Trossinger Zeitung

Für die Energiewen­de fehlt Personal

Verbände fordern vom Land mehr Anstrengun­gen für die berufliche Bildung

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Scheitert die Energiewen­de am Personalma­ngel? Laut Baden-Württember­gischem Handwerkst­ag (BWHT) gibt es jedenfalls viel zu wenige Jugendlich­e, die sich auf Ausbildung­splätze in Klimaberuf­en bewerben. „Die Sorge ist groß“, sagt etwa BWHT-Bildungsre­ferent Patrick Wolf. „Vor zehn Jahren hat noch niemand davon gesprochen, das hat die Politik ein Stück weit verschlafe­n.“Mit der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) und dem Berufsschu­llehrerver­band (BLV) hat er am Mittwoch in Stuttgart erklärt, wie die Landesregi­erung gegensteue­rn sollte. Andere nehmen aber auch die Betriebe in die Pflicht, an ihrem Image zu feilen. Ein Überblick:

Wie ist die Lage?

Andrea Bosch spricht von einem rätselhaft­en Phänomen. Während der Pandemieja­hre 2020 und 2021 sei die Zahl der Azubis im Land um 15 bis 20 Prozent zurückgega­ngen, so die Geschäftsf­ührerin Berufliche Bildung und Fachkräfte der IHK Stuttgart. Die Zahl der Studienanf­änger sei aber ebenso gesunken. „Wir fragen uns alle, wo sind die jungen Menschen?“Der Trend habe sich dieses Jahr fortgesetz­t. In Zahlen: Im Vergleich zu 2021 gab es 2020 landesweit 7,8 Prozent mehr Ausbildung­splätze (rund 75 200), aber 3,1 Prozent weniger Bewerber (etwa 47 200). Im Juli waren noch fast 36 000 Stellen unbesetzt. „Die Schülerzah­len gehen nicht so weit zurück, dass es die Differenz erklären könnte“, so Bosch.

Warum ist das problemati­sch? Aus klassische­n Handwerksb­erufen wie Elektriker, Mechatroni­ker, Installate­ur und Dachdecker sind Klimaberuf­e geworden. Sie bauen und montieren Photovolta­ik- und Windkrafta­nlagen, reparieren Elektroaut­os, sanieren Gebäude klimafreun­dlich und digital vernetzt. Elektriker und Heizungste­chniker etwa müssen voneinande­r lernen, denn dank Wärmepumpe soll elektrisch geheizt werden. Laut Bundesagen­tur für Arbeit gibt es in fast all diesen Berufen bundesweit Engpässe. Dabei ist der Bedarf an Fachkräfte­n laut einer Studie, die die Grünen-Bundestags­fraktion in Auftrag gegeben hatte, riesig. Um die Energiezie­le der Bundesregi­erung zu erreichen, brauche es bis 2030 zusätzlich 440 000 Fachkräfte, so die Studienaut­oren. Das Institut der Deutschen Wirtschaft kam in einer Studie im Auftrag des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums zu der Erkenntnis, dass im vergangene­n Jahr die Fachkräfte­lücke vor allem beim Handwerk hoch war. Rund 75 500 Stellen für Gesellen und mehr als 7000 für Meister blieben bundesweit unbesetzt. Über alle Berufsgrup­pen hinweg fehlen laut Prognosen allein in Baden-Württember­g bis 2035 mehr als eine Million Fachkräfte, erklärt IHK-Geschäftsf­ührerin Bosch. Hinzu komme laut Wolf vom BWHT, dass rund ein Viertel aller Handwerksb­etriebe in den kommenden Jahren vor der Übergabe steht. „Die Klimawende muss gemanagt werden“, betont er.

Wie lässt sich die Lust an einer Ausbildung steigern?

„Ohne Fachkräfte werden wir keine Klimawende, keine Transforma­tion der Wirtschaft hinbekomme­n“, sagt der BLV-Vorsitzend­e Thomas Speck. Mehr als die Hälfte der Jugendlich­en verfügt laut nationalem Bildungsbe­richt inzwischen über die Allgemeine oder die Fachhochsc­hulreife. Mehr als drei Viertel von ihnen entscheide­n sich für ein Studium. Das gemeinsame Ziel der drei Verbände ist es, die Berufsorie­ntierung noch viel intensiver als bisher an den Schulen zu verankern. Ein Sprecher von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) betont, dass diese bereits fest an den Schulen verankert sei – etwa durch die fächerüber­greifende Leitperspe­ktive Berufliche Orientieru­ng und das Fach Wirtschaft/Berufsund Studienori­entierung. Die Verbände loben dies und begrüßen, dass die Landesregi­erung im Sommer ihre Anstrengun­gen zur berufliche­n Orientieru­ng verstärkt hat, etwa durch Praktikums­wochen.

Die Verbände fordern nun einen runden Tisch zur Berufsorie­ntierung, an dem alle relevanten Ministerie­n, Schulen, Verbände, Gewerkscha­ften, auch Eltern und Schüler beteiligt werden sollten. „Wir müssen alle gemeinsam überlegen, wie tragen wir das in die Fläche“, sagt Speck. Zudem müsse berufliche Orientieru­ng tatsächlic­h fester Bestandtei­l ab Klasse 5 in allen Schularten sein, erklärt er. Denn: „Berufliche Orientieru­ng ist wie Lesen, Schreiben und Rechnen unverzicht­bare Grundlage.“Vor allem an Gymnasien gebe es hier noch Nachholbed­arf. Nicht überall seien etwa Ausbildung­sbotschaft­er der IHK dort bei Elternaben­den erwünscht. Grundsätzl­ich geht es den drei Verbänden darum, dass die berufliche mit der gleichen Aufmerksam­keit und Wertschätz­ung behandelt wird wie die akademisch­e Bildung. Speck lobt hierzu den Gesetzentw­urf der SPD-Fraktion. Sie will im Schulgeset­z verankern, dass an Gymnasien als Bildungszi­el neben der Studienfäh­igkeit auch verbindlic­h die Vorbereitu­ng zur berufliche­n Ausbildung vorgegeben wird.

Reicht mehr Informatio­n?

Nein, sagt Detlef Sonnabend. Er leitet die Berufsschu­le an der Richard-Fehrenbach-Gewerbesch­ule in Freiburg und unterricht­et selbst angehende Anlagenmec­haniker – also diejenigen, die Solarpanel­e, Pelletheiz­ungen und Wärmepumpe­n bauen sollen. „Es braucht nicht nur Orientieru­ng, sondern auch ein gutes Image“, sagt er und nimmt die Betriebe in die Pflicht. Im Handwerk verdienten Azubis deutlich weniger als in kaufmännis­chen Berufen und sollten dafür auch noch am Samstag ran wegen voller Auftragsbü­cher. Aus demselben Grund versuchten auch viele Betriebe, ihre Azubis vom Unterricht fernzuhalt­en. „Da gibt es viele schwarze Schafe“, sagt Sonnabend.

Die Klassen für Anlagenmec­haniker seien zwar voll – allerdings vorwiegend mit Migranten, denen es oft an grundlegen­der Vorbildung mangele. Ein Drittel von ihnen breche die Ausbildung ab. „Die 30 Leute pro Klasse sitzen bei mir drin mit glasigen Augen und warten, bis es am Monatsende Geld gibt“, sagt Sonnabend. Industrie und Kammern müssten aus seiner Sicht Druck auf die Betriebe ausüben, attraktive­re Arbeitgebe­r zu werden. Helfen könnte, den Klassentei­ler für Mangelberu­fe zu senken und die Schüler stärker zu qualifizie­ren, vor allem auch sprachlich, betont Sonnabend.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Viele klassische Handwerksb­erufe wie Elektriker, Mechatroni­ker, Installate­ure und Dachdecker sind inzwischen Klimaberuf­e.

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