Trossinger Zeitung

Jäger in der Stadt

- Von Lisamarie Haas

ISNY - Nebel schwebt durch die Gassen. Eine dunkle Gestalt huscht vorbei, nimmt das Gewehr zur Brust – ein Schuss hallt durch die Straßen. Das ist keine Szene aus einem Krimi, sondern das Bild, das entsteht, wenn das Wort „Stadtjäger“fällt. Seit Juli dieses Jahres können Stadtjäger wie Uwe Deißler aus Isny im Allgäu in Baden-Württember­g offiziell als solche anerkannt werden. Wenn sie in einer Gemeinde oder Stadt eingesetzt werden, dürfen Jäger ab sofort auch im befriedete­n Gebiet jagen. Das heißt aber noch lange nicht, dass fortan Jäger mit der Flinte durch die Fußgängerz­one laufen und auf jedes Wildtier schießen.

Wildschwei­ne, die Komposthau­fen umgraben, Füchse, die Mülltonnen plündern: Immer mehr Wildtiere kommen in die Städte und suchen die Nähe zu den Menschen. Auch Waschbären, Wildgänse, Marder – sie tauchen laut einer Studie der Albert-Ludwigs-Universitä­t Freiburg immer häufiger in Städten und Dörfern auf. Dort gebe es für sie einen attraktive­n Lebensraum, denn sie werden – zumindest bislang – weniger bejagt, es gibt viele Unterschlu­pfmöglichk­eiten, viel Nahrung und im Winter ein deutlich milderes Klima als in Feld und Flur. Wildtiere schätzen, was auch die Menschen schätzen.

Baden-Württember­g versucht, den Wildtieren in der Stadt unter anderem mit der Anerkennun­g der Stadtjäger beizukomme­n. Bereits seit 2017 gibt es im Südwesten die Ausbildung dazu. Seit Juli können die Stadtjäger nun von Städten oder Gemeinden eingesetzt werden.

Mehr als 120 Waidmänner haben die Ausbildung bislang absolviert. Sie können bei den Landratsäm­tern einen Antrag stellen, dort bekommen sie einen offizielle­n Stadtjäger­Ausweis. Wenn sie den in der Tasche haben, können sie sich bei Gemeinden vorstellen und ihre Dienste anbieten. Kommunen können aber auch gezielt auf Stadtjäger zugehen und sich ihre Dienste sichern. Entweder dauerhaft oder nur für ein akutes Problem mit Wildtieren. Wie die Dienste entlohnt werden, können die Städte und Gemeinden selbst entscheide­n.

Uwe Deißler hat die Ausbildung zum Stadtjäger 2018 gemacht, wartet nun auf seinen offizielle­n Ausweis vom Landratsam­t. Der ehemalige Berufssold­at ist pensionier­t. Jäger ist er mit Leib und Seele, in der Region Isny ist er Jagdpächte­r für einige Gebiete. Er kennt sich aus mit den Schwierigk­eiten, die Wildtiere in Städten bereiten können. Häufig wird er von der Polizei zu Wildtierun­fällen oder Tieren in Not gerufen. Vor Kurzem wurde er von einer Familie angefragt, weil ein Dachs in deren Garten den Boden umgrub. Der Grund dafür war laut Deißler schnell klar. „Die Oma meinte es ein bisschen zu gut mit dem Vogelfutte­r“, erzählt der 57-Jährige. Weil das viele Vogelfutte­r aus dem Vogelhäusc­hen fiel, kamen die Mäuse. Dann kam der Dachs. Ein Fall, der mit einer Beratung bereits gelöst werden kann. Aufklärung ist auch eine seiner wichtigste­n Aufgaben als Stadtjäger. „Man könnte im Vorfeld präventiv einiges ändern“, sagt er mit Blick auf seine künftige Tätigkeit.

Dass Wildtiere in die Stadt oder in Gärten kommen, ist laut Christian

Schwenk, zuständige­r Fachmann beim Jagd-, Natur- und Wildtiersc­hützerverb­and (JNWV) zunächst einmal nicht besorgnise­rregend. Erst, wenn es zu Konflikten zwischen Wildtieren und Menschen kommt, müsse ein Stadtjäger eingreifen.

Allzu große Sorgen müssen sich Haustierbe­sitzer aber auch hier erst einmal nicht machen. Schwenk gibt ein Beispiel: Er hat kürzlich eine Frau beraten, die einen Hund besitzt. Nun habe sie immer wieder einen scheinbar kranken Fuchs in ihrem Garten bemerkt und sich gesorgt, ihr Hund könne sich bei dem Wildtier anstecken.

Der Hund halte sich meistens im Haus auf und sei im Garten nur an der Leine, weil er sich noch eingewöhne. Schwenk habe ihr erklärt, dass es dadurch sehr unwahrsche­inlich sei, dass ihr Hund sich bei dem Wildtier ansteckt. Warum der Fuchs immer in ihren Garten kam, stellte sich auch heraus: Sie legte immer Futter für die frei laufenden Katzen in der Nachbarsch­aft in ihrem Garten aus. Auf den Rat des Stadtjäger­s stellte sie das zehn Tage lang ein und der Fuchs kam nicht wieder.

Wie in diesem Fall sind es häufig die Stadtbewoh­ner selbst, die unbewusst Wildtieren das Leben rund um ihr Haus angenehm machen. Grundsätzl­ich sollte man Wildtiere nicht füttern und Abstand halten, sonst verlieren die Waldbewohn­er ihre Scheu. Als zweites Mittel versuchen Stadtjäger, die Tiere aus dem städtische­n Gebiet zu vertreiben. Das tun sie zum Beispiel, indem sie ihnen die Nahrungsgr­undlage entziehen, sie mit Ultraschal­l wie bei einem Marderschr­eck vergrämen oder ein Falkner die Wildtiere mithilfe von Greifvögel­n vertreibt. „Die Stadtjäger­ausbildung ist kein Mittel, um jetzt die Tiere auch noch in den Städten zu bejagen“, erklärt Schwenk.

Trotzdem kritisiert der Landestier­schutzverb­and das Vordringen der Jagd in befriedete­s Gebiet. „Aus unserer Sicht hätte es das nicht gebraucht. Es war vorher auch handhabbar“, sagt Martina Klausmann vom Landestier­schutzverb­and Baden-Württember­g im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Mit der Anerkennun­g der Stadtjäger ist unsere Befürchtun­g, dass es zulasten der Tiere in der Stadt gehen wird.“Wildtiere fänden immer weniger Lebensräum­e, weil der Mensch in ihren Lebensraum vordringe, sagt Klausmann. Die Stadt werde deshalb immer mehr auch zum Lebensraum der Wildtiere.

Der Landestier­schutzverb­and akzeptiert die Jagd grundsätzl­ich nur, wenn es auch einen guten Grund dafür gibt – zum Beispiel, wenn ein Tier leidet. Bei der Erneuerung des Landesjagd­rechts war der Verband in die Diskussion­en eingebunde­n worden. So habe man erreicht, dass nur noch Lebendfall­en genutzt werden dürfen. Die Wildruhe für alle Tiere sei aber bereits wieder aufgehoben worden. Invasive Arten, wie beispielsw­eise Waschbären, dürfen nun doch wieder ganzjährig bejagt werden, auch wenn sie Junge haben. „Das finden wir nicht gut.“

Bislang bietet nur der Jagd-, Naturund Wildtiersc­hützerverb­and die Ausbildung an. Machen kann sie jeder, der einen Jagdschein hat. Nach der erstmalige­n Anerkennun­g müssen die Stadtjäger sich alle fünf Jahre fortbilden. In der Ausbildung lernen sie unter anderem, Wildtierkr­ankheiten zu erkennen und erfahren, wie man Fuchs, Marder und Co. grundsätzl­ich aus Wohngebiet­en fernhält. Auf dem Lehrplan steht außerdem eine spezielle Schießausb­ildung. Wichtig ist dabei auch, welche Munition Jäger in der Stadt verwenden dürfen – und eine spezielle Schusstech­nik ist auch Pflicht. Unter anderem dürfen sie in der Stadt nur schießen, wenn andere Maßnahmen nicht erfolgreic­h waren und Gefahr für Sicherheit und Ordnung oder von Tierseuche­n besteht.

In der Ausbildung habe er gemerkt, dass es den Teilnehmer­n nicht um Munition und die Jagd an sich gegangen sei, sondern um die Weiterbild­ung und das Wissen über Wildtiere, sagt Christian Schwenk. „Wildtierma­nagement“heißt das, was Stadtverwa­ltung, Forstamt, Tierschutz­vereine und der Stadtjäger vor Ort betreiben. Wenn es ein Problem in der Stadt gibt, wird zuerst abgesproch­en, wie man dagegen vorgeht. Ein großer Vorteil des Stadtjäger­s ist laut Christian Schwenk, dass die Bürger keine Einzelfall­genehmigun­g mehr brauchen, wenn sie einen Jäger mit der Fallenjagd beauftrage­n. Denn die kostet Zeit und Geld.

Bei der Fallenjagd mit der Lebendfall­e fängt der Jäger ein Tier und setzt es aus oder erschießt es. Sollte sich mal eine Katze verirren, wird sie einfach wieder freigelass­en. Es gibt gesetzlich­e Vorgaben im Jagdrecht, welche Tiere Stadtjäger jagen dürfen: vom Dachs über Fuchs, Nutria, Feldhase zum Blesshuhn, der Ringeltaub­e

bis hin zur Waldschnep­fe. Hunde, Katzen, Igel, Mäuse oder Ratten fallen dagegen nicht darunter.

Bevor Uwe Deißler die Waffe in der Stadt einsetzt, muss er die Polizei verständig­en. Erst dann darf er auch im städtische­n Gebiet schießen. Jäger unterliege­n beruflich und privat strengen Regeln. Bevor sie von der Jagdbehörd­e anerkannt werden, wird geprüft, ob sie überhaupt dafür geeignet sind. Wenn sie ihre Waffe nicht sachgemäß transporti­eren oder wenn sie sich unabhängig von der Jagd etwas zuschulden kommen lassen, kann ihnen der Jagdschein entzogen werden und sogar Freiheitsu­nd Geldstrafe­n drohen. Gemäß der entspreche­nden Gesetze muss die Polizei den Stadtjäger auch vorab überprüfen und zustimmen, damit der Jäger in einer Gemeinde eingesetzt werden kann.

Welche Aufgaben ein Stadtjäger vor Ort tatsächlic­h hat, ist überall anders. In Ballungsze­ntren wie Stuttgart gibt es viele Waschbären, die zu den invasiven Arten zählen und damit nicht ausgesetzt werden dürfen, sollten sie gefangen werden. Sie haben Pfoten, die wie Hände funktionie­ren, und können damit zum Beispiel durch Katzenklap­pen ins Haus kommen. Im ländlichen Isny sind es eher die Dachse, Füchse und Marder, die in Gärten kommen oder in Hausdächer­n leben.

Obwohl er sich bewusst weiterbild­et und auch gerne Stadtjäger geworden ist, schwingt doch leichte Kritik in Uwe Deißlers Erzählunge­n mit. All ihre Fallen, Kescher und Tierboxen müssen die Stadtjäger selbst kaufen. Dazu kommen Funkmelder, Wildtierka­meras, Schutzhand­schuhe und vieles mehr. In der Stadt brauchen Stadtjäger wieder andere Gerätschaf­ten, häufig müssen sie in ihrer Arbeit kreativ werden und Equipment umfunktion­ieren.

Außerdem müssen sie ständig abrufberei­t sein. Viel zu tun gebe es laut Uwe Deißler für die Stadtjäger allemal. Die meisten Jäger seien ehrenamtli­ch tätig und hätten „nebenher“einen Hauptberuf. „Für Berufstäti­ge ist das gar nicht zu schaffen“, sagt er.

Wie genau die Zusammenar­beit von Jäger, Gemeinde, Tierschutz und Bürgern zukünftig sein wird und wie genau die Jäger tätig werden können, das wird sich erst mit der Zeit zeigen. „Es wird spannend, wie sich das alles herauskris­tallisiert“, sagt Uwe Deißler.

 ?? FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA ?? Ein Fuchs mitten in der Stadt am hellen Tag. Wildtiere kommen immer mehr in die urbenen Gebiete, weil sie dort Futter, Unterschlu­pf und ein mildes Klima vorfinden.
FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Ein Fuchs mitten in der Stadt am hellen Tag. Wildtiere kommen immer mehr in die urbenen Gebiete, weil sie dort Futter, Unterschlu­pf und ein mildes Klima vorfinden.
 ?? FOTO: LISAMARIE HAAS ?? Kescher, Lebendfall­e für Marder, Schlinge: nur eine Auswahl des Equipments eines Stadtjäger­s.
FOTO: LISAMARIE HAAS Kescher, Lebendfall­e für Marder, Schlinge: nur eine Auswahl des Equipments eines Stadtjäger­s.
 ?? FOTO: LISAMARIE HAAS ?? Uwe Deißler ist seit 2018 Stadtjäger und hat die Pacht für das Jagdgebiet rund um Isny.
FOTO: LISAMARIE HAAS Uwe Deißler ist seit 2018 Stadtjäger und hat die Pacht für das Jagdgebiet rund um Isny.
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FOTO: LISAMARIE HAAS Stadtjäger Uwe Deißler aus Isny.

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