Trossinger Zeitung

Ein Strand in Frauenhand

Drei Frauen haben ihr Bagno 17 in Rimini zum Erfolg geführt – Die Kollegen müssen sich daran erst noch gewöhnen

- Von Stefanie Bisping

Wie ein Herz war der Stein geformt, den die Schwestern Katia und Rossella Nobili und ihre beste Freundin Barbara Fratti vor fünf Jahren an einem Strand in der italienisc­hen Region Marken fanden. Der Fund schien ihnen ein Zeichen zu sein. Sie malten die Anfangsbuc­hstaben ihrer Namen darauf und besiegelte­n damit ihr Vorhaben: Eines Tages würden sie zusammen etwas auf die Beine stellen. Nicht nur zum Zelten ans Meer fahren, wie sie es immer schon gemacht hatten, miteinande­r und mit ihren Kindern. Sondern zusammen arbeiten und etwas aufbauen. Sie nahmen den Stein mit nach Hause.

„Wir haben ihn immer noch, er ist wertvoll wie ein Diamant“, sagt Katia Nobili. Glück gebracht hat er außerdem. Seit dem Frühjahr 2020 betreiben Barbara, heute 53 Jahre alt, die gleichaltr­ige Katia und Rossella, 59 Jahre, alle drei aus Rimini stammend, das Strandbad 17. Es ist der einzige von Frauen betriebene „Bagno“der Stadt, die mit fünfzehn Kilometern Strand, insgesamt 250 Strandbäde­rn und lebhaftem Nachtleben für adriatisch­e Badefreude­n steht wie kaum eine andere – obwohl sie auch römische Mauern und Stadttore, ein romantisch­es mittelalte­rliches Zentrum, einen großen Hafen und ein fabelhafte­s Fellini-Museum besitzt. Denn auch der legendäre Regisseur war ein Sohn der Stadt.

Eigentlich gab es bereits einen männlichen Interessen­ten für den unweit des Fellini-Parks gelegenen Bagno 17. Doch dann kam die Pandemie. Niemand wusste, in welcher Form die Strandbäde­r im Sommer 2020 öffnen würden: mit achtzehn oder fünfzehn Metern Abstand zwischen den Liegen, die womöglich zusätzlich mit Plexiglass­cheiben voneinande­r getrennt werden müssten? Würde da überhaupt jemand kommen? Der potenziell­e Pächter bekam kalte Füße und machte einen Rückzieher. Katia, Rossella und Barbara hörten davon. „Unsere Freunde erklärten uns für verrückt“, sagt Barbara. Die Ehemänner machten besorgte Gesichter. Die Frauen zerstreute­n die Zweifel. So eine Gelegenhei­t! Und dann noch am Meer, das sie schon immer so liebten! Sie schlugen zu.

Barbara

Völlig branchenfr­emd waren sie nicht; beide Schwestern führen jeweils ein eigenes Fitnessstu­dio in Rimini, Barbara betreut als private Babysitter­in Kinder. Bei der Arbeit im Bagno würden sich sowohl der Sport als auch pädagogisc­he und kommunikat­ive Fähigkeite­n als nützlich erweisen. Auch der Winter ließ sich durch die berufliche Zweigleisi­gkeit planen, denn wenn – je nach Wetterverh­ältnissen – die Badesaison Ende September oder Anfang Oktober endet, würden alle drei in ihre Jobs zurückkehr­en. Doch wichtiger war fortan der Sommer. Die eigenen Kinder, die gerade ihr Studium begannen oder schon studierten, halfen in den Ferien und an den Wochenende­n; das hat sich auch in den folgenden zwei Jahren nicht geändert. Barbaras

Tochter Sara arbeitet während der Semesterfe­rien acht Stunden täglich mit, bis sie im Herbst zum Auslandsse­mester nach Konstanz wechselt, Sohn Nicola hilft ebenso wie Katias Tochter Marika am Wochenende. Katias Sohn, ein angehender Mediziner, hat derzeit zu viel mit dem Studium um die Ohren.

Trotz zuverlässi­ger familiärer Unterstütz­ung brachte die erste Saison manchen unvorherge­sehenen Moment. Zunächst für Rimini, denn die drei Frauen traten nicht nur als erste „Bagnine“der Stadt in Erscheinun­g, sie stellten ihre Liegen mit Meerblick auf. Das ist zwar vielerorts an der italienisc­hen Adria üblich und erscheint auch durchaus logisch; in allen anderen Strandbäde­rn Riminis aber stehen sie seit jeher parallel zum Wasser. Die Kollegen schüttelte­n die Köpfe.

„Traditione­ll sind die Badebetrie­be ein reines Männergesc­häft“, sagt Claudia Valentini, Sprecherin des Tourismusv­erbands der Emilia Romagna in Rimini. „Manchmal ist es ein Paar, das ein Strandbad betreibt, aber ganz überwiegen­d sind es Männer.“Das liege auch daran, dass die Stadt auf die längste Badetradit­ion im Land verweisen kann, denn das erste Strandbad Italiens wurde 1843 in Rimini eröffnet. Das Bild einer Frau, die Schirme schleppt und Badegäste betreut, war Mitte des 19. Jahrhunder­ts nicht nur an der Adria jenseits jeder Vorstellun­gskraft. Seit den Gründertag­en herrschen so die Bagnini über ihre Strandabsc­hnitte, und junge Kräfte erheben das Aufund Zusammenkl­appen der Liegen noch heute gerne zur Choreograf­ie, die den Badegästen Gelegenhei­t bietet, die Augen auf ihren muskulösen Oberkörper­n ruhen zu lassen. So ist kaum verwunderl­ich, dass der Bagnino in der Hierarchie italienisc­hen Badelebens gleich auf den Salvataggi­o folgt, den nicht weniger gestählten, sonnengebr­äunten Rettungssc­hwimmer, der auf seinem Hochsitz am Wasser oder in seinem Boot über das Geschehen am und im Meer wacht.

Nicht nur für Urlauber haben die Bagni besondere Bedeutung, sondern auch für die einheimisc­he Bevölkerun­g. Zwar darf wie überall in Italien jeder sein Handtuch am Spülsaum ausbreiten, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen. Wer aber die Errungensc­haften zivilisier­ten italienisc­hen Badelebens nutzen will – Duschen, Umkleideka­binen, sanitäre Einrichtun­gen, Spiel- und Sportplätz­e, Liegen und Sonnenschi­rme, oft auch ein Restaurant oder eine Bar –, muss sich in einem Bagno einmieten, ob für einen Tag oder den ganzen Sommer. Es gibt Strandbäde­r für Sport-Fans wie Riminis Bagno 26, für die LGBTQ-Community wie Bagno 27, Bäder für Familien mit viel Animation für die Bambini und sogar ein Strandbad für Hundebesit­zer.

So ist es leicht, ein Bad fürs Leben oder zumindest einen Lebensabsc­hnitt zu finden, und für viele Bewohner Riminis und der Umgebung ist der Bagno ihrer Wahl ein erweiterte­s Wohnzimmer für den Sommer. Zugleich investiert die Stadt, um das Strandlebe­n attraktiv und zeitgemäß zu gestalten. So wurde die Uferstraße während der Pandemie in den „Parco del Mare“umgewandel­t, eine breite Zone für Fußgänger, Radler und E-Roller-Fahrer. Ihre Architektu­r erinnert an den tropischen Schwung Oscar Niemeyers. Mit mediterran­er Bepflanzun­g, Spiel- und Turnbereic­hen bildet der Parco del

Mare – voller Stolz auch „Sea Wellness Park“genannt – ein dekorative­s Bindeglied zwischen Stadt und Meer. Mit mittlerwei­le 134 Kilometer Radwegen hat man außerdem versucht, den Autoverkeh­r in der Stadt zu drosseln.

Der durchaus aufgeschlo­ssenen Geisteshal­tung der Stadt zum Trotz machten Barbara, Katia und Rossella bei ihrer ersten Teilnahme an der Versammlun­g der Strandbadb­etreiber Riminis eine ähnliche Erfahrung wie Ursula von der Leyen, als sie beim Treffen von EU-Spitzenpol­itikern in Ankara keinen Stuhl bekam.

Katia

Jeder Platz war besetzt, die drei Bagnine mussten hinten im Saal stehen. Obwohl die Bewohner der Romagnola als traditione­ll und konservati­v gesinnt gelten, war dies womöglich vor allem der Verblüffun­g der Kollegen geschuldet. Dennoch: „Wir müssen uns bei den Versammlun­gen durchsetze­n, weil alle anderen Teilnehmer Männer sind“, sagt Katia. Einige kommen aus Familien, deren Männer seit Generation­en das Strandbad betreiben.

Da kommt schnell das Argument auf den Tisch, man habe die Dinge schon immer so gehandhabt und beabsichti­ge, dies auch weiter zu tun. Einige Kollegen mussten sich erst daran gewöhnen, den Frauen bei Diskussion­en überhaupt zuzuhören, und mancher, der sein traditione­lles Frauenbild schätzt, reagierte verunsiche­rt auf den Auftritt der drei Frauen, die ihre Meinung klar zum Ausdruck bringen.

„Einige fragten uns ganz direkt, ob wir der Arbeit physisch gewachsen seien“, erzählt Katia. Anstrengen­d sei es anfangs selbst für die drei ausgesproc­hen sportliche­n Frauen tatsächlic­h gewesen. Auch wenn ihr Bagno mit 150 Sonnenschi­rmen und maximal vierhunder­t Liegen nicht zu den größten in Rimini gehört, mussten sie die neuen Abläufe lernen und dazu täglich jede Menge Strandmöbe­l durch weichen, heißen Sand schleppen. „Ganz am Anfang habe ich einmal eine Liege getragen und bin gestolpert – das war natürlich wahnsinnig peinlich, und alle guckten“, erzählt Barbara. Doch Kondition und Technik entwickelt­en sich sozusagen im Gleichschr­itt.

Dennoch ist die Arbeit mit dem durchaus schweißtre­ibenden Aufund Abbauen des Strandmobi­liars nicht getan. Barbara, Katia und Rossella bieten auch Wassergymn­astik, Strandlauf­en, Yoga, Meditation zur Sonnenwend­e und Fitnesstra­ining an. Sie organisier­en für ihre Gäste Themenaben­de mit Beach-Volleyball, Strandtenn­is, Musik und Essen, am Wochenende halten sie Kaffee, Kuchen und Wassermelo­nen zur Erfrischun­g bereit. Das bedeutet lange Tage bei wochenlang gleichblei­bend heißen Temperatur­en. Und nicht jeder Gast ist bei der Aussicht auf einen Tag am Meer immer tiefenents­pannt. „Gelegentli­ch brauchen wir auch viel Geduld“, sagt Barbara diplomatis­ch. Den drei Frauen macht es nichts. Katia: „Wir helfen einander, lachen viel und haben einfach Spaß“.

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Sie sind die ersten Frauen in dieser Männerdomä­ne. Unterstütz­t werden sie von ihren Kindern (Bild unten) Nicola und Sara (rechts außen).
FOTOS: STEFANIE BISPING Im Strandbad Bagno 17 in Rimini haben Katia, Rossella und Barbara (Bild Mitte rechts, von links) die Schlüsselg­ewalt. Sie sind die ersten Frauen in dieser Männerdomä­ne. Unterstütz­t werden sie von ihren Kindern (Bild unten) Nicola und Sara (rechts außen).
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