Nofretete 100 Jahre IN BERLIN
Wem gehört die berühmteste Büste der Welt wirklich?
Der Januar des Jahres 1912: Im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft gräbt der deutsche Ägyptologe Ludwig Borchardt in den Ruinen der untergegangenen Stadt Tell el-Amarna. Mit der Hilfe von 260 einheimischen Arbeitern soll er das Anwesen des altägyptischen Künstlers Thutmosis freilegen, der vor rund 3400 Jahren der Oberbildhauer von Pharao Echnaton gewesen ist. Als die Arbeiter in einer verborgenen Kammer eine Büste entdecken, ahnt noch keiner, dass dieser Fund die Nachwelt bis heute in Atem halten wird – und als„Büste der Nofretete“in die Geschichtsbücher eingeht.
Besetztes Land
Borchardt ist in Kairo, als das lebensechte Abbild der Hauptgemahlin von Echnaton beinahe unversehrt unter einem Schutthaufen entdeckt wird. Unverzüglich reist er zurück und beaufsichtigt die Bergung.„Erst dann wurde die bunte Büste herausgehoben“, erklärt Borchardt später.„Und wir hatten das lebensvollste ägyptische Kunstwerk in Händen.“Bereits ein Jahr später wird eine Ausfuhrgenehmigung erteilt und das Fundstück mit der Nummer 748 nach Berlin gebracht – wo es bis heute zu den Hauptattraktionen der Museumsinsel gehört. Doch so sehr das Kunstwerk seine Betrachter verzaubert, ist es auch zum Symbol einer hitzigen Debatte über koloniale Raubkunst geworden. Nicht wenige Experten und Politiker fordern die Rückgabe der Büste, da sie zu einer Zeit aus Ägypten ausgeführt wurde, als das Land britische Kolonie war – und französische Beamte den ägyptischen Antikendienst leiteten.
Betrachtet man den Fall genauer, wird es kompliziert. Denn die Büste wurde von Ludwig Borchardt nicht entwendet, sondern überhaupt erst von dem Forscher auf mehr oder weniger eigene Kosten ausgegraben. Fakt ist, dass es damals in Ägypten zudem die Regel gab, dass selbstständig ausgegrabene Funde von ausländischen Archäologen „zu gleichen Teilen“zwischen Finder und Ägypten geteilt werden. Wie genau die Aufteilung erfolgte, ist schwer zu sagen, doch ein erheblicher Teil von Borchardts Funden geht damals an das Ägyptische Museum – darunter der sogenannte Klappaltar von Kairo.
Die Büste wird Borchardt zugesprochen – möglicherweise auch, weil er den Sensationsfund als „einfaches Gipsmodell“deklariert. Es ist ein Streit, der bis heute anhält.