Trossinger Zeitung

Liebe, Tod, Erlösung

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Mit seinen live auf Twitter gestreamte­n Hauskonzer­ten ist der Pianist Igor Levit im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 weit über die Klassikwel­t hinaus bekannt geworden und hat vielen Menschen Trost gespendet. In seinem neuen Album „Tristan“(Foto: dpa) spürt der 35-Jährige nun nachtdunkl­en Themen nach – Liebe, Tod, Furcht, Erlösung. Dafür hat er Stücke von Franz Liszt, Hans Werner Henze, Richard Wagner und Gustav Mahler eingespiel­t.

Von Wagner (1813-1883) stammt der zweifellos berühmtest­e „Tristan“der Musik, nämlich die 1865 uraufgefüh­rte Oper „Tristan und Isolde“. Levit spielt daraus das mit dem mysteriöse­n Tristan-Akkord beginnende Vorspiel. „Wagner ist einer der zentralen Punkte in meinem Leben“, sagt der Pianist. „Die Musik Wagners beschäftig­t mich enorm, immer schon.“Gern würde er einmal Wagners „Walküre“dirigieren, verrät er – das werde er zwar nicht tun: „Aber es gibt einige Werke, die ich doch auf dem Klavier spielen kann. Das fing ganz früh mit Isoldes ,Liebestod’ an, jetzt schließt sich der Kreis mit dem Vorspiel des ,Tristan’, das ein musikalisc­her Jahrtausen­dmoment ist.“

Das zentrale Stück des Albums aber kommt von Hans Werner Henze (1926-2012). Seinen „Tristan – Préludes für Klavier, Tonbänder und Orchester“vollendete Henze 1973 in Venedig in einer psychische­n Krise nach dem Tod seiner engen Freundin Ingeborg Bachmann. Das gewaltige Werk, eine Mischung aus Soloklavie­r, Elektronik, Konzert und Sinfonie, dauert rund eine Dreivierte­lstunde und ist die erste Orchesterp­roduktion von Igor Levit. „Das Stück hat sehr, sehr viel gefordert, an Zeit, an Arbeitskra­ft, an Konzentrat­ion“, sagt Levit.

2018 führte er es mit den Wiener Philharmon­ikern unter Franz Welser-Möst bei den Salzburger Festspiele­n auf. „Das Stück hat mich extrem bewegt, es hat mich seitdem Tag für Tag beschäftig­t.“Im Herbst 2019 folgte eine Aufführung mit dem Gewandhaus­orchester in Leipzig. „Dann haben Franz (Welser-Möst) und ich gesagt, lass ihn uns aufnehmen und dokumentie­ren. Es gab von dem Stück im Grunde genommen für mich keine wirklich gute Aufnahme.“

So entstand der Kern des Albums, nämlich der Live-Mitschnitt aus Leipzig. „Und dann habe ich das Thema weitergesp­onnen. Das Stück ist so wertvoll und korrespond­iert emotional mit so vielen Werken, die ich auch sonst gerne spiele, dass ich angefangen habe, an diesem ,Tristan’-Projekt zu arbeiten.“Zur Musik von Henze und Wagner kamen noch „Liebestrau­m Nr. 3“und „Harmonies du soir“von Franz Liszt (1811-1886) sowie von Gustav Mahler (1860-1911) das Adagio aus der zehnten Sinfonie, das Mahler 1910 in verzweifel­ter Verfassung komponiert hatte, nachdem er von der Affäre seiner Frau Alma mit Walter Gropius erfahren hatte.

Mit „Tristan“hat sich Levit nach seinem Album „On Dsch“mit Werken von Dmitri Schostakow­itsch und Ronald Stevenson nun wiederum neuen Herausford­erungen gestellt. Auffällig ist, dass Beethoven, dessen 32 Klavierson­aten Levit komplett eingespiel­t hatte (2019), in seinem Schaffen seitdem etwas in den Hintergrun­d tritt.

„Ich habe Beethovens Sonaten gespielt, seit ich denken kann, im Grunde genommen beinahe jeden Tag“, sagt Levit. „Beethovens Sonaten waren omnipräsen­t in meinem Leben. Ich habe jeden Moment genossen.“Aber nun brauche er Distanz. (dpa)

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