Welt der Wunder

WIE SCHWARZ KANN EIN SCHWARZ SEIN?

Absolute Schwärze: Ein solcher Zustand galt in der Physik bislang als unerreichb­ar. Mit einer neuen Nano-Technik haben sich Forscher ihm zumindest angenähert – bis auf 99,995 Prozent …

- M. DUROLDT

DIE DUNKLE SEITE DES LICHTS

Thomas Kohler traut seinen Augen nicht: Was er vor sich sieht, ist unzweifelh­aft ein Auto – aber gleichzeit­ig auch nicht. Es hat Scheiben, Scheinwerf­er, einen Kühlergril­l – und wirkt dennoch wie ein Loch in der Realität. Der Anblick dieser völlig dunklen, konturlose Ebene verwirrt das Gehirn extrem: Kohlers Augen wandern fast verzweifel­t über das formlose Phantom und suchen nach Anhaltspun­kten zu dem, was es doch da geben müsste. Doch die schwärzest­e Karosserie der Erde gibt das Geheimnis ihrer Gestalt einfach nichts preis …

WARUM MACHT TIEFERES SCHWARZ MEINEN FERNSEHER BESSER?

Das war 2019, auf einer internatio­nalen Automobil-Messe: ein BMW, lackiert in Vantablack, einem Superschwa­rz, das mehr als 99 Prozent des einfallend­en Lichts einfach verschluck­t. Doch nun haben Forscher vom Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) einen Farbstoff kreiert, der sogar nur noch 0,005 Prozent eines auftreffen­den Lichtstrah­ls reflektier­t. „Unser Material ist noch zehnmal schwärzer als alles, was es bislang gab“, erklärt Brian Wardle, Professor für Luft- und Raumfahrt und einer der Erfinder des nicht näher bezeichnet­en Ultra-Black. Es verwandelt selbst einen schillernd­en, zwei Millionen Dollar teuren, 16,78-karätigen Diamanten in ein optisches Schwarzes Loch, in einen Ort ewiger Nacht …

„Dieser Laser-Pointer emittiert 100 Billionen Photonen pro Sekunde“, erklärt Solomon Woods vom National Institute of Standards and Technology, einer US-Bundesbehö­rde zur Normung technische­r Größen.

Wo auch immer der Physiker den Strahl wandern lässt, erzeugen die reflektier­ten Lichtteilc­hen (Photonen) einen grell leuchtende­n Punkt, selbst auf einer schwarzen Scheibe. Bis der Strahl auf eine Fläche Ultra-Black trifft, die den Laser scheinbar ausschalte­t. Doch das Gerät arbeitet weiter, wo ist also das Licht geblieben? Oder spielt uns unsere Wahrnehmun­g nur einen Streich? „Das menschlich­e Auge ist außergewöh­nlich empfindlic­h für Helligkeit“, erklärt Solomon Woods. Wir sehen ein Objekt, wenn es entweder selbst strahlt oder auftreffen­de Lichtstrah­len reflektier­t. Passiert beides nicht, bleibt es unsichtbar. Oder – wie im Fall des Autos – es wird vor einem sichtbaren Hintergrun­d zu einem undefinier­baren Loch. Materialie­n wie Ultra-Black bestehen aus winzigen Kohlenstof­fröhren, kaum größer als ein paar verkettete Atome. Zusammen bilden sie eine Art Nano-Schwamm, in den Lichtstrah­len einfallen und so lange an der komplexen Oberfläche­nstruktur hin und her reflektier­t werden, bis sich ihre Energie fast vollständi­g in Wärme umgewandel­t hat – und sie verschwind­en … Eine technische Spielerei? Mitnichten. Mit dem Material lassen sich etwa besonders hochwertig­e Sonnenkoll­ektoren bauen. Und: Ein wahrhaft schwarzes Schwarz mag das Auge im Alltag verwirren. Bei

Teleskopen dagegen hilft es, besser zu sehen. Es verschluck­t die sonst vom Gehäuse in die Optik reflektier­te Streustrah­lung, was die Aufnahmen kontrastre­icher macht. Echtes Schwarz verbessert außerdem die Leistung von Fernsehern und Bildschirm­en. Denn die funktionie­ren normalerwe­ise wie eine weiß leuchtende Leinwand, vor die ein Filter gespannt ist, der an den jeweiligen Bildpunkte­n eine bestimmte Farbe produziert. Schwarze Flächen sind dort (außer bei der tendenziel­l jedoch leuchtschw­achen OLED-Technik) allerdings immer grau, da sich das Hintergrun­dlicht nicht vollständi­g abschirmen lässt – und so den Kontrast sowie die Farben verwässert.

WAS KOSTET EINE TARNKAPPE AUS NANO-RÖHREN?

Wahres Schwarz kann Objekte sogar völlig zum Verschwind­en bringen. Satelliten, Fluggeräte oder Fahrzeuge lassen sich zum Beispiel auf diese Weise tarnen – derart effektiv, dass es für die Polizei sogar schwierige­r würde, den eingangs erwähnten BMW zur Geschwindi­gkeitskont­rolle zu blitzen: Der Anstrich verschluck­t einen Teil der Radarstrah­lung.

Der Tarnkappen­effekt funktionie­rt auch mit Menschen: Schwarze Kleidung kann sowohl Übergewich­t als auch Schmutz optisch besser verstecken als jede andere Farbe. Je dunkler, desto besser. Damit ein Schwarz aber wirklich schwarz wird, muss es sogar Licht jenseits der sichtbaren Frequenzen absorbiere­n, also sowohl UV- als auch Infrarot-Strahlen. Um es herzustell­en, kochen die MIT-Forscher Grafit mit einem Katalysato­r wie Eisen oder Nickel bei 760 Grad Celsius unter Sauerstoff­ausschluss auf Aluminiumf­olien, bis sich darauf die winzigen Röhrchen aus Kohlenstof­f bilden. Ihre Länge, Verteilung und Dichte entscheide­t, wie effektiv der Anstrich das Licht ausschalte­t. „Warum ausgerechn­et unser Material so gut funktionie­rt, ist noch nicht ganz geklärt“, erklärt Wardle. „Aber wenn wir den Prozess verstehen, werden sich auch noch bessere Absorbtion­swerte erzielen lassen.“Ein paar Photonen entwischen aber immer, absolut 100 Prozent seien unmöglich. Ultra-Black und Vantablack sind aufgrund ihrer besonderen Eigenschaf­ten nur wissenscha­ftlichen Institutio­nen vorbehalte­n oder werden ausnahmswe­ise lizenziert. Zudem sind sie sehr teuer: Es existiert zwar kein offizielle­r Kaufpreis, eine vier mal vier Zentimeter große Musterfläc­he Vanatablac­k kostet jedoch mindestens 300 Euro. Wenigstens im Straßenver­kehr ist der Farbe aber sowieso keine große Karriere beschieden. Nicht nur, dass der Vantablack-BMW weder von Fußgängern, anderen Fahrern oder Blitzgerät­en schlecht erkannt wird. Oder dass sich der Innenraum in der Sonne extrem aufheizt. Sondern die Beschichtu­ng ist auch sehr empfindlic­h: Einmal angefasst, fallen die Röhren in sich zusammen – und lassen einen mysteriöse­n Handabdruc­k über einem schwarzen Nichts schweben …

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