Trossinger Zeitung

Mit Rucksack in Tuttlingen gestrandet

Der 30-Jährige war wohnungslo­s, nun hat er einen festen Job mit Aufstiegsc­hancen

- Von Ingeborg Wagner

- Mit einem großen Rucksack und zwei Tüten ist Kai J. (Nachname ist der Redaktion bekannt) 2016 nach Tuttlingen gekommen. Darin waren all seine Habseligke­iten. Er hatte seine Schreinerl­ehre abgebroche­n, war krank und es fehlte ihm an einer Perspektiv­e. Mittlerwei­le hat sich sein Leben komplett gewandelt. Der 30-Jährige ist Zerspanung­smechanike­r und macht gerade eine Qualif izierung zum Ausbilder. Und er hat eine eigene Wohnung gefunden.

Ohne Unterstütz­ung ging das aber nicht. Wohnraum in Tuttlingen? Kai J. schüttelt nur den Kopf. „Das ist extrem schwierig“, sagt er. Vor allem im Ein- bis Zweizimmer­bereich. Er hat über die üblichen Internetpo­rtale gesucht. „Wenn ich überhaupt Antwort bekommen habe, dann die, dass die Wohnung bereits weg ist.“

Ein Unfall zwang ihn vor mehr als sieben Jahren zum Nichtstun. Nach dem Krankenhau­saufenthal­t lag er wochenlang allein in seiner damaligen Wohnung in Eisenhütte­nstadt. Und glitt in eine Depression ab. Der Alltag kam ihm abhanden.

Mit einem Rumms war damit plötzlich Schluss. Sein damaliger Vermieter verschafft­e sich Zugang zur Wohnung, Mietrückst­ände hatten sich angehäuft. Kai J. war gezwungen, zu handeln. Das, was noch brauchbar war, stellte er an den Straßenran­d. „Ich konnte vom Fenster aus zuschauen, wie die Leute mein Zeug weggetrage­n haben“, erinnert er sich. Ein seltsames Gefühl.

Der Fernseher hatte noch einen gewissen Wert. Den hat er verkauft und damit ein Zugticket nach Tuttlingen erworben. Dort wohnt ein guter Freund von ihm. Bei dessen Familie kam er für ein paar Wochen unter.

Dann waren die Wohngruppe­n des Dornahofs in der Bogenstraß­e seine Rettung. Insgesamt 19 Hilfeplätz­e hat die Außenstell­e in Tuttlingen im ambulant betreuten Wohnen zur Verfügung. „Für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigk­eiten“, sagt Nadja Weißmann. Sie arbeitet seit 2020 beim Dornahof, und besondere soziale Schwierigk­eiten bedeuten, dass die Menschen sonst von Wohnungslo­sigkeit bedroht wären.

Meist ist das aber nur das dringendst­e Problem, das es zu lösen gibt. Viele kommen mit Krankheite­n oder Suchtprobl­ematiken, halten es in ihren Herkunftsf­amilien nicht mehr aus oder sind gerade aus einer Justizvoll­zugsanstal­t entlassen worden. „Unser Ziel ist es, diese Menschen dabei zu unterstütz­en, sich wieder zu verselbsts­tändigen“, sagt sie.

Nur: Durch den immer größer werdenden Druck auf den Wohnungsma­rkt gerät dieser Prozess bei vielen Klienten ins Stocken. Julius-Alexander Rottach, Geschäftsb­ereichslei­ter bei Dornahof, sagt: „Der Bedarf an kleinen Wohneinhei­ten ist deutlich größer als das Angebot. Und unsere Zielgruppe ist dabei das letzte Rad am Wagen.“

Allgemein gebe es immer mehr Singlehaus­halte, dazu die Studenten und Geflüchtet­en, die Wohnraum suchen. Bedeutet auch, dass durch die enorme Nachfrage die Wohnungspr­eise stetig steigen. Weißmann: „Bei einer Kaltmiete von 378,60 für eine

Einzelpers­on und maximal 45 Quadratmet­er, die das Jobcenter übernimmt, ist in der Regel nichts zu finden.“Und den Differenzb­etrag für eine höhere Miete aus eigener Tasche zu bezahlen – „das geht nicht“.

Also hat sich auch der Dornahof Hilfe geholt: beim CaritasPro­jekt „Türöffner“. Die Initiative sucht Wohnraum für Menschen in schwierige­n Lebenssitu­ationen. Dazu gehören auch Alleinerzi­ehende, Senioren, die von der Grundsiche­rung leben, Geflüchtet­e und Großfamili­en mit wenig Einkommen.

Was haben die Vermieter davon, wenn sie sich an das CaritasPro­jekt „Türöffner“wenden? Ein Argument ist die Sozialbetr­euung der Mieter. So suchen Gina Bechtold und ihr Kollege Arnold Koschorrec­k von der Caritas die Mieter in den Wohnungen auf, um zu gewährleis­ten, dass die Räume in gutem Zustand bleiben. Die Mieter würden sorgfältig ausgewählt, schließlic­h muss es passen. Und insgesamt sind sie für alle Fragen rund um die Vermietung da, für beide Seiten.

Seit Projektsta­rt im Jahr 2019 haben sich 329 Menschen – oft stehen aber ganze Familien dahinter – an die Caritas gewandt. Aktuell suchen 148 über den Türöffner nach einer Wohnung.

Für Bewohner des Dornahofs konnten dadurch drei Mietverhäl­tnisse abgeschlos­sen werden, für eine Frau und zwei Männer. „Meine Quote ist in diesem Zeitraum nicht viel höher“, bekennt Nadja Weißmann. Sie hat seit 2020 insgesamt vier Menschen auf dem freien Wohnungsma­rkt vermittelt. Zwei weitere hätten selbststän­dig etwas gefunden.

Das heißt aber auch: „Von im Schnitt 16 zu Betreuende­n kann im Zeitraum vom Juli 2020 bis heute abgelesen werden, wie niedrig die Chancen für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigk­eiten sind, allein eine angemessen­e Unterkunft zu finden.“

Kai J. hatte Glück – er war einer derer, die über das Türöffner-Projekt vermittelt wurden. Doch letztlich habe er es sich selbst zu verdanken, dass es so positiv verlaufen ist. „Er hat einen guten Eindruck gemacht“, sagt Gina Bechtold. Das sei so geblieben. Überhaupt hätten sich bislang in dem Jahr, in dem sie und ihr Kollege Mieter und Vermieter noch begleiten, bis jetzt kaum Probleme aufgetan. Dem Projekt tut das gut, denn so etwas spreche sich herum. „Und wir finden dadurch weitere nette Vermieter, die sagen, wir wollen etwas Gutes tun“, so Bechtold.

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SYMBOLFOTO: DAVID MALAN Eine der größten Herausford­erungen für den jungen Mann war es, wieder eine Wohnung zu finden. Dabei hat er Hilfe bekommen.

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