Leidenschaft für hohe Berge und ein mulmiges Gefühl
Trossinger Bergsteiger berichtet von seiner neuesten Tour – Daher kommt seine Begeisterung
(sz) - Der Trossinger Bergsteiger Stefan Kunz will den Mount Kenia besteigen. Für die Trossinger Zeitung berichtet er im ersten Teil seiner Serie über seine Vorbereitungen für die fordernde Expedition und seine Ankunft in Afrika.
Die Worte „Jenseits von Afrika“lassen mich unmittelbar träumen. Nicht des tollen Filmes wegen, mit Meryl Streep und Robert Redford in den Hauptrollen, vor allem da mich die Großwildjagd eher abschreckt, und ich weder eine Farm, geschweige denn je eine Liebschaft in Afrika gehabt hätte. Sie lassen mich träumen, meiner eigener Erfahrung wegen.
Bereits vier Mal hatte ich schon eine Safari mitgemacht, und jedes Mal war es ein beeindruckendes Erlebnis gewesen. 1996 kam bei meinem ersten Rucksackurlaub in Afrika noch eine andere Erfahrung hinzu: Die Besteigung des 5.895 Meter hohen Kilimandscharo änderte und prägte mein Leben kolossal. Es war der Beginn meiner Leidenschaft für die hohen Berge der Welt.
Ich freute mich deshalb riesig wieder nach Afrika zurückzukehren, um 28 Jahre nach der Besteigung des höchsten Berges des Kontinentes nun den zweithöchsten, technisch weitaus schwierigeren Gipfel zu versuchen: Der Mount Kenia, dessen Hauptgipfel Batian 5.199 Meter hoch ist, ist nur über eine lange und ausdauernde Kletterei im mittleren Schwierigkeitsgrad zu besteigen, und das in der Höhe von über 5.000 Metern.
Die Zeiten für Reisende haben sich seit 1996 ebenfalls kolossal geändert, die Digitalisierung hat nicht nur Einzug gehalten, sondern prägt und bestimmt die Reise nun bereits im Vorfeld. Hatten wir 1996 in Tansania noch die Einreise per Visa-on-Arrival hinter uns gebracht und die Kilimandscharo-Tour in Arusha beim örtlichen Tour-Operator kurzum und mit viel Diskutieren und Feilschen gebucht, so kämpfe ich mich dieses Mal bereits Tage vor dem Abflug durch das eTA-Visumverfahren der kenianischen Behörden. Die Dokumente – Reisepass, Foto, sämtliche Buchungsunterlagen und Kreditkartenangaben, welche hochgeladen werden müssen, machen mich
absolut gläsern – ohne das Land überhaupt betreten zu haben.
Am Flughafen geht die digitale Reise weiter. Online bereits eingecheckt, erfolgt nach dem Sicherheitscheck die automatische Passkontrolle sowie das automatische Boarding, aufgeteilt nach Zonen. Die Zeiten, in denen man lächelnde Gesichter von Flugbegleiterinnen oder griesgrämige Minen von Grenzschützern sieht, sind wohl endgültig vorbei.
Als ich dann endlich kenianischen Boden betrete, werden mir alle zehn Fingerabdrücke abgenommen, und mein Gesicht wird
zum Abgleich des biometrischen Fotos gescannt. Ich frage mich ernsthaft, wo dies in einigen Jahren noch hinführen wird und beruhige mich damit, dass ich einen Großteil meiner Reisen bereits hinter mir habe.
Im Hotel in Nairobi geht es dann wieder bodenständiger zu. Auch hier gibt es mit der Magnetstreifenkarte eine digitale Lösung – welche nicht funktioniert und mich aus dem zweiten Stock zweimal an die Rezeption rennen lässt – aber die meisten Probleme können hier noch analog gelöst werden: Die Nachttischlampe
brennt je nachdem in welche Richtung man den Lampenschirm dreht, und das nach dem Duschen austretende Wasser aus dem Bad kann man mit dem guten alten Handtuch auf dem Boden im Zaum halten.
Wie fast alle Tage auf dieser kurzen Reise ist auch der späte Ankunftstag bis fast zur letzten Stunde durchgetaktet. Vom Hotel, geschweige denn von Nairobi sehe ich noch nichts, ich habe gerade noch Zeit, um gegen Mitternacht für das Klettertraining umzupacken. Beim Frühstück treffe ich den einzigen anderen Teilnehmer,
Bernhard aus Berlin. Mit seinem Alter von 76 Jahren hat er mir viele Abenteuerreisen voraus, und so manche neue Idee wird aus den Gesprächen über unsere vergangenen Reisen geboren. Mein Respekt ist riesig, dass er in diesem Alter überhaupt noch auf eine solche anspruchsvolle Reise geht.
Früh morgens geht es los nach Lukenya. Unser Taxifahrer Joseph, den ich schon vom Flughafen kenne, bringt uns dorthin, er wird mich auch in den Tagen nach der Tour noch begleiten. Unser Kletterguide ist Simon, der von deutschen Bergführern ausgebildet wurde. Von Duncan, dem Leiter der Tour, fehlt noch jede Spur.
Lukenya liegt eine gute Stunde außerhalb von Nairobi und ist das Kletter-Eldorado in der Gegend. Es gibt unterschiedlich schwere Routen, und Simon wählt einen 30 Meter hohen Felsen mit der Schwierigkeitsstufe UIAA III. Mir kommt es schwieriger vor, und es ist eine schweißtreibende Angelegenheit die Route dreimal hintereinander zu klettern.
Wir wechseln zu einem „leichteren“Felsen, den wir zweimal klettern, wobei mir die Schwierigkeit eher noch höher vorkommt. Wie auch immer, Simon hatte die Latte schon mal ganz nach oben gelegt.
Aus dem Halbtagesausflug wird ein voller Tag, und wir hatten noch nicht mal die Hälfte des Pensums geschafft was am Mount Kenia zu klettern ist. Die Vorstellung, dass wir statt auf 1.700 Meter Höhe bei angenehmen, warmen Temperaturen in ein paar Tagen auf über 5000 Meter Höhe, anfangs bei Temperaturen um Null Grad, eine doppelt so hohe und mindestens gleich schwierige – wenn nicht sogar schwierigere Route klettern sollen – treibt mir ein mulmiges Gefühl in die Magengegend.
Mein virtueller Blick geht langsam aber sicher in Richtung Mount Kenia. Ich war nun endgültig angekommen.