Ein Strand in Frauenhand
Drei Frauen haben ihr Bagno 17 in Rimini zum Erfolg geführt – Die Kollegen müssen sich daran erst noch gewöhnen
Wie ein Herz war der Stein geformt, den die Schwestern Katia und Rossella Nobili und ihre beste Freundin Barbara Fratti vor fünf Jahren an einem Strand in der italienischen Region Marken fanden. Der Fund schien ihnen ein Zeichen zu sein. Sie malten die Anfangsbuchstaben ihrer Namen darauf und besiegelten damit ihr Vorhaben: Eines Tages würden sie zusammen etwas auf die Beine stellen. Nicht nur zum Zelten ans Meer fahren, wie sie es immer schon gemacht hatten, miteinander und mit ihren Kindern. Sondern zusammen arbeiten und etwas aufbauen. Sie nahmen den Stein mit nach Hause.
„Wir haben ihn immer noch, er ist wertvoll wie ein Diamant“, sagt Katia Nobili. Glück gebracht hat er außerdem. Seit dem Frühjahr 2020 betreiben Barbara, heute 53 Jahre alt, die gleichaltrige Katia und Rossella, 59 Jahre, alle drei aus Rimini stammend, das Strandbad 17. Es ist der einzige von Frauen betriebene „Bagno“der Stadt, die mit fünfzehn Kilometern Strand, insgesamt 250 Strandbädern und lebhaftem Nachtleben für adriatische Badefreuden steht wie kaum eine andere – obwohl sie auch römische Mauern und Stadttore, ein romantisches mittelalterliches Zentrum, einen großen Hafen und ein fabelhaftes Fellini-Museum besitzt. Denn auch der legendäre Regisseur war ein Sohn der Stadt.
Eigentlich gab es bereits einen männlichen Interessenten für den unweit des Fellini-Parks gelegenen Bagno 17. Doch dann kam die Pandemie. Niemand wusste, in welcher Form die Strandbäder im Sommer 2020 öffnen würden: mit achtzehn oder fünfzehn Metern Abstand zwischen den Liegen, die womöglich zusätzlich mit Plexiglasscheiben voneinander getrennt werden müssten? Würde da überhaupt jemand kommen? Der potenzielle Pächter bekam kalte Füße und machte einen Rückzieher. Katia, Rossella und Barbara hörten davon. „Unsere Freunde erklärten uns für verrückt“, sagt Barbara. Die Ehemänner machten besorgte Gesichter. Die Frauen zerstreuten die Zweifel. So eine Gelegenheit! Und dann noch am Meer, das sie schon immer so liebten! Sie schlugen zu.
Barbara
Völlig branchenfremd waren sie nicht; beide Schwestern führen jeweils ein eigenes Fitnessstudio in Rimini, Barbara betreut als private Babysitterin Kinder. Bei der Arbeit im Bagno würden sich sowohl der Sport als auch pädagogische und kommunikative Fähigkeiten als nützlich erweisen. Auch der Winter ließ sich durch die berufliche Zweigleisigkeit planen, denn wenn – je nach Wetterverhältnissen – die Badesaison Ende September oder Anfang Oktober endet, würden alle drei in ihre Jobs zurückkehren. Doch wichtiger war fortan der Sommer. Die eigenen Kinder, die gerade ihr Studium begannen oder schon studierten, halfen in den Ferien und an den Wochenenden; das hat sich auch in den folgenden zwei Jahren nicht geändert. Barbaras
Tochter Sara arbeitet während der Semesterferien acht Stunden täglich mit, bis sie im Herbst zum Auslandssemester nach Konstanz wechselt, Sohn Nicola hilft ebenso wie Katias Tochter Marika am Wochenende. Katias Sohn, ein angehender Mediziner, hat derzeit zu viel mit dem Studium um die Ohren.
Trotz zuverlässiger familiärer Unterstützung brachte die erste Saison manchen unvorhergesehenen Moment. Zunächst für Rimini, denn die drei Frauen traten nicht nur als erste „Bagnine“der Stadt in Erscheinung, sie stellten ihre Liegen mit Meerblick auf. Das ist zwar vielerorts an der italienischen Adria üblich und erscheint auch durchaus logisch; in allen anderen Strandbädern Riminis aber stehen sie seit jeher parallel zum Wasser. Die Kollegen schüttelten die Köpfe.
„Traditionell sind die Badebetriebe ein reines Männergeschäft“, sagt Claudia Valentini, Sprecherin des Tourismusverbands der Emilia Romagna in Rimini. „Manchmal ist es ein Paar, das ein Strandbad betreibt, aber ganz überwiegend sind es Männer.“Das liege auch daran, dass die Stadt auf die längste Badetradition im Land verweisen kann, denn das erste Strandbad Italiens wurde 1843 in Rimini eröffnet. Das Bild einer Frau, die Schirme schleppt und Badegäste betreut, war Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur an der Adria jenseits jeder Vorstellungskraft. Seit den Gründertagen herrschen so die Bagnini über ihre Strandabschnitte, und junge Kräfte erheben das Aufund Zusammenklappen der Liegen noch heute gerne zur Choreografie, die den Badegästen Gelegenheit bietet, die Augen auf ihren muskulösen Oberkörpern ruhen zu lassen. So ist kaum verwunderlich, dass der Bagnino in der Hierarchie italienischen Badelebens gleich auf den Salvataggio folgt, den nicht weniger gestählten, sonnengebräunten Rettungsschwimmer, der auf seinem Hochsitz am Wasser oder in seinem Boot über das Geschehen am und im Meer wacht.
Nicht nur für Urlauber haben die Bagni besondere Bedeutung, sondern auch für die einheimische Bevölkerung. Zwar darf wie überall in Italien jeder sein Handtuch am Spülsaum ausbreiten, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen. Wer aber die Errungenschaften zivilisierten italienischen Badelebens nutzen will – Duschen, Umkleidekabinen, sanitäre Einrichtungen, Spiel- und Sportplätze, Liegen und Sonnenschirme, oft auch ein Restaurant oder eine Bar –, muss sich in einem Bagno einmieten, ob für einen Tag oder den ganzen Sommer. Es gibt Strandbäder für Sport-Fans wie Riminis Bagno 26, für die LGBTQ-Community wie Bagno 27, Bäder für Familien mit viel Animation für die Bambini und sogar ein Strandbad für Hundebesitzer.
So ist es leicht, ein Bad fürs Leben oder zumindest einen Lebensabschnitt zu finden, und für viele Bewohner Riminis und der Umgebung ist der Bagno ihrer Wahl ein erweitertes Wohnzimmer für den Sommer. Zugleich investiert die Stadt, um das Strandleben attraktiv und zeitgemäß zu gestalten. So wurde die Uferstraße während der Pandemie in den „Parco del Mare“umgewandelt, eine breite Zone für Fußgänger, Radler und E-Roller-Fahrer. Ihre Architektur erinnert an den tropischen Schwung Oscar Niemeyers. Mit mediterraner Bepflanzung, Spiel- und Turnbereichen bildet der Parco del
Mare – voller Stolz auch „Sea Wellness Park“genannt – ein dekoratives Bindeglied zwischen Stadt und Meer. Mit mittlerweile 134 Kilometer Radwegen hat man außerdem versucht, den Autoverkehr in der Stadt zu drosseln.
Der durchaus aufgeschlossenen Geisteshaltung der Stadt zum Trotz machten Barbara, Katia und Rossella bei ihrer ersten Teilnahme an der Versammlung der Strandbadbetreiber Riminis eine ähnliche Erfahrung wie Ursula von der Leyen, als sie beim Treffen von EU-Spitzenpolitikern in Ankara keinen Stuhl bekam.
Katia
Jeder Platz war besetzt, die drei Bagnine mussten hinten im Saal stehen. Obwohl die Bewohner der Romagnola als traditionell und konservativ gesinnt gelten, war dies womöglich vor allem der Verblüffung der Kollegen geschuldet. Dennoch: „Wir müssen uns bei den Versammlungen durchsetzen, weil alle anderen Teilnehmer Männer sind“, sagt Katia. Einige kommen aus Familien, deren Männer seit Generationen das Strandbad betreiben.
Da kommt schnell das Argument auf den Tisch, man habe die Dinge schon immer so gehandhabt und beabsichtige, dies auch weiter zu tun. Einige Kollegen mussten sich erst daran gewöhnen, den Frauen bei Diskussionen überhaupt zuzuhören, und mancher, der sein traditionelles Frauenbild schätzt, reagierte verunsichert auf den Auftritt der drei Frauen, die ihre Meinung klar zum Ausdruck bringen.
„Einige fragten uns ganz direkt, ob wir der Arbeit physisch gewachsen seien“, erzählt Katia. Anstrengend sei es anfangs selbst für die drei ausgesprochen sportlichen Frauen tatsächlich gewesen. Auch wenn ihr Bagno mit 150 Sonnenschirmen und maximal vierhundert Liegen nicht zu den größten in Rimini gehört, mussten sie die neuen Abläufe lernen und dazu täglich jede Menge Strandmöbel durch weichen, heißen Sand schleppen. „Ganz am Anfang habe ich einmal eine Liege getragen und bin gestolpert – das war natürlich wahnsinnig peinlich, und alle guckten“, erzählt Barbara. Doch Kondition und Technik entwickelten sich sozusagen im Gleichschritt.
Dennoch ist die Arbeit mit dem durchaus schweißtreibenden Aufund Abbauen des Strandmobiliars nicht getan. Barbara, Katia und Rossella bieten auch Wassergymnastik, Strandlaufen, Yoga, Meditation zur Sonnenwende und Fitnesstraining an. Sie organisieren für ihre Gäste Themenabende mit Beach-Volleyball, Strandtennis, Musik und Essen, am Wochenende halten sie Kaffee, Kuchen und Wassermelonen zur Erfrischung bereit. Das bedeutet lange Tage bei wochenlang gleichbleibend heißen Temperaturen. Und nicht jeder Gast ist bei der Aussicht auf einen Tag am Meer immer tiefenentspannt. „Gelegentlich brauchen wir auch viel Geduld“, sagt Barbara diplomatisch. Den drei Frauen macht es nichts. Katia: „Wir helfen einander, lachen viel und haben einfach Spaß“.