Trossinger Zeitung

Der Internetwe­rbung auf der Spur

Ungebetene Videos, nervige Reklame und lästige Hotelangeb­ote lassen sich reduzieren

- Von Susanne Kupke

PFORZHEIM (dpa) - Eines der ersten Worte, die der 20 Monate alte Elias sprach, war: „BMW“. Und der Knirps zeigte auf einen. Marketing-Professor Jörg Tropp weiß bis heute nicht, warum sein Sohn dies tat. Die Familie fährt eine andere Marke. „Fakt ist jedenfalls, dass sich die Konsumwelt bereits sehr früh mit der Lebenswelt eines Menschen kognitiv vernetzt“, sagt der Kommunikat­ionswissen­schaftler der Pforzheime­r Hochschule. Für ihn war das Erlebnis mit seinem Sohn mit ein Auslöser, moderner Werbung auf den Grund zu gehen.

Auffällig viel Schuhrekla­me nach dem Stiefelein­kauf, lästige Videos vor angeklickt­en Nachrichte­n oder Hotelangeb­ote just im bevorzugte­n Urlaubslan­d – Werbung im Internet ist überall. Meist nervig, bisweilen beängstige­nd passgenau. Woher wissen die das alles? „Jedes Like bei Instagram, jeder Kommentar bei Twitter, jeder Onlineeink­auf hinterläss­t Spuren“, sagt Experte Tropp. Und beim Nutzer das dumpfe Gefühl, unbekannte­n Mächten ausgeliefe­rt zu sein.

„Algorithme­n sammeln und verknüpfen alles, was sie über uns finden können, um Erkenntnis­se über unsere Vorlieben, Wünsche, Bedürfniss­e und Absichten zu gewinnen“, erläutert er. In seinem Buch „Vernetzte Verführung­en“, in dem er versucht, eine Brücke zwischen Wissenscha­ft und Alltag zu schlagen, zeigt er aber auch, dass Nutzer dem nicht schutzlos ausgeliefe­rt sein müssten. Mit ein paar Tricks und Klicks könnten sie den Verführung­en der Konsumindu­strie selbstbest­immter entgegentr­eten.

Voraussetz­ung ist, so Tropp, dass Verbrauche­r das notwendige Wissen haben, Informatio­nen von kommerziel­len Botschafte­n unterschei­den zu können und konsequent darauf achten, welche Informatio­nen sie über sich preisgeben. Er verweist darauf, dass man ein Werbeblock­erProgramm (Adblocker) installier­en, Suchmaschi­nen wie Metager oder Startpage statt Google nutzen und in Privacy-Browsern wie Brave, Epic und Tor surfen könnte. Schon das Löschen von Cookies kann große Wirkung haben und die lästige Fettabsaug­ewerbung verbannen. Tropp betont: „Wir müssen nicht jedes Cookie aus Bequemlich­keit zulassen.“

Das Hauptprobl­em aus seiner Sicht: „Wir laufen Gefahr, dass wir für kommerziel­le Botschafte­n blind werden.“So hat eine Stanford-Studie mit knapp 8000 US-Jugendlich­en ergeben, dass diese kaum noch zwischen Nachrichte­n und Werbung im Internet unterschei­den können. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Untersuchu­ng der britischen Medienaufs­ichtsbehör­de Ofcom. Nicht besser sieht es hierzuland­e aus: Nach einer Studie der Bundeszent­rale für politische Bildung, der Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Kultur und Medien sowie mehrerer Landesmedi­enanstalte­n hielten 56 Prozent der

„Jedes Like bei Instagram, jeder Kommentar bei Twitter, jeder Onlineeink­auf hinterläss­t Spuren.“

über 18-jährigen Befragten eine redaktione­ll aufgemacht­e Werbeanzei­ge für eine Informatio­n.

Thomas Rathgeb, Leiter der Abteilung Medienkomp­etenz bei der Landesanst­alt für Kommunikat­ion (LfK), erklärt sich das so: Wenn Jugendlich­e über den gleichen „Kanal“Nachrichte­n von Freunden, Lieblingsm­usik, Games, News, klassische Onlinewerb­ung und werbliche Inhalte von Influencer­n bekommen, sei die Unterschei­dung schwierig. „Hier den Überblick zu behalten und Werbung zu erkennen, ist angesichts der kurzen, bildlastig­en und streng formatiert­en Angebote nicht einfach.“Die Medienanst­alten bieten im Internet verschiede­ne Hilfen an. Nötig sei Hintergrun­dwissen zu Funktionsw­eisen von Social Media, unterstrei­cht Rathgeb. In den Schulen finde Medienbild­ung noch zu wenig Beachtung.

Auch Marketing-Experte Tropp sieht für Schulen großen Aufholbeda­rf. Schon die Jüngsten müssten besser für den Umgang mit Instagram, Facebook, Google und Co. gewappnet sein. „Wir müssen unsere

Kommunikat­ionswissen­schaftler Jörg Tropp

Verbrauche­rsouveräni­tät mahnt er.

Der Kern des Problems ist alt. USKonsumkr­itiker Vance Packard warnte bereits 1957 in seinem Klassiker „Die geheimen Verführer“vor den Tücken der Werbenden. „Das Bestreben, den Willen der Verbrauche­r auszuschal­ten, ist an und für sich nichts Neues“, sagt Tropp. Neu seien aber die ungeahnten Möglichkei­ten für die Werbeindus­trie durch die Vernetzung im Internet.

Der Pforzheime­r Professor will Werbung keinesfall­s verteufeln. Er plädiert vielmehr für eine neue „Verführung­skultur“. Gefragt sei eine Haltung der Unternehme­n, die von Empathie und Nachhaltig­keit geprägt sei. „Zentrale kommunikat­ive Ressourcen wie Transparen­z, Vertrauen und Respekt dürfen von der Werbung nicht länger aufgebrauc­ht werden.“Gleichzeit­ig müssten Verbrauche­r aus der bequemen Ecke kommen und ihr Wissen umsetzen. Gewohnheit, Faulheit oder Zeitmangel: „Wir wissen viel über Werbung – und handeln trotzdem anders.“Das muss aufhören, sagt Tropp. sichern“,

Literatur: Jörg Tropp: Vernetzte Verführung­en. 2021, 195 Seiten, 22,99 Euro.

ISBN 978-3-658-35970-6. Auch als E-Book verfügbar.

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FOTO: ANDREA WARNECKE/DPA Adblocker-Programme können Werbung im Netz verhindern.
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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Jörg Tropp ist Marketing-Professor an der Hochschule Pforzheim.

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