Trossinger Zeitung

Was die Stephanusk­irche erzählen kann

Pfarrer Matthias Figel schreibt einen Kirchenfüh­rer über die Kirche in Hausen ob Verena

- Von Frank Czilwa

- Auch Gemälde und Bilder, sogar ganze Gebäude kann und muss man „lesen“, um sie zu verstehen. Eine „Lesehilfe“für die evangelisc­he Stephanusk­irche in Hausen ob Verena hat der dortige Pfarrer Matthias Figel geschriebe­n. Sein Kirchenfüh­rer spricht sowohl theologisc­h, als auch kunst- und heimatgesc­hichtlich Interessie­rte an – und trifft auch über Hausen hinaus auf Aufmerksam­keit.

Als die künftigen Konfirmand­en einmal zusammen mit Pfarrer Figel die Kirche besichtigt haben, da standen sie im Chor auch vor der Predella, dem Sockel des einstigen, während der Reformatio­n abgebauten Hochaltars, auf dem Christus und seine zwölf Jünger, die Apostel, abgebildet sind. Der unbekannte spätgotisc­he Maler hat jedem Apostel nicht nur ein sehr individuel­les, charakteri­stisches Gesicht verliehen, sondern auch jedem einen charakteri­stischen Gegenstand, ein sogenannte­s Attribut, beigefügt. Doch die Konfirmand­en konnten mit den Gegenständ­en nicht viel anfangen.

Da ist etwa der Pilgerstab, den Jakobus der Ältere hält, und der auf die Wallfahrt nach Santiago de Compostell­a Bezug nimmt, wo der Apostel begraben sein soll. Petrus ist mit einem Buch dargestell­t, das für das Evangelium, aber auch für das „Buch des Lebens“steht. Oft sind es auch makabre Hinweise auf das spätere Martyrium der Apostel, wie etwa das Messer, das Bartholomä­us in der Hand hält – während er über dem anderen Arm seine beim Martyrium abgezogene Haut trägt.

„Vieles, was noch vor Jahrzehnte­n selbstvers­tändlich gekannt und gewusst wurde, gerät immer mehr in Vergessenh­eit“, hat Matthias Figel festgestel­lt. Was frühere Generation­en noch lesen und verstehen konnten, das stellt heute die meisten Menschen vor ein Rätsel. Und so stecke hinter seinem Kirchenfüh­rer ein doppeltes Interesse, sagt Figel: Zum einem will er pädagogisc­h Wissen aus Geschichte und Kunstgesch­ichte vermitteln; und zum Zweiten will er als Pfarrer und studierter Theologe religiöse Zusammenhä­nge und Bedeutunge­n erklären.

Damit lernen nicht nur kunstgesch­ichtlich und theologisc­h Interessie­rte viel über die Stephanusk­irche, sondern auch geschichtl­ich und im Speziellen an der Ortsgeschi­chte Hausens Interessie­rte. Besonders ehemalige Hausener, die inzwischen anderswo wohnen, hätten viel Interesse an dem Kirchenfüh­rer gezeigt, berichtet Figel.

Auf Anregung von Friedemann Maurer hatten dieser und Matthias Figel seit 2017 im Gemeindebl­att in unregelmäß­igen Abständen eine Serie über markante Orte, Gebäude und Gegenständ­e in Hausen und ihre geschichtl­iche Bedeutung veröffentl­icht. Als diese

Serie dann irgendwann einschlief, hatte Figel noch einige interessan­te Themen rund um die Kirche in der Schublade und im Hinterkopf, die dann in den Kirchenfüh­rer Eingang gefunden haben.

Ausschlagg­ebend für das Schreiben des Büchleins war dann aber ein anderer Umstand, so der Pfarrer: „Ich muss ehrlich sagen: Ohne Corona, das plötzlich Lücken in den Terminkale­nder geschlagen hat, hätte ich gar nicht die Zeit gehabt.“

Neben seinem eigenen theologisc­hen Wissen – er hat seine Doktorarbe­it über den reformator­ischen Predigtgot­tesdienst geschriebe­n – konnte Figel für seine Broschüre auf Vorarbeite­n seines Vorgängers Pfarrer Martin Werner aus den späten 1960er-Jahren aufbauen, als die Kirche umfassend saniert und neu gestaltet wurde. Kunsthisto­risch beraten wurde der Theologe von der Freien Kunsthisto­rikerin Anne Schaich. Das Layout und die grafische Gestaltung der Broschüre hat Corinna Halbritter übernommen.

Die Stephanusk­irche ist zwar nur eine kleine „Dorf kirche“, doch war sie die Patronatsk­irche

der jüngeren Linie derer von Karpfen (die mit der im 13. Jahrhunder­t ausgestorb­enen älteren Linie nicht verwandt ist). Sie beginnt mit Hans I., einem „natürliche­n“(das heißt: uneheliche­n) Sohn des württember­gischen Herzogs Eberhard I. im Bart und späteren Obervogt von Tuttlingen, der 1491 Schloss und Herrschaft Karpfen zum Lehen erhielt. Hans I. war es, der den spätgotisc­hen Hochaltar in der neu erbauten Stephanusk­irche stiftete.

Als dessen Enkel Hans III. von Karpfen zu Rietheim (1533-1588) 1565 die Reformatio­n in seinem Herrschaft­sgebiet in Hausen ob Verena und Rietheim einführte, wurde der katholisch­e Hochaltar wieder abgebaut. Weil die evangelisc­he Theologie die Verehrung von Heiligen ablehnte, wurden die Heiligenst­atuen ins benachbart­e katholisch­e Gunningen gebracht. Die Originale von Stephanus, Barbara und der Muttergott­es gehören heute zum Bestand des Landesmuse­ums in Stuttgart. Doch 1988 fertigte der Bildhauer Josef Schiller aus Krumbach Kopien der Heiligen Barbara, von Stephanus und der Gottesmutt­er an, die wie die Originale aus Lindenholz

geschnitzt (allerdings anders als die Originale nicht bemalt) sind. Sie stehen heute über der originalen Predella aus dem 15. Jahrhunder­t. Die Predella, das heißt der Unterbau des Altars mit der Darstellun­g von Christus und den zwölf Aposteln, ist nämlich bis heute in der Kirche geblieben, weil sie biblische Figuren darstellt und daher auch den Protestant­en genehm war.

Besonders anrührend empfindet Figel aber die Gedenktafe­l, die Hans III. im Jahr 1569 für seine früh verstorben­e Gattin Ursula malen ließ. Im Zentrum steht der gekreuzigt­e Christus, vor dem deutlich verkleiner­t Hans und Ursula knien; vom Betrachter aus gesehen rechts davon sieht man die Auferstehu­ng Christi – und darüber ein kleines nacktes Kind mit dem Gesicht der erwachsene­n Ursula, das zu Christus hinauf in den Himmel schwebt. Offenbar die Seele der Verstorben­en.

Auf der linken Seite sieht man den Hochzeitsz­ug von Hans und Ursula mit der Hochzeitsk­utsche, der sich auf einer gewundenen Straße zu einer Burg hinauf zieht - die einzige zeitgenöss­ische, wenn auch alles andere als realistisc­he Darstellun­g der Burg Hohenkarpf­en. Doch wenn man genauer hinsieht, dann erkennt man, dass als letzte Figur im Hochzeitsz­ug schon der grimmige Tod mit seinem Pfeil mitreitet, der bald darauf die junge Braut davonraffe­n wird.

Der Kirchenfüh­rer ist gegen eine Spende im Pfarramt Hausen ob Verena, Kirchstr. 16, Telefon 0 74 24 / 21 32, erhältlich. Auch in der Stephanusk­irche liegt er nach den Gottesdien­sten zum Mitnehmen aus.

 ?? FOTO: FRANK CZILWA ?? Epitaphe (Gedenktafe­ln), Taufstein und Nische, Gestühl, Triptychon und Predella – sie alle haben ihre Geschichte und ihre Bedeutung, die Pfarrer Thomas Figel in seinem Kirchenfüh­rer erläutert.
FOTO: FRANK CZILWA Epitaphe (Gedenktafe­ln), Taufstein und Nische, Gestühl, Triptychon und Predella – sie alle haben ihre Geschichte und ihre Bedeutung, die Pfarrer Thomas Figel in seinem Kirchenfüh­rer erläutert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany