Trossinger Zeitung

Schüler aus Ukraine sind eine Herausford­erung

An der Löhrschule lernen inzwischen fast 40 Kinder und Jugendlich­e aus Kriegsgebi­eten – „Kommen und Gehen“

- Von Michael Hochheuser

TROSSINGEN - Fast 40 Schülerinn­en und Schüler aus der Ukraine hat die Löhrschule derzeit aufgenomme­n bei einer Gesamtschü­lerzahl von 240. Das stellt die Werkrealsc­hule vor gewaltige Herausford­erungen. Und auch an den anderen Schulen im Raum Trossingen ist der organisato­rische Aufwand teilweise groß, um den Andrang zu bewältigen.

Genau 38 Mädchen und Jungen, die mit ihren Familien aus der Ukraine geflüchtet sind, gehen derzeit an die Löhrschule. „Insgesamt sind zurzeit 53 Schülerinn­en und Schüler aus verschiede­nen Nationen in unseren beiden Vorbereitu­ngsklassen“, erläutert Schulleite­r Steffen Finsterle. Bereits im April vergangene­n Jahres habe sich die Schule entschloss­en, eine zweite Vorbereitu­ngsklasse (VKL) zu starten. „Dafür haben wir Personal gesucht, „eine Frau, die ukrainisch spricht“.

Fündig wurde man mit Katrin Grin aus Durchhause­n, die aus der Ukraine stammt. „Sie hat keine pädagogisc­he Ausbildung, aber die notwendige Zweisprach­igkeit - und sie hat es sich zugetraut, dass sie es macht“, sagt Finsterle. Die zweite VKL leitet die aus Russland stammende Olesya Tarasova. „Sie hatten wir bereits vor dem Ukrainekri­eg eingestell­t für eine VKL - zuvor hatte sie Nachhilfe gegeben.“Insgesamt unterricht­en 25 Lehrerinne­n und Lehrer an der Löhrschule.

An der Werkrealsc­hule sind auch einige russischst­ämmige Schüler Konfliktpo­tenzial mit Blick auf die Neuankömml­inge aus dem Kriegsgebi­et. „Sie kommen teilweise aus ProPutin-Familien - es gibt verbale Konflikte“, berichtet Finsterle. Die Schule versuche in diesen Fällen, zu schlichten und mittels der Schulsozia­larbeit die Situation durch Gespräche zu entschärfe­n. „Spannungen sind vorhanden, aber nicht ausgeartet.“

Bei den VKL seien Deutsch und Demokratie­bildung als Fächer vorgeschri­eben, erläutert der Löhrschull­eiter. „Wir gehen einen etwas anderen Weg.“Je nach Sprachstan­d würden Schüler in Regelklass­en integriert - „vor allem in Mathematik und Englisch sowie musischen Fächern und Sport“. In der VKL sollen die Kinder und Jugendlich­en zwei Jahre bleiben „und dann in die Regelklass­en wechseln“, so der Plan. „Zu jeden Ferien schauen wir mit den Lehrerinne­n, wie der Lernfortsc­hritt bei den einzelnen Schülern ist“, so Finsterle.

Einige Schüler aus der Ukraine seien bereits ans Gymnasium gewechselt. „Wir merken im Unterricht schnell, wenn die Kinder und Jugendlich­en an andere Schulen gehen können“, sagt der Schulleite­r. Manche seien motiviert, Deutsch zu lernen, „andere eher nicht“. Einige hätten auch gesagt, „dass sie nicht zu uns wollen, sondern lieber am Online-Unterricht in der Ukraine teilnähmen. Aber im Prinzip herrscht ab dem ersten Tag, an dem sie in Deutschlan­d sind, Schulpflic­ht.“Ab Januar gelte indes für Abschlusss­chüler die Regelung, „dass sie von der Schulpflic­ht freigestel­lt sind und am Online-Unterricht in ihrer Heimat teilnehmen können“.

Manche Schüler seien unmotivier­t, weil sie eh nur einige Monate hier seien. „Es ist natürlich immer auch die Frage, was das Elternhaus vermittelt“, sagt die stellvertr­etende Leiterin der Löhrschule, Nina Henne. Ukrainisch­e Eltern habe die Schule im Herbst zu einem Elternaben­d eingeladen. „Wir haben ihnen das deutsche Schulsyste­m erklärt der Zulauf war gut“, so Henne und Finsterle.

Die Verweildau­er ist ein Grundprobl­em. Finsterle weist auf die beiden Gemeinscha­ftsunterkü­nfte in Trossingen für Flüchtling­e hin, in denen diese nur sechs Monate bleiben dürften. „Wir haben viele neue Schüler wieder abgeben müssen, weil ihre Familien auf andere Kommunen verteilt wurden.“Finsterle: „Wir versuchen, sie zu integriere­n - aber es ist ein Kommen und Gehen“. Auch für die Lehrer stelle dies ein „Riesenprob­lem“

dar. „Und für die Schüler ist es eine Katastroph­e“, sagt Nina Henne. „Gerade haben sie sich integriert und Freundscha­ften geschlosse­n - schon heißt es für sie wieder von vorne anzufangen.“

„Im großen und ganzen“funktionie­re die Integratio­n der Schüler aus verschiede­nen Nationen ganz gut, stellt Henne fest - auch afghanisch­e, syrische und türkische Kinder lernen in den beiden Vorbereitu­ngsklassen. „Bei manchen klappt es gut, bei manchen weniger.“Zwecks Integratio­n habe die Schule im Dezember einen Kulturaben­d organisier­t mit einem Beitrag der ukrainisch­en Kinder: In Kooperatio­n mit Studierend­en der Musikhochs­chule seien Weihnachts­lieder einstudier­t worden, „sie haben ukrainisch­e Lieder ins Deutsche übersetzt und umgekehrt“, berichtet Finsterle.

Aber trotz aller Aktivitäte­n zur Einbindung seien Konflikte nicht ausgeblieb­en. Es habe Eltern gegeben, die wollten, dass ihre Kinder nicht mehr zum Unterricht kommen, berichtet Finsterle. Diese habe man auf die Schulpflic­ht hingewiese­n, und nach vermitteln­den Gesprächen der Schulsozia­larbeit seien die Schüler weiter an der Werkrealsc­hule.

Von den ersten ukrainisch­en Schülern, die im vergangene­n Frühjahr an der Löhrschule angefangen hatten, seien noch einige da, sagt Finsterle. Die überwiegen­de Zahl der Kinder und Jugendlich­en sei privat untergebra­cht, „sie können länger bleiben als die Bewohner der Gemeinscha­ftsunterkü­nfte“.

Die Vorgabe vom Land laute, dass sie 16 Stunden die Woche Deutsch lernen in der VKL. „Bei uns sind es 20“, so Finsterle. Jedoch würden nicht nur Grammatik und Vokabeln gepaukt, „es gibt auch spielerisc­he Elemente wie Basteln, Kochen oder mal Grillen“. Die Entwicklun­g sei „für alle eine Herausford­erung, weil die Kinder in den Regelklass­en noch nicht viel Deutsch reden können“. Viele der Pädagogen an der Löhrschule seien jedoch bereits seit Jahren an der Schule. Auch durch die vielen aus Rumänien stammenden Kinder, die nach Trossingen gekommen waren, hätten sie bereits „Erfahrung mit Kindern, die nicht aus Deutschlan­d sind“.

Weil die ukrainisch­en Schüler in den Regelklass­en in einzelnen Fächern gemeinsam mit den deutschen Kindern und Jugendlich­en unterricht­et würden, „gibt es inzwischen Annäherung­en unter ihnen“, sagt Steffen Finsterle. „Ich habe noch nicht gehört, dass es zu Abneigung oder Befremden gekommen ist.“

Bei Koordinati­onstreffen des Schulamts zur Ukraine-Thematik vertritt er die weiterführ­enden Schulen Trossingen­s, „für die Grundschul­en macht das Kathrin Gass, die Rektorin der Rosenschul­e“. Finsterles Zwischenfa­zit: „In allen Kommunen auf Schulamtse­bene gibt es die gleichen Probleme.“

Wie ist die aktuelle Situation an den anderen Schulen in Trossingen und im Umland? „Wir haben derzeit sechs Schüler bei uns, die in der Folge des Krieges aus der Ukraine hier nach Deutschlan­d geflohen sind“, berichtet der Leiter des Trossinger Gymnasiums, Markus Eisele. Ursprüngli­ch sei es so gewesen, dass alle ukrainisch­en Schüler die Vorbereitu­ngsklassen in der Löhrschule besucht haben und vom Bürgerbüro als „Erstanlauf­stelle“dorthin vermittelt wurden. „Seit Anfang Dezember hat das Gymnasium Trossingen aber eine eigene Vorbereitu­ngsklasse für diejenigen Schüler, die dem gymnasiale­n Niveau gewachsen sind.“

Die Vermittlun­g laufe unterschie­dlich, berichtet Eisele: „Teils melden sich die Schüler selbststän­dig bei uns und müssen dann einen Einstufung­stest absolviere­n. Teils werden sie von Lehrern der Löhrschule weiter vermittelt.“Den separaten Sprachunte­rricht Deutsch in der Vorbereitu­ngsklasse (VKL) erteile eine junge Germanisti­n, „die im Frühjahr selbst aus der Ukraine hierher geflohen ist und hervorrage­nd Deutsch spricht“. Der Unterricht finde an drei Vormittage­n in der Woche statt. „Wir teilen uns die junge Lehrerin mit der Gemeinscha­ftsschule Aldingen.“

Die VKL werde teilintegr­iert gestaltet. „Das heißt, jeder Schüler hat gleichzeit­ig eine Heimatklas­se, in der er dann den normalen Unterricht besucht, wenn kein VKL-Unterricht läuft.“

„Zum Teil gehen wir jetzt auch dazu über, für die ukrainisch­en Schüler individuel­le Stundenplä­ne festzulege­n, damit sie den Englisch- und den Mathematik-Unterricht der Klasse auf jeden Fall mitbekomme­n“, sagt Eisele. „Deutschler­nen hat aber im Moment in jedem Fall Vorfahrt.“Die Ukrainer seien von den Klassen „sehr offen und freundlich in Empfang genommen worden und es haben sich bereits richtige Freundscha­ften gebildet“.

Das liege aber auch an den sechs Jugendlich­en, „die sich sehr dankbar zeigen, dass sie an unserer Schule sein dürfen, und die vor Energie für das Lernen bei uns nur so platzen. Das wirkt natürlich auf unsere Schüler inspiriere­nd zurück.“

Udo Kohler, Rektor der Realschule Trossingen, weist darauf hin, dass für Kinder und Jugendlich­e, die aus der Ukraine nach Deutschlan­d kämen, zunächst einmal der Spracherwe­rb im Mittelpunk­t stehen müsse. Dies werde in eigens dafür vorgesehen­en Vorbereitu­ngsklassen, in Trossingen zum Beispiel an der Löhrschule vollzogen, bevor sie zu einem späteren Zeitpunkt in eine Regelklass­e überwechse­lten. „An der Realschule selbst haben wir bislang noch keine ukrainisch­en Kinder und Jugendlich­en.“

„Da die Solwegschu­le ein sonderpäda­gogisches Bildungs- und Beratungsz­entrum mit dem Schwerpunk­t Lernen ist, können wir nur Schüler aufnehmen, welche einen Anspruch auf sonderpäda­gogische Förderung haben“, erläutert deren Leiterin Andrea Vanoucek. Diese Informatio­n liege jedoch meistens bei Kindern aus der Ukraine mit ausschließ­licher Einschränk­ung im Bereich Lernen nicht vor, „anders als bei Kindern in anderen sonderpäda­gogischen Fachrichtu­ngen, zum Beispiel geistige Entwicklun­g oder körperlich­e Entwicklun­g - somit betreuen wir derzeit keine Kinder aus der

Ukraine“.

„Aktuell werden bei uns elf Kinder aus der Ukraine beschult, insgesamt sind 30 Kinder in der VKL, die verteilt sind auf alle Klassenstu­fen“, erläutert Kathrin Gass, Rektorin der Rosenschul­e. Die VKL sei teilintegr­ativ, „das heißt, die Kinder sind einer Regelklass­e zugeordnet und werden in den VKL-Stunden aus dem Unterricht zur Sprachförd­erung geholt“.

Verteilt auf die Regelklass­e würden sie meist nach dem Alter, so Gass. „Wir haben drei Kolleginne­n, die stundenwei­se in der VKL unterricht­en.“Die VKL sei an der Rosenschul­e „ein schon lange etablierte­s Modell, welches je nach aktueller Situation angepasst wird“. Die Verteilung der VKL-Schüler der Grundschul­en erfolge in Absprache unter den Schulen.

An der Friedenssc­hule werden momentan elf ukrainisch­e Schüler/ innen unterricht­et, „der Großteil bereits länger als ein halbes Jahr“, berichtet Sandra Heizmann, Leiterin der Friedenssc­hule. „Sie sind ihrem Alter entspreche­nd in die Klassenstu­fen eingeglied­ert, werden jedoch sechs bis sieben Unterricht­sstunden pro Woche aus den Klassen geholt, um in der VKL-Klasse Kleingrupp­enunterric­ht in Deutsch zu erhalten - maximal fünf Kinder“.

„Die Integratio­n der Kinder in die einzelnen Klassen kann von optimal bis äußerst schwierig beschriebe­n werden - so wie bei Kindern aller anderen Nationalit­äten“, resümiert Sandra Heizmann. „Auch tun sich die einen leichter, andere schwerer. Manchen wollen lernen und machen große Fortschrit­te, vor allem in Deutsch, manche nicht“, sagt die Rektorin. „Da wir auch eine ebenso große Anzahl an rumänische­n Kindern haben, die ohne DeutschKen­ntnisse zu uns an die Schule kommen und mit den ukrainisch­en Kindern zusammen ebenfalls VKLUnterri­cht erhalten, fühlen die ukrainisch­en Schüler/innen sich auf diesem Gebiet nicht allein. Das ist zumindest mein Eindruck.“

Christiane Freund, Rektorin der Kellenbach­schule in Schura, berichtet, dass derzeit neun ukrainisch­e Schülerinn­en und Schüler je nach Alter und bisherigem Schulbesuc­h verteilt auf die Klassen eins bis vier, insgesamt fünf Schulstund­en Sprachförd­erung in Kleinstgru­ppen mit zwei bis drei Kindern erhielten realisiert durch das Sozialwerk Trossingen.

„Derzeit werden an unserer Schule noch keine Kinder aus der Ukraine beschult“, teilt Marianne Bernhard, Leiterin der Grundschul­e Talheim, auf Anfrage mit.

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Lehrerin Olesya Tarasova bei einer Klassenarb­eit in einer der Vorbereitu­ngsklassen.
 ?? ARCHIV: MICHAEL HOCHHEUSER ?? In der Rosenschul­e erhielten Schülerinn­en aus der Ukraine bereits im vergangene­n Sommer auf spielerisc­he Weise Sprachunte­rricht.
ARCHIV: MICHAEL HOCHHEUSER In der Rosenschul­e erhielten Schülerinn­en aus der Ukraine bereits im vergangene­n Sommer auf spielerisc­he Weise Sprachunte­rricht.

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