„NIMM DIR ZEIT FÜR FREUNDSCHAFTEN“
Freundinnen und Freunde sind füreinander da. Warum wir diese besonderen Beziehungen pflegen müssen und wie das auch in stressigen Lebensphasen geht, erklärt Psychologe Wolfgang Krüger
Herr Dr. Krüger, warum sind Freundschaften ein wichtiges Element in unserem Leben? In einer guten Freundschaft können wir alles erzählen, wir können uns rückhaltlos öffnen, und zudem ist auf einen Freund oder eine Freundin auch in schwierigen Zeiten Verlass. Sie geben Geborgenheit und federn Stress ab. Solche engen Beziehungen führen dazu, dass wir nicht mehr einsam sind, dass unsere Selbstachtung steigt und dass wir – mithilfe unserer Freunde – Probleme besser lösen können.
Also beeinflussen soziale Bindungen und Freundschaften sowohl unsere psychische als auch die körperliche Gesundheit?
Ja, denn wenn wir gute Freunde haben, sind wir seelisch erheblich stabiler. Viele seelischen Erkrankungen, also Depressionen, Angststörungen und psychosomatische Probleme, hängen oft auch mit einem Defizit an Freundschaften zusammen. Und Freundschaften sind auch für unsere allgemeine Gesundheit wichtig, zum Beispiel durch die Stärkung des Immunsystems. So zeigt eine australische Langzeitstudie mit 1500 über 70-Jährigen: Wer gute Freundschaften pflegt, lebt durchschnittlich 22 Prozent länger.
Wie kann man solche wichtigen Freundschaften pflegen? Die Pflege der Freundschaften besteht zunächst einmal darin, dass ich eine gute Beziehung mit mir selbst eingehe. Ich sollte meine eigenen Ängste, meine Freude, meine Hoffnungen spüren, das ist der Resonanzboden, auf dem Freundschaften gelingen. Und dann ist es wichtig, dass ich mich regelmäßig – mindestens einen Abend in der Woche – um meine Freunde kümmere. Das zeigt, wie groß mein Interesse an ihrem Leben ist.
Diese enge Verbundenheit mit Freunden entspricht unserer inneren Bestimmung als soziale Wesen. Und wenn wir der nachkommen, geht es übrigens auch uns selber gut.
Warum fällt es uns als Erwachsenen schwerer, neue Freundschaften zu schließen? Es fällt uns schwer, weil uns die Unbefangenheit der Kinder fehlt, die mühelos auf andere zugehen. Wir denken zu lange darüber nach, was die Angesprochenen sagen könnten, wir haben Angst, den anderen zu stören, oder fürchten eine Ablehnung. Deshalb gilt: Wir sind auf ein gutes Selbstbewusstsein angewiesen, um neue Freundschaften beginnen zu können.
Vernachlässigen vor allem Männer ihre Freunde – je älter sie werden? Oder täuscht der Eindruck?
Zwei Drittel aller Frauen haben mindestens eine gute Freundin,
aber nur ein Drittel der Männer. Und Männer leiden besonders im Alter unter dem Defizit an Freundschaften.
Das liegt auch daran, dass 50 Prozent aller Menschen in der Mitte des Lebens den Eindruck haben, dass sie mehr in Freundschaften investieren, als sie bekommen. Es stört sie, dass so viele Alltagsfreundschaften auseinandergehen. Sie investieren dann nicht mehr so viel in neue Beziehungen. Das wirkt sich vor allem bei Männern verhängnisvoll aus, wenn sie nicht mehr arbeiten und keine Kollegenbeziehungen mehr pflegen. Dann sind viele noch stärker von ihrer Partnerin abhängig, was die Beziehung sehr belasten kann.
Aus Ihrer Sicht haben unsere Freundschaften meist ein ungenutztes Entwicklungspotenzial.
Was meinen Sie damit?
Wir sind in Liebesbeziehungen oft sehr kreativ. Wir schreiben Liebesbriefe, werben um den Partner und überlegen uns häufiger, wie wir der Liebe einen neuen Schwung geben können. Das tun wir in Freundschaften zu selten. Wir vernachlässigen sie zu sehr, wenn wir keine Zeit haben.
Insofern wäre es gut, wenn wir uns einmal in der Woche überlegen, wie wir unsere Freundschaften verbessern können. Wem könnte ich eine Freude machen, wo könnte ich Konflikte klären, wo müsste ich mich wieder melden?