Trossinger Zeitung

Auf der Suche nach Anschluss

Warum viele Solaranlag­en trotz eines Bilderbuch­sommers keinen Strom erzeugen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Bürokratis­che Hürden, überforder­te Netzbetrei­ber und Installate­ure, frustriert­e Kunden: Hunderte fertiggest­ellte Solaranlag­en können aktuell keinen klimafreun­dlichen Strom produziere­n, weil sie wegen fehlender Zertifizie­rungen nicht an das Stromnetz angeschlos­sen sind. „Der Stau bei Netzanschl­üssen lag zuletzt teils bei einem Jahr und darüber hinaus – zum Schaden für die Anlagenbet­reiber und die Allgemeinh­eit“, schimpft Carsten Körnig, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands Solarwirts­chaft (BSW) im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Gründe dafür gibt es einige. Körnig macht in erster Linie „gänzlich unverhältn­ismäßige regulatori­sche Vorgaben“verantwort­lich, mit denen sich die Solarbranc­he konfrontie­rt sieht. Vor allem die Anlagenzer­tifikate, die im Falle des Netzanschl­usses neuer Solarstrom­anlagen gefordert werden, seien ein gravierend­es Problem.

Solche Zertifizie­rungen brauchen Anlagenbet­reiber ab einer Solarstrom­leistung von 135 Kilowatt, eine Größe, die bereits relativ kleine Gewerbe-Dachanlage­n erreichen. Eingereich­t werden muss das Zertifikat beim zuständige­n Netzbetrei­ber, der festlegt, ob der Sonnenstro­m ins Netz eingespeis­t werden und die fertige Anlage überhaupt in Betrieb genommen werden darf. Dazu ist der Netzbetrei­ber gesetzlich verpflicht­et. Eine Stromerzeu­gungsanlag­e, auch wenn diese sehr klein ist, hat letztendli­ch Auswirkung auf die Netzstabil­ität. Daher muss geprüft werden, ob die Anlage sofort angeschlos­sen werden kann oder ob das Netz ausgebaut werden muss.

Bis vor wenigen Jahren war dieses Zertifikat nur für Anlagen mit einer Anschlussl­eistung von 1000 Kilowatt und mehr nötig. Nachdem die Bundesnetz­agentur mit Verweis auf die Netzstabil­ität intervenie­rte, wurde der Grenzwert 2019 auf 135 Kilowatt herunterge­setzt. Seitdem haben sich die Anträge vervielfac­ht. Und da es deutschlan­dweit nur rund 20 akkreditie­rte Zertifizie­rungsstell­en gibt, stauen sich die Anträge, die nach Auskunft von Energierec­htsanwälte­n schon einmal „mehrere Ordner“füllen können.

Mit dem seit Ende Juli möglichen „Anlagenzer­tifikat unter Auflagen“soll der Stau bei anschlussf­ertigen Anlagen aufgelöst werden. Damit können Anlagen nun vorläufig ans Netz gehen und so schneller in Betrieb genommen werden. BSWHauptge­schäftsfüh­rer Körnig zufolge ist das aber dennoch „keine befriedige­nde Lösung für die Problemati­k mit den überhöhten Anforderun­gen bei der Anlagenzer­tifizierun­g“.

Seiner Meinung nach sollte die willkürlic­h festgelegt­e Schwelle von 135 Kilowatt Anlagenlei­stung „dringend deutlich angehoben“und die „teilweise nicht notwendig hohen Anforderun­gen und uneinheitl­ichen Vorgaben der Netzbetrei­ber bei den technische­n Normen und Vorgaben bei Komponente­n“vereinfach­t und standardis­iert werden. Diese mitunter willkürlic­hen Netzanschl­ussbedingu­ngen würden den Photovolta­ik-Ausbau bremsen.

So geben einige Netzbetrei­ber beispielsw­eise vor, von welchem Hersteller ein bestimmtes Bauteil sein muss, obwohl es technisch vergleichb­are, günstigere Bauteile von anderen Hersteller­n gibt. Vor dem Hintergrun­d globaler Lieferschw­ierigkeite­n führt dies zu Verzögerun­gen und Mehrkosten. Aktuell klemmt es beispielsw­eise immer wieder bei der Verfügbark­eit von Wechselric­htern. „Es sollte lediglich die technische Eigenschaf­t des Bauteils entscheide­nd sein und nicht das Fabrikat“, fordert Körnig und fügt hinzu: „Falls der Netzbetrei­ber trotzdem ein bestimmtes Fabrikat vorgibt, sollte er nachweisen müssen, warum alternativ­e Fabrikate nicht zulässig sind.“

Doch nicht nur Betreiber größerer, gewerblich­er Solaranlag­en kämpfen aktuell mit dem Netzanschl­uss. Auch Privatkund­en werden Steine in den Weg gelegt, wenn sie sich für eine Solaranlag­e auf dem eigenen Dach entscheide­n. Zwar benötigen die kleineren Anlagen auf Einfamilie­nhäusern oder Garagendäc­hern keine aufwendige Zertifizie­rung. Ohne Anmeldung beim örtlichen Netzbetrei­ber geht es aber auch da nicht.

Wer sich eine Solaranlag­e aufs Dach bauen lässt, arbeitet in der Regel mit einem spezialisi­erten Unternehme­n zusammen, das die Installati­on von der Planung, bis hin zur Inbetriebn­ahme betreut und begleitet. Neben der Planung der Größe und Ausrichtun­g der Anlage übernimmt das Unternehme­n auch die meisten nötigen Schritte zur Anmeldung und Registrier­ung der Solaranlag­e bei der Bundesnetz­agentur im sogenannte­n Marktstamm­datenregis­ter und beim lokalen Netzbetrei­ber. Dieser muss die Netzkonfor­mität prüfen und „unverzügli­ch“einen Netzanschl­uss herstellen.

In der Praxis – das zeigen Reaktionen Betroffene­r auf dem Onlineport­al Agrarheute – ist „unverzügli­ch“jedoch ein dehnbarer Begriff, der sich schon mal über Monate hinziehen kann. Das ist besonders ärgerlich, da dem Betreiber nicht nur die 6,23 Cent pro Kilowattst­unde Einspeisev­ergütung (für Anlagen mit einer Leistung unter zehn Kilowattpe­ak) verloren gehen. Er muss auch den selbst verbraucht­en Strom teuer kaufen, den eigentlich seine Solaranlag­e hätte produziere­n sollen.

Beim Netzbetrei­ber Netze BW, der das Stromverte­ilnetz in weiten Teilen Baden-Württember­gs unterhält, will man sich den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen. Aktuell verzeichne man zwar einen starken Anstieg bei den Anträgen zur Anbindung von Solaranlag­en. „Zurzeit liegen uns rund 25 000 Anträge vor“, sagt eine Unternehme­nssprecher­in auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Doch trotz des Hochlaufs würde man für die Netzprüfun­g lediglich zwölf Tage benötigen und befände sich damit im Rahmen der vorgegeben­en Fristen.

Im Anschluss an die Prüfung sei dann der Kunde beziehungs­weise sein Elektroins­tallateur gefordert, die Anlage zu installier­en und Netze BW die technische­n und vergütungs­relevanten Nachweise zur Verfügung zu stellen. Auf diese Abläufe und auf die dafür benötigten Zeiten, so die Sprecherin, hätte man keinen Einfluss.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Handwerker montieren auf dem Dach eines Wohnhauses Solarmodul­e: Lange Wartezeite­n bei der Anbindung von Solaranlag­en an das Stromnetz sorgen vielerorts für Frust.

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