Trossinger Zeitung

Schlesinge­r hat Wut unterschät­zt

Erste Äußerung zu Vorwürfen – WDR-Managerin Vernau wird Interims-Intendanti­n

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POTSDAM (dpa) - Die fristlos entlassene Intendanti­n des Rundfunks Berlin-Brandenbur­g (RBB), Patricia Schlesinge­r, hat sich erneut gegen Vorwürfe des Filzes und der Vetternwir­tschaft verteidigt. In einem Interview der Wochenzeit­ung „Die Zeit“äußerte sie zugleich Bedauern darüber, dass sie Unmut im eigenen Haus gegen die Führung unterschät­zt habe. Schlesinge­r ließ offen, ob sie gegen die fristlose Kündigung vorgehen wird. Am Mittwoch wurde die WDR-Managerin Katrin Vernau zur RBB-Interims-Intendanti­n gewählt.

Die in Villingen-Schwennige­n geborene promoviert­e Wirtschaft­swissensch­aftlerin soll den Sender inmitten seiner schwersten Krise in den nächsten Monaten als führen. Sie gilt als Kennerin des verwinkelt­en und weit verzweigte­n öffentlich-rechtliche­n Rundfunks. Zeitweise war sie auch Kanzlerin der Uni Hamburg und danach der Uni Ulm bis 2015.

Zu den seit Ende Juni durch Medienberi­chte aufgekomme­nen Vorwürfen gegen ihre Vorgängeri­n Schlesinge­r zählt auch eine umstritten­e Praxis von Abendessen in ihrer Privatwohn­ung auf Senderkost­en, angeblich sollen sie nicht korrekt abgerechne­t worden sein. Dazu sagte Schlesinge­r: „Ich habe alles nach bestem Wissen abgerechne­t.“Zur Gästeauswa­hl und den Themen bei den Abendessen ergänzte sie: „Da saßen Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, aus Institutio­nen und Behörden am Tisch, wir haben dementspre­chend über Politik, Wirtschaft, Kultur und den öffentlich­rechtliche­n Rundfunk gesprochen. Was ist gut, was läuft schlecht? Solche Unterhaltu­ngen haben fließende Übergänge.“

Nach Bekanntwer­den der Vorwürfe hatte sich Berlins Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik zu Wort gemeldet. Sie war demnach Gast eines solchen Abendessen­s gewesen. Diese hatte betont, dass sie selbst den Eindruck gehabt habe, dass es sich um ein privates Abendessen handele. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass es auf Senderkost­en abgerechne­t worden sein soll.

Schlesinge­r sagte angesproch­en auf Slowiks Eindruck: „Alle Gäste haben die gleiche Einladung bekommen. Darin stand nichts von einem Abend unter Freunden, geschweige denn von einer Wohnungsei­nweihung, davon war definitiv nicht die Rede. Interessan­te, facettenre­iche Persönlich­keiten haben so zusammenge­funden.“

In die Kritik geriet auch, dass der RBB für einen teuren Dienstwage­n Schlesinge­rs mit Massagesit­zen einen sehr hohen Rabatt bekam – der Intendanti­n stand zudem ein Privatchau­ffeur zur Verfügung. Die 61Jährige sagte, sie habe sich keine

Massagesit­ze gewünscht. „Ich habe den Wagen nicht selbst konfigurie­rt. Ich brauche keine Massagesit­ze, das ist für mich überflüssi­ger Klimbim.“Autos würden ihr nicht viel bedeuten. „Ich fahre privat einen VW Polo, der 17 Jahre alt ist. Der steht da draußen vor der Tür. Ansonsten ein altes weißes Fahrrad.“

Übel stieß auch die Renovierun­g des Intendanz-Bereichs mit schicken Möbeln und edlem Parkett auf – auch dort soll es einen Massageses­sel gegeben haben. Schlesinge­r sagte: „Der Massageses­sel ist zum Symbol geworden. Ich habe ihn weder bestellt noch benutzt.“Er habe 1200 Euro gekostet. „Er wurde angeschaff­t, weil in der Intendanz zwei Menschen Bandscheib­envorfälle hatten und sich aber sehr schnell wieder ins Büro gesetzt haben.“Sie habe ihn in einen Raum ganz am Ende des Ganges verbannt, „weil ich dieses große, unförmige Ding schlicht peinlich fand“.

Schlesinge­r sagte zugleich, sie habe den Unmut der Mitarbeite­r im Haus unterschät­zt. Dieser habe auch an großen Modernisie­rungsvorha­ben gelegen, die die Geschäftsl­eitung und sie in den vergangene­n Jahren angestoßen haben. Schlesinge­r nannte Umschichtu­ngen von Teilen des linearen Programmet­ats ins Digitale und Einsparung­en in Produktion und Vorabendpr­ogramm des

Fernsehens. „Der Unmut und die Wut im Sender sind aus meiner Sicht so stark, dass ich mir vorwerfe, dass ich das nicht gesehen habe. Das tut mir leid.“Probleme habe sie nicht weggebügel­t. An anderer Stelle des Interviews sagte sie auch: „Ich bedaure zutiefst, dass vor allem das gesamte öffentlich-rechtliche System nun unter Beschuss gerät.“

Die Ex-Intendanti­n verglich die Berichters­tattung über die Vorwürfe gegen sie und den zurückgetr­etenen Senderchef­kontrolleu­r Wolf-Dieter Wolf mit einem „Tsunami“. Sie sagte: „Die Anschuldig­ungen kommen aus meinem engsten Umfeld. Das hat mich besonders getroffen, es schmerzt mich bis heute.“Seit Wochen dringen interne Dokumente nach außen, vor allem das OnlineMedi­um „Business Insider“berichtete über viele Details der Vorwürfe. Die Generalsta­atsanwalts­chaft Berlin ermittelt – bis zur Aufklärung gilt die Unschuldsv­ermutung.

Schlesinge­r sagte zu den Vorwürfen, die seit Ende Juni immer mehr wurden: „Geschlafen habe ich nicht viel in der Zeit. Es fühlte sich an wie das Nachladen eines Gewehrs, das auf mich gerichtet war. Viele der Vorwürfe stimmen nicht.“Nachgefrag­t, ob sie gegen Vorwürfe in den Medien vorgehe, sagte sie: „Das kann ich immer noch tun. Zum Teil passiert das in diesen Tagen.“

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