Versuchte Kindesentführung?
Was laut Polizei wirklich in Schwenningen passiert ist
VILLINGEN-SCHWENNINGEN - In den sozialen Netzwerken wird derzeit eine Nachricht verbreitet, wonach Banden in Villingen-Schwenningen Kinder entführen. Tatsächlich gab es einen eigenartigen Vorfall. Die Polizei klärt nun auf.
„Das wird ja immer schlimmer!“, „Wie krank die Welt ist!“oder „Das ist echt unglaublich. Immer mehr Kriminelle, und das in VS“– das sind die Reaktionen auf eine Nachricht, die vor wenigen Tagen in den sozialen Netzwerken verbreitet wurde.
Tatsächlich lässt einen der Inhalt erschaudern, der mit „Achtung“und „Info an alle Eltern in VS und Umgebung“beginnt: Berichtet wird von „dreisten Banden“, die versuchen, „Kleinkinder samt Kinderwagen zu stehlen“. Genau ein solcher Fall habe sich in der Doppelstadt ereignet.
Betroffen sei die mutmaßliche Schwägerin des Verfassers, Täter seien zwei „angeblich Homosexuelle“gewesen, die sich geküsst hätten und dann den Kinderwagen mit Kind an sich reißen wollten. Erst der Schwager habe verhindern können, dass eine solche Entführung passiert. „Leider konnte er den Kidnapper nicht stellen“, heißt es zu den angeblichen Tätern.
Und um Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser dramatisch klingenden Geschichte zu zerstreuen, heißt es am Ende der Nachricht: „Polizei wurde informiert und laut Polizei ist es nicht der erste Fall!!!“Dass viele auf diese Nachricht anspringen und sich erschrocken zeigen, dürfte einen simplen Grund haben. Denn am Tag, bevor die Nachricht von den Verfassern verbreitet wurde, war eine Kindesentführung in Leipzig gemeldet worden – eine 26-Jährige war offenbar unrechtmäßig mit einem Säugling verschwunden, die mutmaßliche Kidnapperin mitsamt Kind spürte die Polizei glücklicherweise wohlbehalten in Brandenburg auf.
Zufall oder ein perfides Vorgehen, dass kurz darauf in VS ebenfalls von versuchten Entführungen gesprochen wird? Auch unter dem Beitrag zweifeln die Menschen, doch seitens des Verfassers wird das versuchte Verbrechen zementiert: Der Fall hätte sich „vor wenigen Tagen“in der Sturmbühlstraße ereignet, die Nachricht sei „definitiv“seriös und „wahr“.
Die Polizei widerspricht zunächst vehement. Denn Berichte über eine solche angebliche Entführung waren bereits bis zu den Beamten vorgedrungen, Polizeisprecher Jörg Kluge kann nur den Kopf darüber schütteln. „Man kann leider nur immer wieder davor warnen, nicht alles zu glauben, was dort geschrieben steht“, sagt Kluge und betont: „Einfach den gesunden Menschenverstand einschalten wirkt da oft schon Wunder!“
Auf nochmalige Nachfrage bei der Polizei kann der Polizeisprecher schließlich einen möglichen Ursprung für die Nachricht entdecken – tatsächlich habe es vergangene Woche Samstag in Schwenningen einen eigenartigen Fall gegeben. Dort habe ein fremder Mann ein Kind aus dem Kinderwagen gehoben, der daneben stehende 29-jährige Vater habe den Mann darauf angesprochen, worauf der ihm das Kind in den Arm zurück gab.
„Das ist zwar ungewöhnlich und so etwas macht man normalerweise nicht, ohne die Eltern zu fragen. Das hat aber nichts mit Banden zu tun, die unterwegs sind und Kinderwagen mitsamt Kind stehlen oder den
Jörg Kluge
Eltern zu entreißen versuchen“, betont Kluge. Er verbannt diese Nachricht daher in die Welt der Falschmeldungen. Sollten solche Banden unterwegs sein, wären die Beamten „sofort mit entsprechenden Warnungen an die Öffentlichkeit gegangen“.
Dem Polizeisprecher kommt das wie die „stille Post“vor – eine wörtliche Weitergabe und jedes Mal kommt etwas mehr dazu. Kluge: „Und so wird aus einer an und für sich harmlosen Geschichte eine Räuberpistole.“
In den sozialen Netzwerken würden solche Nachrichten nach Erfahrung der Beamten oft eine gewisse Eigendynamik erhalten, „durch verständlicherweise besorgte Eltern“. Genau diese sorgen nun auch dafür, dass die Nachricht hundertfach geteilt wurde und unaufhaltbar im World Wide Web kursiert – getrieben von der Angst.
„Man kann leider nur immer wieder davor warnen, nicht alles zu glauben, was dort geschrieben steht.“