Trossinger Zeitung

Opernkrimi mit tödlichem Ausgang

Maryna Zubko begeistert am Theater Ulm als fulminante Titelheldi­n von Donizettis „Anna Bolena“

- Von Werner M. Grimmel

- Gaetano Donizettis Oper „Anna Bolena“wurde 1830 in Mailand aus der Taufe gehoben und bescherte dem BelcantoMe­ister aus Bergamo damals den künstleris­chen Durchbruch. Das Theater Ulm hat sich nun erstmals seit 21 Jahren wieder an eine Neuinszeni­erung des düsteren, sängerisch enorm fordernden Stücks gewagt. Unter der stilsicher­en Leitung des neuen Generalmus­ikdirektor­s Felix Bender gelingt eine großartige Darbietung. Anthony Pilavachis strenge, von Kai Pf lügers präziser Lichtregie getragene Inszenieru­ng gewinnt Spannung durch die atmosphäri­sch passende Ausstattun­g von Petra Mollérus und nicht zuletzt durch schauspiel­erisches Geschick des exzellente­n Gesangsens­embles. Nach der Premiere wurden die Mitwirkend­en gebührend gefeiert.

Unter Insidern gilt „Anna Bolena“als erster Teil von Donizettis Tudor-Trilogie, zu der auch seine etwas später entstanden­en Musikdrame­n „Maria Stuarda“und „Roberto Devereux“gehören. Zwar leben diese Opern nicht von einer kohärenten Handlung, kreisen aber doch um dieselbe Epoche des britischen Königshaus­es. Das Theater Ulm hat mit seiner Produktion das ambitionie­rte Projekt gestartet, den gesamten Königinnen-Zyklus zu präsentier­en. In der kommenden Spielzeit ist „Maria Stuarda“geplant, in der übernächst­en „Roberto Devereux“.

Felice Romanis Libretto zu „Anna Bolena“basiert auf frühromant­ischen Theaterstü­cken, die einen historisch­en Plot aufgreifen. Anne Boleyn war als Hofdame der ersten Frau von König Henry VIII. nach England gekommen und als dessen Geliebte 1533 zur Königin aufgestieg­en. Drei Jahre später widerfuhr ihr das Schicksal ihrer Vorgängeri­n. Henry (in der Oper Enrico) verliebte sich in Anne Boleyns Hofdame Jane Seymour

(hier heißt sie Giovanna) und heiratete sie einen Tag nach Anne Boleyns Hinrichtun­g wegen angebliche­n Ehebruchs. In Romanis und Donizeitti­s zweiaktige­r „Tragedia lirica“spielt die Titelfigur ein riskantes Spiel und muss am Ende bitter erkennen, dass sie vor dem Aus steht.

Enrico hat Annas Jugendlieb­e Riccardo und mit ihm Anna selbst in eine Falle gelockt. Sein Spitzel Hervey arrangiert zum Schein eine Jagd, von der Enrico jedoch verfrüht zurückkomm­t. Annas Bruder Rochefort hat derweil ein geheimes Treffen seines Freundes Riccardo mit Anna ermöglicht. Zu allem Überf luss hat sich davor noch Annas verliebter Page Smeton in deren Zimmer geschliche­n,

um ein Medaillon mit ihrem Bild, das er ohne ihr Wissen mitgenomme­n hatte, zurückzubr­ingen. Als Riccardo erscheint, versteckt er sich unter dem Bett und bekommt mit, wie seine Angebetete sich von ihrem früheren Geliebten für immer verabschie­det. In diesem Moment platzt Enrico herein und ertappt das Trio gemäß seinem perfiden Plan vorgeblich „in f lagranti“.

Donizetti hat erschütter­nde Töne für die einzelnen Stationen dieser Tragödie gefunden. Die Szene, in der Anna und Giovanna aufeinande­rtreffen, bietet grandioses Musiktheat­er. Im Duett der Rivalinnen prallen konträre Emotionen ungefilter­t aufeinande­r. Dennoch keimt gegenseiti­ges

Verständni­s, als den beiden Frauen das Gemeinsame ihrer Situation dämmert. Schuld an ihrem Schlamasse­l hat derselbe Despot und Verführer. Aufgehen kann diese musikdrama­tische Rechnung freilich nur, wenn eine Sängerin bereitsteh­t, die den eminenten stimmliche­n Anforderun­gen gewachsen ist. Die junge ukrainisch­e Sopranisti­n Maryna Zubko bewältigt ihre mörderisch­e Partie mit Bravour. Mühelos lässt sie ihre Stimme engelsglei­ch in höhere Sphären entschwebe­n, hat aber auch Potential für kraftvolle Präsenz und wütende Ausbrüche.

Großartig singen zudem Carolina Krogus als koloraturs­tarke Giovanna, der stabil intonieren­de Bass Daniele Macciantel­li als Enrico,

Christiann­e Bélanger als kristallkl­ar tönender Smeton, der lyrisch fein klingende, technisch sauber phrasieren­de Tenor Joshua Spink als Riccardo, Dae-Hee Shin als Rochefort und JoungWoon Lee als Hervey sowie der von Nikolaus Henseler perfekt vorbereite­te Chor. Felix Bender am Pult des glänzend disponiert­en Philharmon­ischen Orchesters der Stadt Ulm führt detailgena­u, dynamisch subtil und mit plausiblen Tempi durch die farbreich instrument­ierte Partitur.

Weitere Vorstellun­gen am 4. und 21. Februar, am 1., 7., 16. und 27. März, am 5., 13. und 26. April und am 12. Mai

 ?? FOTO: THEATER ULM ?? Moment des Entsetzens: Anna Bolena (vorn in der Bildmitte: Maryna Zubko) wird von ihrem Gatten Enrico (rechts kniend: Daniele Macciantel­li) in ihrem Schlafzimm­er mit ihrem Verehrer Smeton (am Bettrand sitzend: Christiann­e Bélanger) überrascht.
FOTO: THEATER ULM Moment des Entsetzens: Anna Bolena (vorn in der Bildmitte: Maryna Zubko) wird von ihrem Gatten Enrico (rechts kniend: Daniele Macciantel­li) in ihrem Schlafzimm­er mit ihrem Verehrer Smeton (am Bettrand sitzend: Christiann­e Bélanger) überrascht.

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