Auf der Suche nach Anschluss
Warum viele Solaranlagen trotz eines Bilderbuchsommers keinen Strom erzeugen
RAVENSBURG - Bürokratische Hürden, überforderte Netzbetreiber und Installateure, frustrierte Kunden: Hunderte fertiggestellte Solaranlagen können aktuell keinen klimafreundlichen Strom produzieren, weil sie wegen fehlender Zertifizierungen nicht an das Stromnetz angeschlossen sind. „Der Stau bei Netzanschlüssen lag zuletzt teils bei einem Jahr und darüber hinaus – zum Schaden für die Anlagenbetreiber und die Allgemeinheit“, schimpft Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Gründe dafür gibt es einige. Körnig macht in erster Linie „gänzlich unverhältnismäßige regulatorische Vorgaben“verantwortlich, mit denen sich die Solarbranche konfrontiert sieht. Vor allem die Anlagenzertifikate, die im Falle des Netzanschlusses neuer Solarstromanlagen gefordert werden, seien ein gravierendes Problem.
Solche Zertifizierungen brauchen Anlagenbetreiber ab einer Solarstromleistung von 135 Kilowatt, eine Größe, die bereits relativ kleine Gewerbe-Dachanlagen erreichen. Eingereicht werden muss das Zertifikat beim zuständigen Netzbetreiber, der festlegt, ob der Sonnenstrom ins Netz eingespeist werden und die fertige Anlage überhaupt in Betrieb genommen werden darf. Dazu ist der Netzbetreiber gesetzlich verpflichtet. Eine Stromerzeugungsanlage, auch wenn diese sehr klein ist, hat letztendlich Auswirkung auf die Netzstabilität. Daher muss geprüft werden, ob die Anlage sofort angeschlossen werden kann oder ob das Netz ausgebaut werden muss.
Bis vor wenigen Jahren war dieses Zertifikat nur für Anlagen mit einer Anschlussleistung von 1000 Kilowatt und mehr nötig. Nachdem die Bundesnetzagentur mit Verweis auf die Netzstabilität intervenierte, wurde der Grenzwert 2019 auf 135 Kilowatt heruntergesetzt. Seitdem haben sich die Anträge vervielfacht. Und da es deutschlandweit nur rund 20 akkreditierte Zertifizierungsstellen gibt, stauen sich die Anträge, die nach Auskunft von Energierechtsanwälten schon einmal „mehrere Ordner“füllen können.
Mit dem seit Ende Juli möglichen „Anlagenzertifikat unter Auflagen“soll der Stau bei anschlussfertigen Anlagen aufgelöst werden. Damit können Anlagen nun vorläufig ans Netz gehen und so schneller in Betrieb genommen werden. BSWHauptgeschäftsführer Körnig zufolge ist das aber dennoch „keine befriedigende Lösung für die Problematik mit den überhöhten Anforderungen bei der Anlagenzertifizierung“.
Seiner Meinung nach sollte die willkürlich festgelegte Schwelle von 135 Kilowatt Anlagenleistung „dringend deutlich angehoben“und die „teilweise nicht notwendig hohen Anforderungen und uneinheitlichen Vorgaben der Netzbetreiber bei den technischen Normen und Vorgaben bei Komponenten“vereinfacht und standardisiert werden. Diese mitunter willkürlichen Netzanschlussbedingungen würden den Photovoltaik-Ausbau bremsen.
So geben einige Netzbetreiber beispielsweise vor, von welchem Hersteller ein bestimmtes Bauteil sein muss, obwohl es technisch vergleichbare, günstigere Bauteile von anderen Herstellern gibt. Vor dem Hintergrund globaler Lieferschwierigkeiten führt dies zu Verzögerungen und Mehrkosten. Aktuell klemmt es beispielsweise immer wieder bei der Verfügbarkeit von Wechselrichtern. „Es sollte lediglich die technische Eigenschaft des Bauteils entscheidend sein und nicht das Fabrikat“, fordert Körnig und fügt hinzu: „Falls der Netzbetreiber trotzdem ein bestimmtes Fabrikat vorgibt, sollte er nachweisen müssen, warum alternative Fabrikate nicht zulässig sind.“
Doch nicht nur Betreiber größerer, gewerblicher Solaranlagen kämpfen aktuell mit dem Netzanschluss. Auch Privatkunden werden Steine in den Weg gelegt, wenn sie sich für eine Solaranlage auf dem eigenen Dach entscheiden. Zwar benötigen die kleineren Anlagen auf Einfamilienhäusern oder Garagendächern keine aufwendige Zertifizierung. Ohne Anmeldung beim örtlichen Netzbetreiber geht es aber auch da nicht.
Wer sich eine Solaranlage aufs Dach bauen lässt, arbeitet in der Regel mit einem spezialisierten Unternehmen zusammen, das die Installation von der Planung, bis hin zur Inbetriebnahme betreut und begleitet. Neben der Planung der Größe und Ausrichtung der Anlage übernimmt das Unternehmen auch die meisten nötigen Schritte zur Anmeldung und Registrierung der Solaranlage bei der Bundesnetzagentur im sogenannten Marktstammdatenregister und beim lokalen Netzbetreiber. Dieser muss die Netzkonformität prüfen und „unverzüglich“einen Netzanschluss herstellen.
In der Praxis – das zeigen Reaktionen Betroffener auf dem Onlineportal Agrarheute – ist „unverzüglich“jedoch ein dehnbarer Begriff, der sich schon mal über Monate hinziehen kann. Das ist besonders ärgerlich, da dem Betreiber nicht nur die 6,23 Cent pro Kilowattstunde Einspeisevergütung (für Anlagen mit einer Leistung unter zehn Kilowattpeak) verloren gehen. Er muss auch den selbst verbrauchten Strom teuer kaufen, den eigentlich seine Solaranlage hätte produzieren sollen.
Beim Netzbetreiber Netze BW, der das Stromverteilnetz in weiten Teilen Baden-Württembergs unterhält, will man sich den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen. Aktuell verzeichne man zwar einen starken Anstieg bei den Anträgen zur Anbindung von Solaranlagen. „Zurzeit liegen uns rund 25 000 Anträge vor“, sagt eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Doch trotz des Hochlaufs würde man für die Netzprüfung lediglich zwölf Tage benötigen und befände sich damit im Rahmen der vorgegebenen Fristen.
Im Anschluss an die Prüfung sei dann der Kunde beziehungsweise sein Elektroinstallateur gefordert, die Anlage zu installieren und Netze BW die technischen und vergütungsrelevanten Nachweise zur Verfügung zu stellen. Auf diese Abläufe und auf die dafür benötigten Zeiten, so die Sprecherin, hätte man keinen Einfluss.