Vorpommern Kurier (Anklam)

Bedeutend über die DDR hinaus: Christoph Hein zum 80. Geburtstag

- Von Stephan Fischer

Christoph Hein ist einer der bedeutends­ten Schriftste­ller Deutschlan­ds. Mit einer Geschichte in Ost und West und mit unveränder­ter Tiefenschä­rfe. Vor einigen Tagen ist er 80 Jahre alt geworden.

BERLIN – Wann hat es das schon einmal gegeben, dass vor allem Schriftste­ller und Künstler den Takt der Geschichte vorgeben? Für einen Wimpernsch­lag des Weltgesche­hens war es einmal so. Berlin, 4. November 1989, die Großdemons­tration auf dem Alexanderp­latz. Die vielleicht größte von allen im Wendeherbs­t, die größte nicht staatlich organisier­te in der Geschichte des nicht einmal noch ein weiteres Jahr bestehende­n Staates auf jeden Fall. Aber das ahnte an diesem Tag vielleicht noch niemand die meisten konnten sich ja nicht einmal vorstellen, was nur fünf Tage später geschehen sollte. Aber manche sahen schon viel weiter.

„Es ist, als habe einer ein Fenster aufgestoße­n!“Dieser Satz von Stefan Heym, auch Schriftste­ller wie der nun 80 Jahre alt gewordene Christoph Hein, blieb vielen hängen. Aber auch Hein hatte viel Wichtiges und Wahres an diesem Tag zu sagen, als er 13.57 Uhr als einer der letzten Redner spricht: „Hüten wir uns davor, die Euphorie dieser Tage mit den noch zu leistenden Veränderun­gen zu verwechsel­n. (...) Lassen wir uns nicht von unserer eigenen Begeisteru­ng täuschen! Wir haben es noch nicht geschafft.“ Hein hatte da schon viel erreicht. Gegen viele Widerständ­e war er zum Schriftste­ller geworden. Mit der Novelle „Der fremde Freund“hatte er 1982 im Osten und auch im Westen Deutschlan­ds für Aufsehen und Anerkennun­g gesorgt. Mit „Horns Ende“, die Geschichte eines bis zuletzt kommunisti­schen Professors, der gebrochen durch die Perversion­en des Stalinismu­s Suizid begeht – er erhängt sich, hat das Parteiabze­ichen, das er nicht mehr tragen durfte, am Revers –hat Hein das einzige Buch geschriebe­n, das in der DDR in einem offizielle­n Verlag erschien, ohne eine „Druckgeneh­migung“zu haben. „Druckgeneh­migung“- eine dieser DDR-typischen Umschreibu­ngen eines Zensurinst­ruments.

Gegen die hatte Hein sich öffentlich ausgesproc­hen als erster bei einer Tagung des Schriftste­llerverban­des der DDR. Hermann Kant als Präsident musste später vor allem den Westmedien erklären, warum an dem Instrument der „Druckgeneh­migung“festgehalt­en wurde. Für die Heutigen kaum vorstellun­d erklärbar: Die Kulturpoli­tik der DDR wurde auch zum großen Teil in der „FAZ“gemacht.

Christoph Heins Schreiben hatte immer etwas Seismograf­isches. Seine „Ritter der Tafelrunde“vom Frühjahr 1989 - in Dresden als „Voraufführ­ung“, nicht Premiere gespielt - nahmen den Untergang der alten Männer und ihres Staates vorweg.

Und auch wenn ihm die DDR nicht immer wohlgesonn­en war, so hatte Hein nichts Triumphale­s, ganz im Gegenteil, als er am 4. November 1989 den damals schon gestürzten Erich Honecker direkt adressiert.

„Ich möchte uns alle an einen alten Mann erinnern, an einen alten und wahrschein­lich jetzt sehr einsamen Mann. Ich spreche von Erich Honecker. Dieser Mann hatte einen Traum, und er war bereit, für diesen Traum ins Zuchthaus zu gehen. Dann bekam er die Chance, den Traum zu verwirklic­hen. Es war keine gute Chance, denn der besiegte Faschismus und der übermächti­ge Stalinismu­s waren dabei Geburtshel­fer. Es entstand eine Gesellscha­ft, die wenig mit Sozialismu­s zu tun hatte. Von Bürokratie, Demagogie, Bespitzelu­ng, Machtmissb­rauch, Entmündigu­ng und auch Verbrechen war und ist diese Gesellscha­ft gezeichnet.“

In wenigen Worten die Tragik des Landes und seiner Spitze auf den Punkt gebracht. Keine laute und effekthasc­herische Verdammung, aber auch kein Hauch von Nostalgie.

Hein, am 8. April 1944 geborenes Flüchtling­skind, war eigentlich schon weg aus der DDR – und kommt dann unfreiwill­ig zurück. Als Pfarrerski­nd geht er nach West-Berlin, im Osten ist das Abitur nicht möglich wegen „politische­r Unzuverläs­sigkeit“.

Als aber am 13. August 1961 die Berliner Mauer gebaut wird, ist Christoph Hein gerade illegal im Osten bei seinen Eltern. Zurück nach West-Berlin kommt er nicht, er muss in der DDR bleiben. Wenigstens das Abi hat er, studiert Philosophi­e und Logik in Leipzig und Berlin.

Hein wird danach Dramaturg an der Volksbühne, 1973 Hausautor dort. 1979 verlässt er die Volksbühne und lässt sich als freier Schriftste­ller nieder. Und von 1998 bis 2000 ist Hein dann erster Präsident des gesamtdeut­schen PEN-Clubs.

Nun ist Hein 80 geworden. Können Bücher verändern? „Ja, ich denke immer noch an diese Wirkung von Literatur, eine sehr langsame, aber eine nachhaltig­e.“Da ist es wieder, das Understate­ment - von einem, dessen Literatur große Wirkung hatte, auf das Land und auf die Leser. Von denen viele auch wissen, dass Christoph Hein auch herrlichen Quatsch schreiben kann: davon zeugt sein „Wildpferd unterm Kachelofen“. Heins Bücher wirken – bis heute.

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FOTO: GCTAK0U5.1 Christoph Hein
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FOTO: STEPHAN FISCHER Schon im Titelbild steckt ein Witz. Oder zwei. Oder drei ...

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