aber alles nur die Vorbereitung fürs eigentliche Gerben“, sagt Renz und zeigt dann die Gerbbecken. In mehreren Steinbecken hängen die Häute in der Gerbbrühe, einem WasserGerbstoff-Gemisch. Die Gerberei Renz nutzt nur pflanzliche Gerbstoffe, etwa Quebracho-Holz oder klein gemahlene Mimosa-Rinde. „Die Gerbstoffe stabilisieren die Haut, dadurch kann sie nicht mehr schimmeln“, erklärt Renz. „Wenn das passiert ist, reden wir vom Leder.“
Danach wird das Leder getrocknet, oft noch gedehnt oder gefärbt, am Ende geschnitten. Die Käufer zahlen pro Quadratmeter, jeder Zentimeter wird abgemessen. 50 bis 80 Euro pro Quadratmeter werden fällig, je nach Art, Sortiment und Farbe. In einem Raum trocknen halbe Häute, aus ihnen werden Sättel gemacht.
Groß bearbeitet wird das Leder am Ende nicht mehr, es ist „naturell“– „das heißt, man sieht auch mal, wenn sich die Kuh gekratzt hat“, erklärt Renz. Oder wo die Nackenfalte des Tiers verlief. Insgesamt, meint Renz, „braucht man bei uns Zeit“. Von der Rohhaut bis zum Fertigleder dauert es etwa zwei Monate.
Was der Familie Renz wichtig ist: Sie will das Gerben so natürlich wie möglich halten. Von „Bio“will Renz nicht sprechen, Lohgerbung heißt der Prozess, oder auch vegetabiles Gerben, eben ohne Chemikalien. Das Abwasser kann deshalb ganz normal in den Abfluss geleitet werden. Für Frischwasser hat die Gerberei eigene Pumpen in der Donau, fast wie vor 100 Jahren nutzt sie also das Wasser aus dem Fluss. Allerdings nicht im Sommer bei Niedrigwasser – „dann greifen wir auf die Stadtwerke zurück“, sagt Renz. Geheizt wird mit Holz, für die Prozesse sind Warmwasser und Dampf nötig.
Über die Jahre hat sich einiges verändert in der Gerberei, die wesentlichen Abläufe aber sind die gleichen geblieben. Auch Harald Bitsch erkennt sie wieder. Er hat die Leserführung zum Anlass genommen, seinem ehemaligen Ausbildungsbetrieb einen Besuch abzustatten.
Von 1978 bis 1983 war er bei Renz, später schlug er eine andere Karriere ein. „Aber vieles erkenne ich wieder“, sagt Bitsch – und auch Erinnerungen werden wach, an den Geruch oder an die langen Arbeitszeiten.
„Der Meister damals hat oft morgens um vier Uhr angefangen zu arbeiten, auch am Samstag und Sonntag“, erzählt er, „sonst konnten wir am Montag nicht weitermachen.“Heute werden Gerber kaum noch ausgebildet. Bitsch lernte als einer von fünf Gerbern in Deutschland an der Berufsschule in Reutlingen. Dort gibt es auch heute noch das „Lederkompetenzzentrum“, die Ausbildung wurde allerdings neu strukturiert. Johannes Renz ging nach England, machte dort einen Bachelor in Gerbtechnik. Er war einer von zehn Studenten, „und keiner von ihnen war aus England“.Stirbt das Gerberhandwerk aus?
„Wir müssen kämpfen, aber wir sind schon lange im Geschäft und wir sind guter Dinge“, sagt Renz. In Deutschland gibt es noch um die 20 Gerbereien, zwei davon in Tuttlingen. „Es kommt auch wieder zurück“, ist Renz überzeugt, „die Qualität wird geschätzt.“