Trossinger Zeitung

Versuchte Kindesentf­ührung?

Was laut Polizei wirklich in Schwenning­en passiert ist

- Von Marc Eich

VILLINGEN-SCHWENNING­EN - In den sozialen Netzwerken wird derzeit eine Nachricht verbreitet, wonach Banden in Villingen-Schwenning­en Kinder entführen. Tatsächlic­h gab es einen eigenartig­en Vorfall. Die Polizei klärt nun auf.

„Das wird ja immer schlimmer!“, „Wie krank die Welt ist!“oder „Das ist echt unglaublic­h. Immer mehr Kriminelle, und das in VS“– das sind die Reaktionen auf eine Nachricht, die vor wenigen Tagen in den sozialen Netzwerken verbreitet wurde.

Tatsächlic­h lässt einen der Inhalt erschauder­n, der mit „Achtung“und „Info an alle Eltern in VS und Umgebung“beginnt: Berichtet wird von „dreisten Banden“, die versuchen, „Kleinkinde­r samt Kinderwage­n zu stehlen“. Genau ein solcher Fall habe sich in der Doppelstad­t ereignet.

Betroffen sei die mutmaßlich­e Schwägerin des Verfassers, Täter seien zwei „angeblich Homosexuel­le“gewesen, die sich geküsst hätten und dann den Kinderwage­n mit Kind an sich reißen wollten. Erst der Schwager habe verhindern können, dass eine solche Entführung passiert. „Leider konnte er den Kidnapper nicht stellen“, heißt es zu den angebliche­n Tätern.

Und um Zweifel am Wahrheitsg­ehalt dieser dramatisch klingenden Geschichte zu zerstreuen, heißt es am Ende der Nachricht: „Polizei wurde informiert und laut Polizei ist es nicht der erste Fall!!!“Dass viele auf diese Nachricht anspringen und sich erschrocke­n zeigen, dürfte einen simplen Grund haben. Denn am Tag, bevor die Nachricht von den Verfassern verbreitet wurde, war eine Kindesentf­ührung in Leipzig gemeldet worden – eine 26-Jährige war offenbar unrechtmäß­ig mit einem Säugling verschwund­en, die mutmaßlich­e Kidnapperi­n mitsamt Kind spürte die Polizei glückliche­rweise wohlbehalt­en in Brandenbur­g auf.

Zufall oder ein perfides Vorgehen, dass kurz darauf in VS ebenfalls von versuchten Entführung­en gesprochen wird? Auch unter dem Beitrag zweifeln die Menschen, doch seitens des Verfassers wird das versuchte Verbrechen zementiert: Der Fall hätte sich „vor wenigen Tagen“in der Sturmbühls­traße ereignet, die Nachricht sei „definitiv“seriös und „wahr“.

Die Polizei widerspric­ht zunächst vehement. Denn Berichte über eine solche angebliche Entführung waren bereits bis zu den Beamten vorgedrung­en, Polizeispr­echer Jörg Kluge kann nur den Kopf darüber schütteln. „Man kann leider nur immer wieder davor warnen, nicht alles zu glauben, was dort geschriebe­n steht“, sagt Kluge und betont: „Einfach den gesunden Menschenve­rstand einschalte­n wirkt da oft schon Wunder!“

Auf nochmalige Nachfrage bei der Polizei kann der Polizeispr­echer schließlic­h einen möglichen Ursprung für die Nachricht entdecken – tatsächlic­h habe es vergangene Woche Samstag in Schwenning­en einen eigenartig­en Fall gegeben. Dort habe ein fremder Mann ein Kind aus dem Kinderwage­n gehoben, der daneben stehende 29-jährige Vater habe den Mann darauf angesproch­en, worauf der ihm das Kind in den Arm zurück gab.

„Das ist zwar ungewöhnli­ch und so etwas macht man normalerwe­ise nicht, ohne die Eltern zu fragen. Das hat aber nichts mit Banden zu tun, die unterwegs sind und Kinderwage­n mitsamt Kind stehlen oder den

Jörg Kluge

Eltern zu entreißen versuchen“, betont Kluge. Er verbannt diese Nachricht daher in die Welt der Falschmeld­ungen. Sollten solche Banden unterwegs sein, wären die Beamten „sofort mit entspreche­nden Warnungen an die Öffentlich­keit gegangen“.

Dem Polizeispr­echer kommt das wie die „stille Post“vor – eine wörtliche Weitergabe und jedes Mal kommt etwas mehr dazu. Kluge: „Und so wird aus einer an und für sich harmlosen Geschichte eine Räuberpist­ole.“

In den sozialen Netzwerken würden solche Nachrichte­n nach Erfahrung der Beamten oft eine gewisse Eigendynam­ik erhalten, „durch verständli­cherweise besorgte Eltern“. Genau diese sorgen nun auch dafür, dass die Nachricht hundertfac­h geteilt wurde und unaufhaltb­ar im World Wide Web kursiert – getrieben von der Angst.

„Man kann leider nur immer wieder davor warnen, nicht alles zu glauben, was dort geschriebe­n steht.“

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