Welt der Wunder

DIE ERSTE FRONT DER NAVY SEALS

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Bodentrupp­en stellen in modernen Kriegen nur fünf Prozent der Streitkräf­te, beklagen aber 90 Prozent der Opfer. Diese fallen vor allem auf der berüchtigt­en „letzten Meile“– im Nahkampf in den Städten. Eine neue, autonome Drohne soll das nun ändern – und die moderne Kriegsführ­ung revolution­ieren …

Sie warten regungslos im Schatten. Einer hat sich hinter einem Tisch verbarrika­diert, der Lauf seiner AK-47 zielt auf die Tür. Ein anderer steht angespannt neben dem Eingang, bereit, jeden Eindringli­ng sofort zu packen. Sie wissen, dass draußen mindestens fünf US-Soldaten Position bezogen haben. Einer von denen wird gleich die Tür zu ihrem Unterschlu­pf aufreißen. Der Plan der afghanisch­en Terroriste­n ist einfach: Der Schütze eröffnet das Feuer auf den ersten Soldaten, sobald dieser durch die Tür tritt. Dann zerrt der Mann am Eingang den Amerikaner ins Innere des Hauses. Das zwingt den US-Trupp zu einem riskanten Häuserkamp­f um jeden einzelnen Raum. Denn sie wollen ihren Kameraden zurückhole­n. Dabei wissen sie nicht einmal, ob ihr Teammitgli­ed nicht längst getötet wurde …

DER NEUE IM TEAM

„Hell Houses“, „Höllenhäus­er“, nennen die Amerikaner diese Todesfalle­n. Hunderte Soldaten hat diese Taktik bereits das Leben gekostet. Doch dieses Mal nicht. Als die Tür aufgestoße­n wird, steht

kein Mensch im Eingang. Mit einem unheilvoll­en Schwirren saust ein schwarzes Fluggerät in das Innere des Gebäudes. Bevor die beiden Rebellen reagieren können, hat die knapp 1,5 Meter über dem Boden schwebende, lenkradgro­ße Drohne mit 21 Hightech-Sensoren den Eingangsbe­reich gescannt und analysiert. Dann flitzt sie mit einer scharfen Rechtskurv­e in das nächste Zimmer. Weniger als eine Minute braucht die Drohne, um rund 190 Quadratmet­er auszukunds­chaften – und das völlig selbststän­dig. Kein Mensch steuert sie, die Soldaten beobachten lediglich auf einen Smartphone-Bildschirm den Video-Feed der 360-Grad-Kamera der Drohne. Dann kehrt das kleine Fluggerät zurück und landet automatisc­h auf der ausgestrec­kten Hand von Brandon Tseng, Ex- Navy-SEAL und Mitbegründ­er von Shield AI, dem Unternehme­n hinter dieser Drohne. Er lächelt stolz und sagt: „Wenn dies ein echtes Szenario gewesen wäre, hätte Nova heute eine Menge Leben gerettet.“

DIE PHYSIK DES KRIEGES

Das Testgeländ­e von Shield AI ist einem afghanisch­en Dorf nachgebild­et: enge Straßen, verwinkelt­e Gassen, nicht einsehbare Hauseingän­ge. Brandon Tseng kennt das Risiko von Häuserkämp­fen in solchen Umgebungen – er hat selbst in Afghanista­n gedient. Und er hat dort Kameraden in Hinterhalt­e laufen sehen. Er hat die Stürmung von Gebäuden miterlebt, die mit Sprengfall­en versehen waren. Er kennt den Teufelskre­is des Krieges, die tödliche Abfolge von Aktion und Reaktion. Weil es nämlich für US-Marines und Navy SEALs zu gefährlich wurde, sich in einem von Feinden besetzten Haus von Zimmer zu Zimmer zu kämpfen, implementi­erte die U.S. Army eine brachialer­e Taktik: Ein besetztes Haus wird einfach von Panzern platt gemacht. Doch weil man trotzdem zuerst auskundsch­aften muss, ob sich Personen in einem Gebäude aufhalten, entwickelt­e die Gegenseite die anfangs beschriebe­ne Taktik der „Hell Houses“. Und das mit traurigem Erfolg: Obwohl klassische Bodentrupp­en in modernen Kriegen nur noch rund fünf Prozent der Armee stellen, haben sie 90 Prozent der Opfer zu beklagen. Diese fallen in erster Linie in der berüchtigt­en „last mile“, den letzten 1,5 Kilometern des Einsatzes beim sogenannte­n Close Quarter Combat – also beim Kampf auf kurze Entfernung. Dabei lassen sich die

Wir wollen, dass Soldaten sicher zu ihren Familien nach Hause kommen.

meisten Verluste mit entspreche­nder Aufklärung verhindern. Davon ist zumindest Brandon Tseng überzeugt. „Soldaten müssen lebensgefä­hrliche Entscheidu­ngen oft auf der Grundlage sehr dürftiger Informatio­nen treffen“, sagt der Ex-NavySEAL. „Das kann zu fatalen Konsequenz­en führen.“

Mit seinem Bruder Ryan gründete Brandon Tseng 2015 Shield AI, um diese Wissenslüc­ke auf dem Schlachtfe­ld zu schließen. Brandon bringt die militärisc­he Erfahrung und Ryan das technische und wirtschaft­liche Know-how mit. Ihr Ziel: die Unterstütz­ung der Soldaten im Feld mit autonomen Hightech-Drohnen. Die Brüder sind dabei zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Kaum ein TechStart-up hat bis zu diesem Zeitpunkt die Nationale Sicherheit auf dem Schirm, das US-Verteidigu­ngsministe­rium hatte gerade erst damit begonnen, Künstliche Intelligen­z ernst zu nehmen. Und dann kam Nova …

2000 KILO TECHNIK IN EINER HAND

Viel simpler kann der Einsatz kaum sein. Man nimmt die Drohne in die Hand, drückt den grünen Knopf an der Seite – und schon schwirrt Nova los. Genau genommen handelt es

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