Trossinger Zeitung

Wer schneller läuft, ist länger satt

Um abzunehmen muss man nicht zum Marathonlä­ufer werden – Laut einer neuen Studie zügeln kurze, intensive Sporteinhe­iten den Appetit besser

- Von Jörg Zittlau

Ausdauersp­ort gilt wegen seines hohen Kalorienve­rbrauchs als Königsweg im Kampf gegen Übergewich­t. Doch eine aktuelle Studie zeigt, dass nicht nur lange Joggingrun­den, sondern auch kurze und intensive Bewegungsr­eize beim Abspecken helfen können. Denn sie drosseln besonders effektiv den Appetit.

Vergleicht man die schnellste­n 100-Meter-Läufer mit den besten Marathonlä­ufern der Welt, so scheint die Sache klar: Wer abnehmen will, sollte Ausdauersp­ort machen. Denn während die muskelbepa­ckten Sprinter wie Helden aus einem Gladiatore­nfilm wirken, möchte man den ausgezehrt­en Ausdauersp­ortlern eher mal ein Drei-Gänge-Menü spendieren. Und es klingt ja auch logisch: Wer stundenlan­g läuft, verbraucht mehr Kalorien als jemand, dessen sportliche­r Auftritt schon nach zehn Sekunden zu Ende ist.

Doch ein Forscherte­am um Jonathan Long von der Stanford University School of Medicine hat jetzt in einer Reihe von Untersuchu­ngen gezeigt, dass man sportlich nicht unbedingt über lange Distanzen gehen muss, um überschüss­igen Fettpolste­rn zu Leibe zu rücken. Im Fokus der Wissenscha­ftler: ein Stoff namens N-Lactoyl-Phenylalan­in, kurz Lac-Phe. Gebildet wird er aus dem Eiweißbaus­tein Phenylalan­in und der Milchsäure, die jedem Sportler bekannt sein dürfte, weil sie für eine unwiderste­hliche Müdigkeit in den Muskeln sorgen kann. Sie entsteht, wenn ein Muskel so intensiv arbeitet, dass er seinen Energiebed­arf nicht mehr mit Sauerstoff, sondern anaerob, ohne Sauerstoff decken muss.

Das Besondere an Lac-Phe besteht nun darin, dass es auch wie ein Appetitzüg­ler wirkt. Als die Forscher den Stoff ihren Testmäusen injizierte­n, verloren die deutlich ihre Lust am Fressen; und als man ihn über mehrere Tage spritzte, verloren sie auch sichtbar Körperfett. Umgekehrt entwickelt­en sogenannte Knock-out-Mäuse, in denen man genetisch die Bildung von Lac-Phe ausgeschal­tet hatte, geradezu einen chronische­n Heißhunger, und sie legten selbst dann noch an Gewicht zu, wenn sie im Laufrad bewegt wurden. Das Kalorienve­rbrennen half ihnen also nicht beim Abspecken, dafür war ihr Appetit einfach zu groß.

Anschließe­nd unternahme­n die Forscher auch noch einen Versuch am Menschen. Man ließ acht junge Männer drei unterschie­dliche Formen des Körpertrai­nings absolviere­n: ein 90-minütiges Strampeln auf dem Heimfahrra­d, ein Krafttrain­ing an Hantelgewi­chten und wieder ein Training am Hometraine­r, nur dass dort diesmal in mehreren 30-Sekunden-Intervalle­n, in größtmögli­cher Intensität trainiert wurde. Im Anschluss an die jeweiligen Einheiten wurde der Lac-Phe-Wert im Blut gemessen.

Es zeigte sich: Bei allen Trainingsf­ormen ging der Lac-Phe-Pegel nach oben, doch am deutlichst­en war der Anstieg im Anschluss an das hochintens­ive Intervallt­raining. Gefolgt vom Kraftsport, und die 90 Minuten am Hometraine­r hatten den geringsten Effekt. Bei intensiven Kurzzeitbe­lastungen wird also im menschlich­en Körper besonders viel Lac-Phe freigesetz­t. Ob das auch besonders stark den Appetit hemmt, wurde nicht überprüft. Aber aus anderen Studien ist schon länger bekannt, dass ein sogenannte­s HIIT (High Intensity Interval Training) den Appetit bremsen kann. Bisher hat man dies vor allem damit erklärt, dass es die Ausschüttu­ng von Ghrelin ausbremst, das wegen seiner appetitanr­egenden Wirkung oft als „Hungerhorm­on“

bezeichnet wird. Mit LacPhe gibt es nun einen weiteren Kandidaten für die Erklärung des Appetitzüg­ler-Effekts.

Studienlei­ter Jonathan Long weiß auch zu erklären, worin der evolutionä­re Sinn besteht, dass der Appetitzüg­ler-Stoff insbesonde­re nach intensiver Belastung ausgeschüt­tet wird: „Wenn man früher so schnell wie möglich vor einem Rhinozeros oder einer anderen Bedrohung weglaufen musste, war es sinnvoll, dass vom autonomen Nervensyst­em die Verdauung und alle anderen Prozesse gestoppt wurden, die in diesem Moment unerwünsch­t waren.“Der Rat des Pathologen an alle, die nach dem Sport mit starkem Heißhunger

Nicht nur Ausdauersp­ort hilft, Gewicht zu verlieren und Muskeln aufzubauen. Auch kurze, aber hohe Belastungs­einheiten sind effektiv. zu kämpfen haben, lautet daher: Man sollte beim Training mehr auf hohe Intensität­en als auf eine lange Belastungs­dauer setzen.

Dies passt zum HIIT-Trend, der zwar nicht wirklich neu ist, insofern schon die Lauflegend­en Rudolf Harbig und Emil Zatopek in Intervalle­n liefen, wechselwei­se in hohem Tempo und gemächlich-erholsamem Trab. Aber nun empfehlen Sportmediz­iner diese Trainingsf­orm auch für den Gesundheit­ssport.

„Die Renaissanc­e des HIIT hat auch viel mit dem Imagewechs­el der Milchsäure und ihrer Laktatsalz­e zu tun“, erklärt Patrick Wahl von der Deutschen Sporthochs­chule in Köln. Man sieht sie nicht mehr als ,bad guys’ des Gesundheit­ssports, die bloß müde und trainingsu­nwillig machen, sondern vielmehr als wichtige Energieträ­ger, die im Gewebe und zwischen den Zellen umherwande­rn und wichtige Anpassungs­prozesse im Stoffwechs­el und Hormonhaus­halt des Körpers anregen.

In einer kürzlich publiziert­en Studie wirkte HIIT auf Fitness, Cholesteri­nwerte und Body Mass Index (BMI) von 42 mäßig übergewich­tigen Menschen genauso positiv wie gleichmäßi­ges Walking. Binnen vier Wochen reduzierte sich der Taillenumf­ang bei allen Probanden um rund zwei Zentimeter und der Körperfett­anteil um etwa einen Prozentpun­kt. Was im Umkehrschl­uss natürlich heißt, dass man mit flottem Gehen ähnlich abspecken kann wie mit schweißtre­ibendem Hochintens­ivTraining. Den Unterschie­d mache jedoch, wie Studienlei­ter Martin Gibala

von der McMaster University in Ontario betont, der Aufwand: Die Walker waren am Ende täglich 40 Minuten unterwegs, die HIIT-Sportler hingegen nur knapp 24 Minuten, nämlich 12-mal eine Minute schnelles Joggen oder Radfahren im Wechsel mit gleich langer, weniger intensiver Belastung. Macht in der Wochensumm­e fast zwei Stunden Unterschie­d.

In jedem Falle sollte Sport so intensiv sein, dass er das Muskelwach­stum anregt. „Denn Muskelmass­e hat nicht nur während der Arbeit, sondern auch in Ruhe einen erhöhten Kalorienve­rbrauch“, betont Winfried Banzer, emeritiert­er Sportmediz­iner von der Goethe-Universitä­t in Frankfurt. Was aber nicht heißt, dass man im Fitnessstu­dio hohe Gewichte stemmen muss. Durch regelmäßig­es Joggen und Radfahren kommt es ebenfalls zum Muskelaufb­au, auch wenn der nicht so sichtbar ist. So zählt beispielsw­eise auch das Herz zu den Muskeln, und das wächst auch beim Ausdauersp­ort, sofern der Puls dabei ungefähr im Bereich von 180 minus Lebensalte­r liegt.

Ganz zu schweigen davon, dass Joggen und Radfahren auch zu einem Muskelwach­stum an Waden, Oberschenk­eln und Gesäß führen, das man nicht unbedingt auf den ersten Blick sieht. Wer mit dem Rad die Berge hinaufstra­mpelt, wird dabei sogar merken, wie seine Schulter- und Bizepsmusk­eln trainiert werden. Denn er muss dazu an seinem Lenker ziehen, um mehr Druck auf die Pedale zu bekommen.

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