Trossinger Zeitung

Klosterhal­fen will die Welt schlagen

Der unerwartet­e Erfolg der 5000-Meter-Läuferin steht für den erstaunlic­hen EM-Auftritt des deutschen Teams

- Von Andreas Schirmer, Christian Kunz und Robert Semmler

MÜNCHEN (dpa) - Konstanze Klosterhal­fen strahlte und lachte nach dem grandiosen Gold-Lauf mit der nicht nachlassen­den Energie, mit der sie über 5000 Meter die Konkurrenz bei der EM in München abgehängt hatte. „Mit dem ersten Schritt habe ich mich schon so gut gefühlt und war zu keinem Zeitpunkt müde“, erzählte Deutschlan­ds Langstreck­enStar von ihrem 14:50,47 Minuten langen Siegeszug. „Ich habe meinen ersten internatio­nalen Titel gewonnen, dabei habe ich nicht einmal an eine Medaille gedacht. Ein Traum!“

Während Klosterhal­fen in den Katakomben des Olympiasta­dions glückselig Rede und Antwort stand, erlitt Weitsprung-Star Malaika Mihambo unweit davon nach dem Gewinn von EM-Silber einen Kreislaufk­ollaps. Die Olympiasie­gerin und Weltmeiste­rin war die große EM-Titelkandi­datin, musste aber wohl einer kurz zuvor überstande­nen Corona-Infektion Tribut zollen.

„Ich habe Silber gewonnen, was unter den Voraussetz­ung noch höher zu bewerten ist“, sagte Mihambo: „Ab dem dritten Versuch habe ich gemerkt, dass ich auf dem Zahnfleisc­h gehe. Ich hatte müde, kribblige Beine.“Gesundheit­lich gehe es ihr wieder „ganz in Ordnung“, wenn auch noch geschwächt: „Ich bin an meine Grenzen gegangen – und auch ein Stück drüber hinaus“, so Mihambo. Dass sie trotzdem im Medaillenk­ampf 7,03 Meter weit sprang, wertet ihre Leistung noch auf.

Völlig unerwartet kam hingegen der Titelgewin­n von Klosterhal­fen. Deutschlan­ds beste Langstreck­enläuferin ist damit zur Symbolfigu­r der deutschen Leichtathl­etik geworden, die bei der EM wieder auftrumpft. Bei den WM in Eugene vor knapp vier Wochen gab es noch ein Debakel mit nur zwei Medaillen und vielen Enttäuschu­ngen.

Auch für Klosterhal­fen war es bei der WM nicht gut gelaufen. Die 25jährige Leverkusen­erin verpasste durch eine Corona-Erkrankung geschwächt das 10 000-Meter-Finale. Nun holte sie für die Gastgeber die fünfte EM-Goldmedail­le, zu denen an den ersten vier Tagen fünf aus Silber und eine aus Bronze hinzukamen. „Die Athleten wollten zeigen, dass sie stark sind. Aber man darf auch nicht alles schönreden“, sagte Heike Drechsler, Olympiasie­gerin von 1992 und 2000 im Weitsprung. „Die WM ist der Maßstab und sollte es auch sein.“Aber eine solche EM gebe Auftrieb.

„Vielleicht hatte ich den Virus noch im Körper, habe aber auch gezweifelt, ob es wirklich der Virus war oder es am Training lag“, sagte Klosterhal­fen. Der Zweifel wurde verstärkt, weil auch das 10 000-MeterRenne­n drei Tage zuvor bei der EM nicht optimal lief, aber immerhin mit Platz vier endete. Trainer Pete Julian konnte sehen, wie seine Läuferin die türkische 10 000-MeterGewin­nerin Yasemin Can in der vorletzten Runde überholte, dann auf den letzten 400 Metern locker distanzier­te und mit gereckten Armen die Ziellinie überquerte, ehe sie mit der Deutschlan­d-Fahne ohne Pause zur Ehrenrunde aufbrach. „Ich hätte die ganze Nacht weiterlauf­en können“, sagte die von gut 30 000 Fans unaufhörli­ch angetriebe­ne Klosterhal­fen. Auf jeden

Malaika Mihambo Fall wird sie weiter in den USA trainieren. „Paris ist ja nicht hin“, meinte sie mit Blick auf die Olympische­n Spiele 2024 in Paris.

Weiter hoch hinaus soll es sportlich gehen. Die Nummer 1 in Europa zu sein, ist für die vierfache deutsche Rekordleri­n und WM-Dritte von 2019 nur eine Etappe. „Das Ziel bleibt, die Welt zu schlagen“, kündigte die zierliche, zerbrechli­ch wirkende Klosterhal­fen energisch an. Macht es ihr aber nicht Angst, wie afrikanisc­he Läuferinne­n einen Weltrekord nach dem anderen aufstellen? „Einerseits schon. Aber es ist auch cool zu sehen, was möglich ist.“

In Sachen Ehrgeiz ist ihr Hochspring­er Tobias Potye schon ebenbürtig. „Zweiter zu werden, ist immer etwas tricky. Eine Medaille war das Ziel“, sagte der 27 Jahre alte Münchner, der nach seinem Silbergewi­nn mit 2,27 Meter in seiner Heimatstad­t wie ein Rockstar gefeiert wurde. Spätestens in Paris will er den italienisc­hen Olympiasie­ger Gianmarco Tamberi bezwingen, der mit 2,30 Meter siegte. „Ich bin ein paar Mal dieses Jahr gegen Gianmarco gesprungen und habe mir gedacht, eigentlich ist die Zeit reif, ihn mal zu schlagen“, sagte Potye. „Jetzt muss ich das noch einmal vertagen, aber das wird kommen.“

Dass er im Training seit langer Zeit ein wichtiges Element auslassen muss, mit dem er noch an Höhe gewinnen könnte, verblüffte. „Das wissen, glaube ich, die meisten nicht. Ich habe nicht eine Technikein­heit gemacht die letzten zwei Jahre. Das ist natürlich schwer, dann jeden Sprung zu treffen“, sagte er. „Ich habe nur trainiert fürs Knie und bin im Wettkampf gesprungen, das war die Mission.“Potye erfüllte sie – und das ebenfalls überrasche­nd.

„Ab dem dritten Versuch habe ich gemerkt, dass ich auf dem Zahnfleisc­h gehe.“

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FOTO: KOHRING/IMAGO Konstanze Klosterhal­fen schrieb mit ihrem EM-Gold Geschichte.

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