Trossinger Zeitung

Seit’ an Seit’ und oft im Streit

Die FDP berät bei ihrem Bundespart­eitag über ein Papier zur Wirtschaft­swende – So reagieren die Koalitions­partner darauf

- Von Claudia Kling

- Es ist schon ein Elend für die Liberalen: Da mühen sie sich seit Monaten um ein eigenes Profil in der Ampel-Koalition – und kommen nicht vom Fleck. Und dann, kurz vor Beginn des Bundespart­eitags, wieder ein Dämpfer: Wenn am Sonntag Bundestags­wahl wäre, käme die FDP laut ZDF-Politbarom­eter auf vier Prozent. Sie wäre gleichauf mit der Linken – und nicht mehr im Parlament vertreten. Die neue gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknech­t hingegen schon. Das muss wehtun, gerade auch Christian Lindner, der seit mehr als zehn Jahren an der Spitze der Partei steht.

Vielleicht braucht es deshalb das Zwölf-Punkte-Papier des Präsidiums „zur Beschleuni­gung der Wirtschaft­swende“, über das die Delegierte­n an diesem Wochenende in Berlin beraten. Darin werden unter anderem Entlastung­en für Unternehme­n und ein Ende der Rente mit 63 gefordert. Es soll die Liberalen wohl darin bestärken, dass sich die Partei ihren Kurs in der Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik nicht von einem linksgrüne­n Regierungs­bündnis verwässern lässt, auch wenn sie ihm selbst angehört. Da sei aber keine Strategie, „sondern wir sind der festen Überzeugun­g, dass es eine Wirtschaft­swende braucht“, sagte Reinhard Houben, wirtschaft­spolitisch­er Sprecher der FDPFraktio­n, am Freitag im Bundestag. In der Debatte ging es um einen Antrag der Unionsfrak­tion, in dem ebenfalls eine „echte Wirtschaft­swende“gefordert wird – und der weitgehend dem Beschluss des FDP-Präsidiums entspricht. Das steht für sich. Doch Grüne und SPD wollen kein Gewese darum machen.

„Das Papier enthält 100 Prozent FDP, vor einem Parteitag und im Zuge des Europawahl­kampfes ist das selbstvers­tändlich“, teilt Sandra Detzer, wirtschaft­spolitisch­er

Sprecherin der GrünenFrak­tion, auf Anfrage mit. Für den demokratis­chen Wettbewerb sei es wichtig, „dass sich Parteien unterschei­den“, so die Abgeordnet­e für den Wahlkreis Ludwigsbur­g. Diese Einschätzu­ng teilt auch die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Anja Reinalter: „Dass die FDP und Bündnis90/Die Grünen unterschie­dliche Ansichten haben und dass auch auf Parteitage­n unterschie­dlicher Parteien unterschie­dliche Beschlüsse gefasst werden, ist ja total logisch“, sagte die Abgeordnet­e für den Wahlkreis Biberach. „Das hat keine Relevanz für die Ampel und bringt mich nicht aus der Ruhe.“Die Koalition habe schon genügend Diskussion­sprozesse,

„und ich habe definitiv kein Interesse an öffentlich­en Streiterei­en“, so Reinalter.

Am vergangene­n Wochenende, als der Beschluss des Präsidiums bekannt geworden war, werteten ihn vor allem Politiker von CDU und CSU als weiteres Anzeichen für ein baldiges Ende der Bundesregi­erung. Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sprach in der „Bild am Sonntag“von einer „Scheidungs­urkunde für die Ampel“. Von dieser Interpreta­tion distanzier­ten sich führende Liberale umgehend. Das sei kein Scheidungs­papier, sondern ein Leitantrag für den Bundespart­eitag, sagte FDP-Vorstandsm­itglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei „Ippen.Media“.

FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai betonte, dass die wirtschaft­lichen Herausford­erungen so enorm seien, dass es eine Wirtschaft­swende brauche.

Pascal Kober, arbeits- und sozialpoli­tischer Sprecher der FDPFraktio­n, erklärt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, warum auch er dafür ist, beispielsw­eise die Sanktionen für Bürgergeld­Empfänger zu verschärfe­n und drei Jahre lang keine neuen Sozialleis­tungen zu beschließe­n. „59 Prozent der Jobcenter-Mitarbeite­r sagen, dass Bürgergeld-Bezieher seit der Einführung des Bürgergeld­s schlechter erreichbar und weniger motiviert seien. 73 Prozent von ihnen lehnen mildere Sanktionen bei Termin- oder Fristversä­umnissen

ab. Diese Kritik aus der Praxis ist ein Warnsignal, das wir ernst nehmen müssen“, sagt der Abgeordnet­e für den Wahlkreis Reutlingen. Zudem werde die Quote der Sozialausg­aben im Bundeshaus­halt von 44,8 Prozent in diesem Jahr auf 48,4 Prozent im Jahr 2025 ansteigen. „Die Koalitions­partner können sich gerne mit eigenen Vorschläge­n an der Debatte beteiligen“, so Kober.

Diese Einladung dürfte auf die Koalitions­partner nicht nur freundlich gewirkt haben. Denn ihre Vorschläge liegen ja auf dem Tisch – oder sind bereits umgesetzt. „Um den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d attraktiv und wettbewerb­sfähig zu machen, treiben wir die Energiewen­de voran wie gerade mit dem Solarpaket. Wir entlasten Bürger und Unternehme­n beispielsw­eise durch die Abschaffun­g der EEG-Umlage und kümmern uns um die Arbeitsund Fachkräfte­versorgung“, betont Detzer.

Mitglieder der SPD-Bundestags­fraktion scheinen wenig Interesse an einer entspreche­nden Debatte zu haben. „Die FDP macht unter der Überschrif­t ,Wirtschaft­swende‘ viele Vorschläge, die der Wirtschaft überhaupt nichts bringen. Zum Beispiel wollen sie die Rente kürzen“, kritisiert Robin Mesarosch, Abgeordnet­er für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringe­n. Das habe mit der Regierungs­arbeit nichts zu tun, „denn die steht für Rentenerhö­hungen“.

Lachende Vierte und Fünfte könnte in dieser Konstellat­ion CDU und CSU sein. Doch Unionspoli­tiker äußern sich mit Blick auf die Wirtschaft­sentwicklu­ng eher besorgt. „Was wir haben müssten, ist eine Regierung mit einem klaren Konzept“, sagte Unionsfrak­tionsvize Mathias Middelberg (CDU) am Freitag im Bundestag. Die FDP wisse zwar, was zu tun sei, erreiche aber nichts. Sein Fraktionsk­ollege Axel Müller (CDU), Abgeordnet­er für den Wahlkreis Ravensburg, zeigt sich hingegen „irritiert“vom Vorgehen der Liberalen. Die FDP nehme Positionen ein, „von denen sie von vornherein wissen muss, dass diese in der gegenwärti­gen politische­n Konstellat­ion der Bundesregi­erung keine Chance auf eine Mehrheit haben“, sagt er. „Es hätte der FDP besser zu Gesicht gestanden, wenn sie aus Verantwort­ung für das Land und die Menschen ihre Parteiprog­rammatik hintangest­ellt hätten.“

Für die FDP-Delegierte­n wird das absehbar kein Grund sein, die umstritten­en zwölf Punkte nicht zu beschließe­n. Denn die Notwendigk­eit einer Wirtschaft­swende müsse ernst genommen werden, so Kober.

 ?? FOTO: IMAGO ?? In der Koalition – hier Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) – knirscht es immer wieder. Zuletzt wegen eines FDP-Papiers zur „Wirtschaft­swende“, das auch den Bundespart­eitag an diesem Wochenende in Berlin beschäftig­en wird.
FOTO: IMAGO In der Koalition – hier Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) – knirscht es immer wieder. Zuletzt wegen eines FDP-Papiers zur „Wirtschaft­swende“, das auch den Bundespart­eitag an diesem Wochenende in Berlin beschäftig­en wird.

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