„AUSSER KÄLTE UND MÜDIGKEIT SPÜRTE ICH NICHTS“
Es ist genau 13.12 Uhr, als Jon Krakauer am 10. Mai 1996 den Gipfel des Mount Everest erreicht – körperlich am Ende. „Ich stehe auf dem höchsten Punkt der Erde. Von meiner Sauerstoffmaske kratze ich das Eis ab. Seit 57 Stunden habe ich nicht geschlafen. Bei einem Hustenanfall habe ich mir zwei Rippen gebrochen – was jeden Atemzug zur Folter macht. Jetzt, auf 8848 Metern Höhe, gelangt so wenig Sauerstoff in mein Hirn, dass meine geistigen Fähigkeiten kaum über die eines nicht besonders aufgeweckten Kindes hinausgehen“, schreibt der US-Amerikaner in seinem Buch „In eisige Höhen“. Was der damals 42-Jährige jedoch – im Gegensatz zu vielen anderen Teilnehmern der Expedition, die noch Hunderte Meter unter ihm beim Aufstieg sind – instinktiv spürt: Er muss sofort den Abstieg antreten, denn der härteste Teil liegt noch vor ihm. Dazu muss man wissen: Ab 8000 Höhenmetern sprechen Mediziner von der sogenannten Todeszone. Hier ist der Luftdruck so gering, dass die Lunge nicht mehr ausreichend Sauerstoff ins Blut abgeben kann. Das Herz verlangt nach Sauerstoff und pumpt immer mehr
Blut in die Arterien, bis die Kapillarwände reißen. Die Folge: Ganz gleich, wie gut ein Mensch trainiert ist, die maximale Überlebenszeit in der Todeszone beträgt 48 Stunden. „Ich war wie in Trance, in meiner Angst, in Ohnmacht zu fallen, sehnte ich mich nur noch verzweifelt danach, den Südgipfel (Anm. der Red.: Rastpunkt 200 Meter unterhalb des Gipfels) zu erreichen, wo meine dritte Sauerstoffflasche auf mich wartete“, so Krakauer. Ein Ziel, das er gerade noch erreicht – als sich der Himmel schlagartig verdunkelt. Ein sogenannter Freak Storm zieht am Everest auf – eines der am meisten gefürchteten Wetterphänomene überhaupt. Die Temperatur fällt innerhalb weniger Minuten auf minus 75 Grad Celsius, die Eispartikel prasseln wie ein Sandstrahlgebläse auf die Hänge, die Sichtweite beträgt nur noch wenige Meter. Schritt für Schritt kämpft sich der Abenteurer die Hänge hinab – bis er am Ende seiner Kräfte und halb erfroren wie durch ein Wunder um 19.30 Uhr das Hochlager 4 erreicht – den ersten Rückzugsort für Bergsteiger, 900 Meter unter dem Gipfel. Acht andere Alpinisten der Expedition treten dagegen den Abstieg zu spät an – und lassen an diesem Tag ihr Leben. Auch deshalb beschreibt Jon Krakauer die Gipfelbesteigung des Everests bis heute als „den größten Fehler meines Lebens“.
JON KRAKAUER Eigentlich will der Journalist über die Tourismus-Industrie am Mount Everest berichten. Auf dem Gipfel wird ihm klar: Die Expedition ist ein Himmelfahrtskommando …