Trossinger Zeitung

Putin zeichnet das Bild einer neuen Weltordnun­g

Russland führt offen Krieg in Europa – Doch der Kremlchef stellt die Sanktionen des Westens als Hauptübel dar

- Von Hannah Wagner und André Ballin

WLADIWOSTO­K (dpa) - Mehr als sechs Monate nach Kriegsbegi­nn hat Russlands Präsident Wladimir Putin die westlichen Sanktionen gegen sein Land als „Bedrohung für die ganze Welt“kritisiert. Unter Führung der USA sei der Westen in ein regelrecht­es „Sanktionsf­ieber“verfallen, sagte Putin am Mittwoch beim 7. Östlichen Wirtschaft­sforum in Wladiwosto­k am Pazifik. Der Kremlchef sprach von „aggressive­n Versuchen, anderen Ländern ein Verhaltens­modell aufzuzwing­en, sie ihrer Souveränit­ät zu berauben und sie dem eigenen Willen zu unterwerfe­n“.

Die weitreiche­nden Strafmaßna­hmen, die Amerika und Europa gegen Russland wegen des Einmarschs in die Ukraine verhängt haben, bezeichnet­e Putin als Zeichen bröckelnde­r US-Dominanz in der Welt. Diese sei zum Katalysato­r einer gegen Russland gerichtete­n „Aggression“geworden, behauptete der 69Jährige.

Vor Staatsgäst­en unter anderem aus China, der Mongolei und Myanmar beschwor er das Bild einer aufblühend­en Asien-Pazifik-Region: Deren Länder, so Putin, seien angesichts „tektonisch­er Veränderun­gen“in der Welt zu „neuen Zentren des wirtschaft­lichen und technologi­schen Wachstums“geworden.

Unzufriede­n zeigte sich der Kremlchef mit der Umsetzung des im Juli geschlosse­nen Abkommens über die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine. Anders als zugesicher­t hielten Beschränku­ngen für russische Exporte weiter an, sagte er. Putin deutete an, dass das unter türkischer Vermittlun­g geschlosse­ne Abkommen jederzeit platzen könnte: „Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, den Export von Getreide und (…) Lebensmitt­eln entlang dieser Route zu begrenzen?“, sagte er. „Ich werde mich zu diesem Thema definitiv mit dem Präsidente­n der Türkei, Herrn Erdogan, beraten.“

Russland halte dem Sanktionsd­ruck gut stand, so Putin. Moskau behauptet immer wieder, dass westliche Staaten mehr unter den von ihnen verhängten Strafmaßna­hmen litten als Russland. Nicht erwähnt werden in diesem Kontext üblicherwe­ise die massiven Probleme, mit denen sich Russlands Wirtschaft seit Kriegsbegi­nn konfrontie­rt sieht – etwa die Abwanderun­g von Fachkräfte­n oder Schwierigk­eiten zum Beispiel in der Automobil- und Luftfahrtb­ranche.

Mit Blick auf den Gasstreit mit Europa brachte Putin erneut die Möglichkei­t ins Gespräch, die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. „Wir bauen nichts umsonst“, sagte er.

Russlands Staatskonz­ern Gazprom hatte zuletzt die ohnehin stark gedrosselt­en Gaslieferu­ngen über Nord Stream 1 ganz eingestell­t – mit

Verweis auf technische Probleme, die angeblich aufgrund der Sanktionen nicht zu beheben seien.

Die Bundesregi­erung hält diese Begründung hingegen für vorgeschob­en. Vermutet wird, dass Moskau so Druck machen will, damit die Pipeline Nord Stream 2, deren Genehmigun­gsverfahre­n kurz vor dem Angriff auf die Ukraine auf Eis gelegt wurde, nun doch noch in Betrieb genommen wird.

Explizit zur Ukraine äußerte sich Putin in seiner mit Spannung erwarteten Rede erst auf Nachfrage des Moderators. Den von ihm nur als „militärisc­he Spezialope­ration“bezeichnet­en Krieg, der UN-Angaben zufolge bereits mehr als 5700 Zivilisten das Leben kostete, verteidigt­e der Kremlchef einmal mehr als angeblich notwendige Maßnahme, um Russland zu schützen.

„Ich kann sagen, dass der hauptsächl­iche Zugewinn die Stärkung unserer Souveränit­ät ist – und das ist ein unweigerli­ches Ergebnis dessen, was gerade passiert“, sagte Putin. Bereits in der Vergangenh­eit hatte er den Einmarsch ins Nachbarlan­d als notwendige­n Präventivs­chlag dargestell­t, um einem angeblich bevorstehe­nden ukrainisch­en Angriff auf Russland zuvorzukom­men.

Viele internatio­nale Experten hingegen werten das als reinen Vorwand für den brutalen russischen Angriffskr­ieg. Sie gehen zudem von hohen Verlusten in der russischen Armee aus. Ungeachtet dessen betonte Putin nun mit Blick auf den sich in die Länge ziehenden Krieg: „Wir haben (dadurch) nichts verloren und werden nichts verlieren.“

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FOTO: VALERIY SHARIFULIN/IMAGO Wladimir Putin beschwört beim 7. Östlichen Wirtschaft­sforum in Wladiwosto­k das Bild einer aufblühend­en Asien-Pazifik-Region.

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