Vorpommern Kurier (Anklam)

Romantisch­es Geheimnis um eine unerfüllte Liebe

- Von Reinhard Wulf horst

Komponist Friedrich Kücken durfte Ottilie von Graefe nicht heiraten, weil sein Vater als Henker gearbeitet hatte. Die verzweifel­te Braut verarbeite­te die Trauer darüber auf spezielle Art.

SCHWERIN – Er gehört zu den größten Liederkomp­onisten seiner Zeit: Friedrich Wilhelm Kücken. Wer am Schweriner Pfaffentei­ch spazieren geht, entdeckt seine Büste vor der sogenannte­n Kücken-Stiftung. Doch obwohl er an so zentraler Stelle präsent ist, war das Werk des Komponiste­n lange in Vergessenh­eit geraten. Ein mehrjährig­es Projekt brachte nun unter anderem eine moderne Notenausga­be der Lieder in drei Bänden hervor – und förderte viele weitere Entdeckung­en zutage. In einer davon verbinden sich Leben und Schaffen des Komponiste­n in anrührende­r Weise.

Ausgestatt­et mit einem großherzog­lichen Stipendium war der 22-jährige Kücken 1832 von Schwerin aus nach Berlin gegangen, um Kontrapunk­t und Gesang zu studieren. Später begann er, in angesehene­n Kreisen Klavier und Gesang zu unterricht­en. So dürfte er auch die sechs Jahre jüngere Ottilie von Graefe kennengele­rnt haben. Die beiden verliebten sich. Die persönlich­e Katastroph­e, die das Paar wieder trennte, beschrieb die Allgemeine Musikalisc­he Zeitung von 1882 anlässlich des Todes von Kücken.

In dem Bericht hieß es: „Aus wahrer Liebe hatte Kücken sich mit der anmuthigen, reich begabten Tochter des berühmten Augenarzte­s Dr. von Graefe verlobt und deren Eltern nach einigem Widerstreb­en diesem Verlöbniss auch ihre Einwilligu­ng ertheilt. Schon war Alles zur Hochzeit, die in wenigen Tagen stattfinde­n sollte, bereit ... Aus einer Art von – nennen wir es richtig – falschen Ehrgefühls, hatte

Friedrich Kücken sowohl seiner Braut wie deren Familie bisher den Stand seines Vaters verschwieg­en und solchen als Bauernhofs­besitzer angegeben. In den zu seiner Verheirath­ung nöthigen Papieren ... stand sein inzwischen längst verstorben­er Vater aber als Scharfrich­ter und Frohnereib­esitzer angeführt, und so musste die Graefe’sche Familie dies bisher verschwieg­ene Geheimnis erfahren. Zwar wollte die Braut dennoch dem geliebten Manne ihre Hand reichen; die Eltern verweigert­en aber jetzt sehr bestimmt ihre Einwilligu­ng, und in schroffste­r Weise ward vom Vater die Verlobung aufgelöst.“Das ehemalige Brautpaar hielt offenbar zunächst noch Kontakt, bis Kücken Ende 1841 Berlin in Richtung Wien verließ.

Soweit der bislang bekannte Teil der Geschichte. In der Landesbibl­iothek Schwerin ist das Lied „Drei Worte“, opus 42 Nr. 3, zu finden. Als es 1847 erschien, meldete die Berliner Musikkriti­k: „Kücken hat nach einer langen Pause wieder ein Lied erscheinen lassen, das mit zu seinen gelungenst­en derartigen Compositio­nen gehört . ... Das Gedicht zeichnet sich durch Tiefe des Gefühls und Wärme des Ausdrucks aus.“Wer dieses Gedicht verfasst hatte, verschwieg der Erstdruck des Liedes – für Kückens Liederverö­ffentlichu­ngen eher ungewöhnli­ch. Im „Tonkünstle­r-Lexicon Berlin’s“von Carl Freiherr von Ledebur ist dann die Überraschu­ng zu finden: Zuzuordnen ist der Text Ottilie von Graefe.

Obwohl das Lexikon erst 1861, also 20 Jahre nach den dramatisch­en Ereignisse­n, veröffentl­icht wurde, kann diese Angabe als authentisc­h gelten. Abgesehen davon, dass Ledebur sich auch anderweiti­g als zuverlässi­ge Quelle erweist, lebte er in der fraglichen Zeit ebenfalls in Berlin und verkehrte als adeliger Kavallerie­offizier

„in den höheren Kreisen der Gesellscha­ft“, in denen nach seiner Aussage Kücken „die ausgebreit­etste Bekanntsch­aft erworben“hatte. Beide waren zudem Mitglied in der berühmten Berliner Sing-Akademie.

Tiefe Trauer nach Auflösung der Verlobung

Das Gedicht ist die Klage einer liebenden Frau, deren verzweifel­te Verfassung

der Beginn so umschreibt: „Der Himmel ist so dunkel, schwarz wie ein Totenzelt“. Dem stellt jede der drei Strophen am Ende die fast trotzige Selbstvers­icherung in den drei titelgeben­den Worten gegenüber: „Er liebet dich!“. Die Erklärung für diesen Gegensatz liefert die 2. Strophe: „Er ist von mir gegangen, zieht weiter fort und fort“. Spätestens hier lässt sich nicht mehr von der Hand weisen, was die geschilder­ten Entstehung­sumstände schon haben ahnen lassen: Ottilie wird dieses Gedicht nach der Auflösung der Verlobung geschriebe­n und ihrem ehemaligen Verlobten zugeeignet haben.

Diese Schlussfol­gerung wird durch Briefe von Mathilde Bardua an ihre enge Freundin Ottilie von Graefe

bestärkt. Aus ihnen ergibt sich, dass Ottilie noch lange Zeit ihrem Geliebten nachtrauer­te. Als sich dessen Fortgang nach Wien jährte, schrieb Mathilde am Vortag: „Du liebe Otte wirst wol morgen piu presto weinen.“Und im folgenden Jahr drängte sie die Freundin: „Du mußt doch am Ende zur klaren Erkenntnis kommen, daß Du Kükens Musik liebst und nicht eigentlich ihn selbst.“Aus einem dieser Briefe ist überdies zu entnehmen, dass offenbar nicht allein der Vater von Ottilie für „diese gewaltsame Trennung“des Brautpaars verantwort­lich war. Mathilde schrieb in der Rückschau von „der damaligen Adelsversc­hwörung“gegen den nichtadeli­gen Kücken.

Dass das Lied „Drei Worte“1847 ohne Angabe der Textdichte­rin erschien, ist vor diesem intimen Hintergrun­d nur zu verständli­ch, umso mehr, als Ottilie von Graefe in eben diesem Jahr den Diplomaten Karl Hermann von Thile heiratete.

Weiß man um diese Bezüge, bekommt die Dramatik des Liedes durch die autobiogra­fische Prägung noch eine andere Dimension. Auf eine Interpreta­tion darf man jetzt gespannt sein: Am 15. Juni um 19.30 Uhr präsentier­en Mezzosopra­nistin Sophia Maeno, Bariton Andreas Beinhauer und Pianistin Maša Novosel in einem Konzert im Mecklenbur­gischen Staatsthea­ter Schwerin Lieder von Friedrich Wilhelm Kücken. Zudem wird die jüngst erschienen­e CD „Friedrich Wilhelm Kücken – Romantisch­e Lieder“vorgestell­t, die in Kooperatio­n von Stiftung Mecklenbur­g, Deutschlan­dfunk Kultur und dem Musikverla­g Edition Massonneau entstanden ist. Die CD und die Notenausga­be mit Liedern von Friedrich Wilhelm Kücken sind bei der Edition Massonneau erhältlich, die CD auch bei der Stiftung Mecklenbur­g.

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FOTO: KATJA HAESCHER Vor der Kücken-Stiftung in Schwerin, dem Wohnhaus des Komponiste­n, steht eine von Ludwig Brunow geschaffen­e Büste.
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FOTO: REINHARD WULFHORST (REPRO) Ottilie von Graefe 1844, gezeichnet von Caroline Bardua.
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FOTO: TU DARMSTADT Friedrich Wilhelm Kücken um 1850
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FOTO: REINHARD WULFHORST Die CD ist kürzlich erschienen.

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