„DER SCHUSS RISS MICH ZU BODEN. DOCH ES WAR NUR DER ERSTE VON 20...“
Was will der denn hier?“, fragt sich Kenny Vaughan, als er seinen streitsüchtigen Nachbarn seine Hauseinfahrt in North Carolina hochgehen sieht. Sekunden später blickt der 58-Jährige in eine Gewehrmündung – und spätestens jetzt kennt er den Grund für den Besuch. „Ich rannte zum Haus, um Schutz zu suchen. Doch noch ehe ich die Tür erreichen konnte, traf mich der erste Schuss ins rechte Bein und riss mich zu Boden. Dann hörte ich weitere Schüsse und spürte einen brennenden, pulsierenden Schmerz, heftige Schockwellen durchfuhren meinen Körper. Dann plötzlich war der Schmerz weg, und ich war fokussierter als je zuvor in meinem Leben. Ich weiß nicht, ob es das Adrenalin war oder nur der unbedingte Wille zu überleben.“Als der Schütze sein .22-Kaliber-Gewehr nachlädt, versucht Vaughan, unter seinen Minivan zu kriechen. Dann spürt er erneut, wie Projektile in seinen Körper eindringen. Immer wieder drückt der Angreifer ab – aus zwei Metern Entfernung. „Ich wollte weiterleben, mehr als alles andere auf der Welt, aber ich wusste, es liegt nicht mehr in meinen Händen. Ich hoffte, dass keine Kugel das Herz oder den Kopf trifft. Immer wieder habe ich mir gesagt, wenn du die Augen schließt, kommt erst der Schock, und dann bist du tot“, erinnert sich der US-Amerikaner. Der letzte Schuss trifft ihn in den Unterleib, dann wird es still. Vaughan, wie durch ein Wunder immer noch bei Bewusstsein, sieht, wie sein Blut den Asphalt der Einfahrt hinunterläuft und der Nachbar flüchtet. Am Ende stecken 20 Kugeln in seinem Körper, er ist regelrecht perforiert von den Einschusslöchern.
Nach einer mehrstündigen Notoperation im Durham Regional Hospital wird klar, wie viel Glück Kenny Vaughan hatte. Viele Kugeln verfehlten seine lebensnotwendigen Organe nur knapp, zwei von ihnen entfernten die Ärzte gerade einmal zwei Zentimeter von seinem Herzen entfernt. Die Mediziner sprechen nach der erfolgreichen Operation von einem einmaligen Fall in der Geschichte der Notfallmedizin. Und doch bestätigt dieses extreme Ereignis die Schussopfer-Statistik. So zeigten Studien: Ganz gleich, ob eine oder 20 Kugeln – entscheidend für das Überleben eines Schussopfers ist, ob sein Herz (wie im Fall von Kenny Vaughan) bei der Ankunft im Krankenhaus noch schlägt. „Ist dies der Fall, hat der Patient eine 95-prozentige Chance zu überleben“, erklärt der ehemalige Pathologe Dr. Vincent J. M. DiMaio und Autor des Buches „Gunshot Wounds“(zu Deutsch: Schussverletzungen).
KENNY VAUGHAN Der 58-Jährige kommt gerade nach Hause, als plötzlich ein Mann sein Grundstück betritt – und ein .22-Kaliber-Gewehr durchlädt …