Was die Stephanuskirche erzählen kann
Pfarrer Matthias Figel schreibt einen Kirchenführer über die Kirche in Hausen ob Verena
- Auch Gemälde und Bilder, sogar ganze Gebäude kann und muss man „lesen“, um sie zu verstehen. Eine „Lesehilfe“für die evangelische Stephanuskirche in Hausen ob Verena hat der dortige Pfarrer Matthias Figel geschrieben. Sein Kirchenführer spricht sowohl theologisch, als auch kunst- und heimatgeschichtlich Interessierte an – und trifft auch über Hausen hinaus auf Aufmerksamkeit.
Als die künftigen Konfirmanden einmal zusammen mit Pfarrer Figel die Kirche besichtigt haben, da standen sie im Chor auch vor der Predella, dem Sockel des einstigen, während der Reformation abgebauten Hochaltars, auf dem Christus und seine zwölf Jünger, die Apostel, abgebildet sind. Der unbekannte spätgotische Maler hat jedem Apostel nicht nur ein sehr individuelles, charakteristisches Gesicht verliehen, sondern auch jedem einen charakteristischen Gegenstand, ein sogenanntes Attribut, beigefügt. Doch die Konfirmanden konnten mit den Gegenständen nicht viel anfangen.
Da ist etwa der Pilgerstab, den Jakobus der Ältere hält, und der auf die Wallfahrt nach Santiago de Compostella Bezug nimmt, wo der Apostel begraben sein soll. Petrus ist mit einem Buch dargestellt, das für das Evangelium, aber auch für das „Buch des Lebens“steht. Oft sind es auch makabre Hinweise auf das spätere Martyrium der Apostel, wie etwa das Messer, das Bartholomäus in der Hand hält – während er über dem anderen Arm seine beim Martyrium abgezogene Haut trägt.
„Vieles, was noch vor Jahrzehnten selbstverständlich gekannt und gewusst wurde, gerät immer mehr in Vergessenheit“, hat Matthias Figel festgestellt. Was frühere Generationen noch lesen und verstehen konnten, das stellt heute die meisten Menschen vor ein Rätsel. Und so stecke hinter seinem Kirchenführer ein doppeltes Interesse, sagt Figel: Zum einem will er pädagogisch Wissen aus Geschichte und Kunstgeschichte vermitteln; und zum Zweiten will er als Pfarrer und studierter Theologe religiöse Zusammenhänge und Bedeutungen erklären.
Damit lernen nicht nur kunstgeschichtlich und theologisch Interessierte viel über die Stephanuskirche, sondern auch geschichtlich und im Speziellen an der Ortsgeschichte Hausens Interessierte. Besonders ehemalige Hausener, die inzwischen anderswo wohnen, hätten viel Interesse an dem Kirchenführer gezeigt, berichtet Figel.
Auf Anregung von Friedemann Maurer hatten dieser und Matthias Figel seit 2017 im Gemeindeblatt in unregelmäßigen Abständen eine Serie über markante Orte, Gebäude und Gegenstände in Hausen und ihre geschichtliche Bedeutung veröffentlicht. Als diese
Serie dann irgendwann einschlief, hatte Figel noch einige interessante Themen rund um die Kirche in der Schublade und im Hinterkopf, die dann in den Kirchenführer Eingang gefunden haben.
Ausschlaggebend für das Schreiben des Büchleins war dann aber ein anderer Umstand, so der Pfarrer: „Ich muss ehrlich sagen: Ohne Corona, das plötzlich Lücken in den Terminkalender geschlagen hat, hätte ich gar nicht die Zeit gehabt.“
Neben seinem eigenen theologischen Wissen – er hat seine Doktorarbeit über den reformatorischen Predigtgottesdienst geschrieben – konnte Figel für seine Broschüre auf Vorarbeiten seines Vorgängers Pfarrer Martin Werner aus den späten 1960er-Jahren aufbauen, als die Kirche umfassend saniert und neu gestaltet wurde. Kunsthistorisch beraten wurde der Theologe von der Freien Kunsthistorikerin Anne Schaich. Das Layout und die grafische Gestaltung der Broschüre hat Corinna Halbritter übernommen.
Die Stephanuskirche ist zwar nur eine kleine „Dorf kirche“, doch war sie die Patronatskirche
der jüngeren Linie derer von Karpfen (die mit der im 13. Jahrhundert ausgestorbenen älteren Linie nicht verwandt ist). Sie beginnt mit Hans I., einem „natürlichen“(das heißt: unehelichen) Sohn des württembergischen Herzogs Eberhard I. im Bart und späteren Obervogt von Tuttlingen, der 1491 Schloss und Herrschaft Karpfen zum Lehen erhielt. Hans I. war es, der den spätgotischen Hochaltar in der neu erbauten Stephanuskirche stiftete.
Als dessen Enkel Hans III. von Karpfen zu Rietheim (1533-1588) 1565 die Reformation in seinem Herrschaftsgebiet in Hausen ob Verena und Rietheim einführte, wurde der katholische Hochaltar wieder abgebaut. Weil die evangelische Theologie die Verehrung von Heiligen ablehnte, wurden die Heiligenstatuen ins benachbarte katholische Gunningen gebracht. Die Originale von Stephanus, Barbara und der Muttergottes gehören heute zum Bestand des Landesmuseums in Stuttgart. Doch 1988 fertigte der Bildhauer Josef Schiller aus Krumbach Kopien der Heiligen Barbara, von Stephanus und der Gottesmutter an, die wie die Originale aus Lindenholz
geschnitzt (allerdings anders als die Originale nicht bemalt) sind. Sie stehen heute über der originalen Predella aus dem 15. Jahrhundert. Die Predella, das heißt der Unterbau des Altars mit der Darstellung von Christus und den zwölf Aposteln, ist nämlich bis heute in der Kirche geblieben, weil sie biblische Figuren darstellt und daher auch den Protestanten genehm war.
Besonders anrührend empfindet Figel aber die Gedenktafel, die Hans III. im Jahr 1569 für seine früh verstorbene Gattin Ursula malen ließ. Im Zentrum steht der gekreuzigte Christus, vor dem deutlich verkleinert Hans und Ursula knien; vom Betrachter aus gesehen rechts davon sieht man die Auferstehung Christi – und darüber ein kleines nacktes Kind mit dem Gesicht der erwachsenen Ursula, das zu Christus hinauf in den Himmel schwebt. Offenbar die Seele der Verstorbenen.
Auf der linken Seite sieht man den Hochzeitszug von Hans und Ursula mit der Hochzeitskutsche, der sich auf einer gewundenen Straße zu einer Burg hinauf zieht - die einzige zeitgenössische, wenn auch alles andere als realistische Darstellung der Burg Hohenkarpfen. Doch wenn man genauer hinsieht, dann erkennt man, dass als letzte Figur im Hochzeitszug schon der grimmige Tod mit seinem Pfeil mitreitet, der bald darauf die junge Braut davonraffen wird.
Der Kirchenführer ist gegen eine Spende im Pfarramt Hausen ob Verena, Kirchstr. 16, Telefon 0 74 24 / 21 32, erhältlich. Auch in der Stephanuskirche liegt er nach den Gottesdiensten zum Mitnehmen aus.