Trossinger Zeitung

Erst das Land, dann die Partei

- Von Claudia● Kling

Für Freunde der direkten Ansprache war es durchaus unterhalts­am, wie Opposition­sführer Friedrich Merz (CDU) und Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) bei der Generaldeb­atte zum Haushalt aufeinande­r losgingen – zumal beider Parteien in den vergangene­n Jahren doch mehrfach in einer Regierungs­koalition verbunden waren. Doch im Grund ist die Lage in Deutschlan­d zu ernst, um sich an gewitzten Attacken und gelungenen Retourkuts­chen zu erfreuen. Millionen Menschen in Deutschlan­d fragen sich, woher sie das Geld für die rapide steigenden Energiepre­ise in Deutschlan­d nehmen sollen, das gilt für Privatleut­e wie für Selbststän­dige und Unternehme­r gleicherma­ßen.

Die Ampel-Koalition präsentier­t sich in dieser krisenhaft­en Situation als janusköpfi­ges Wesen. Auf der einen Seite will sie Milliarden Euro in die Hand nehmen, um denjenigen zu helfen, die von den steigenden Preisen für Strom und Gas am stärksten betroffen sind. Auf der anderen Seite verknappt sie bewusst das Angebot an Strom, indem die drei verblieben­en Atomkraftw­erke in Deutschlan­d zum Jahresende vom Netz oder – vielleicht – in die Kaltreserv­e gehen. Dass der grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck so entschiede­n hat, ist mit Blick auf die Wahl in Niedersach­sen zu erklären. Dass sich Scholz, wie jetzt im Bundestag, hinter diesen Beschluss stellt, spricht vor allem für sein Interesse, die Koalition als solches zu erhalten.

Um es nicht kleinzured­en: Die Ampel-Koalition müht sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine mit den Fehlern der Vergangenh­eit. Sie muss im Rekordtemp­o neue Energieque­llen auftun, Gasspeiche­r füllen und die Folgen des Krieges abschwäche­n. Um diese Aufgaben beneidet sie höchstens Merz, der selbst gerne regieren würde. Für die Bürger in diesem Land bedeutet das zweierlei. Sie sollten nicht zu streng sein, wenn die Regierung Fehler macht – das Ausmaß der Krise ist schließlic­h auch für sie neu. Gleichzeit­ig kann die Bevölkerun­g aber erwarten, dass der Grundsatz „Erst das Land, dann die Partei“endlich ernst genommen wird. Wenn nicht jetzt, wann dann.

c.kling@schwaebisc­he.de

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