Das geheime Wissen der FEUER-FO RENSIKER
Wie wird aus einer Ruine ein Tatort? Welche Hinweise verstecken sich im Schutt? Und wie entdeckt man eine unsichtbare Tatwaffe? In wdw verraten Brandursachenermittler, welche Spuren selbst das größte Inferno nicht verwischen kann …
s dauert exakt drei Minuten, bis die Feuerwehr nach dem Notruf am Brandort eintrifft – und doch kommt sie zu spät. Roman K.* wird sich dafür verantworten müssen, dass er neun Menschenleben auf dem Gewissen hat. So viel steht nach den ersten Vernehmungen fest. Der 55-Jährige gibt zu, in der Nacht des Brandes in dem Halberstädter Obdachlosenwohnheim getrunken und geraucht zu haben und schließlich eingeschlafen zu sein. Wo er seine Zigaretten entsorgt habe? Im Mülleimer neben seinem Sessel, erklärt der Tatverdächtige, der sich im letzten Moment aus dem Inferno retten konnte. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall klar – für Brandursachenermittler Ralf Staufenbiel jedoch noch lange nicht ...
*Name von der Redaktion geändert
KANN EIN ZIGARETTENSTUMMEL EINEN UNSCHULDIGEN VOR DEM GEFÄNGNIS RETTEN?
Der Feuer-Forensiker untersucht am nächsten Tag das Zimmer von Roman K. – beziehungsweise das, was davon übrig ist – als vermeintlichen Tatort. Dabei macht er eine auf den ersten Blick belanglose Entdeckung, die dem Fall jedoch eine komplett neue Wendung gibt: Am Boden des bis auf den Federkern vollständig abgebrannten Sessels liegen Zigarettenstummel, winzige gelbe Kunststoff-Überreste in der schwarzen Asche. Auch rote Plastikfragmente vom Mülleimer sind zu erkennen. Für den erfahrenen Forensiker Staufenbiel ist klar: Der Brandausbruchsort kann unmöglich hier gewesen sein.
Wäre dem so, würden durch die extreme und andauernde Hitze von bis zu 800 Grad Celsius keine Spuren von Zigaretten oder Plastik mehr auffindbar sein.
Der Brandursachenermittler schaut sich daraufhin die Außenwände der Wohncontainer genauer an – und entdeckt an der Rückseite des Obdachlosenheims ein verdächtiges Brandmuster. Er begutachtet die Innenseite des Containers – und findet genau an der Stelle die Überreste eines verbrannten Fernsehers. Um sicherzugehen, dass dieser Ort die Zündquelle war, wird daraufhin der komplette Container von den Forensikern nachgebaut und der Brand rekonstruiert. Das Ergebnis: Es war tatsächlich ein technischer Defekt am Fernseher – und nicht die Zigarette von Roman K. – der das Feuer auslöste und neun Menschen das Leben kostete.
Das tödliche Inferno im Halberstädter Obdachlosenheim im Jahre 2005 ist einer der spektakulärsten Fälle in der Geschichte der Brandursachenermittlung. Diese hat ihren Ursprung in den 1920er-Jahren, als erstmals naturwissenschaftliche und ingenieurtechnische Analysen in die kriminalistische Vorgehensweise bei Bränden eingebunden wurden. In Deutschland wurden später besonders
„Unsere Aufgabe ist es, die Geschichte des Brandes nachzuerzählen. Wir stehen quasi am Ende des Buches ...“Harald Klingenberg, Brandursachenermittler
in der damaligen DDR Brandschutz(ursachen)ermittler bei der Feuerwehr ausgebildet – und nach der Wiedervereinigung teilweise bei der Polizei angestellt. Andere Feuer-Forensiker machten sich selbstständig. Mit dem rapiden technischen Fortschritt in den 1990er-Jahren (Computersimulationen von Bränden, chemische Analysen etc.) wurde die Brandursachenermittlung immer weiter professionalisiert. Heute weiß man: Jedes Feuer hat seinen ganz eigenen Fingerabdruck und hinterlässt charakteristische Spuren, die mehr über den Ursprung der Flammen erzählen können als menschliche Zeugen. Aber welche Spuren sind das? Was kann ein Haufen Schutt und Asche über die Chronologie eines Feuers verraten? Wie wird aus einem vermeintlichen Unfall ein Verbrechen?
DIE DREI URSACHEN EINES BRANDES
Fast 400 Menschen sterben im Schnitt pro Jahr in Deutschland durch Brände. Weltweit sind es sogar 150 000 Opfer – mehr als durch alle Naturkatastrophen zusammen. „Für einen Haus- oder Wohnungsbrand gibt es grundsätzlich drei verschiedene Ursachen: einen technischen Defekt, menschliches Versagen – oder Brandstiftung. Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, welche dieser drei Optionen für das Feuer verantwortlich war“, erklärt Brandursachenermittler Harald Klingenberg.
Die Statistik zeigt: In den meisten Fällen ist es ein Unfall – doch nicht immer wird ein Feuer durch einen Kurzschluss, einen Kabelbrand, oder eine Zigarette ausgelöst. Tatsächlich erfassten die Behörden allein im Jahr 2019 19 000 Fälle von Brandstiftung. Das Problem, das selbst viele Kriminalbeamte zudem übersehen: „Selbst technische Defekte können inszeniert oder manipuliert sein und sich im Nachhinein als Brandstiftung herausstellen“, erklärt Klingenberg, der seit 1982 als Brandursachenermittler arbeitet, sich vor zwölf Jahren selbstständig gemacht und Hunderte Fälle von Brandstiftung analysiert hat. Tatsächlich werden, sobald auch nur der geringste Verdacht auf das Kapitalverbrechen Brandstiftung besteht, von der Polizei oder von der Versicherung Brandursachenermittler
hinzugezogen. Sie gelten als Archäologen der Forensik. „Unsere Aufgabe ist es, die Geschichte des Brandes nachzuerzählen. Wir stehen quasi am Ende des Buches – und sehen nur die Folgen. Anhand dieses Bildes müssen wir nach den Ursachen suchen – und auf jedes noch so kleine Detail achten“, erklärt Klingenberg. „Nach dem Eintreffen am Tatort arbeiten wir daher eine ganze Matrix von Brandursachen ab. Wir erstellen verschiedene Brandversionen, vergleichen sie mit den sogenannten Anknüpfungstatsachen, also Zeugenaussagen und Schadensbildern, und nähern uns so der Brandursache. Der Zustand der technische Geräte (siehe dazu auch Tabelle: „Die 7 gefährlichsten Brandquellen im Haushalt“), Einbrandspuren am Boden, Ablaufspuren von Flüssigkeiten, Tür - und Fensterstellungen
– alles wird überprüft.“Ausgerüstet mit Schaufeln, Kameras, Gasmasken (auch Tage nach einem Brand treten noch giftige Gase aus der Asche aus), Foto-Ionisationsdetektoren, die selbst kleinste Rückstände von Brandbeschleunigern registrieren, sowie mit Drohnen, die aus der Luft ein Lagebild von der Brandausbreitung geben, 3-D-Dokumentationen- bzw. -Aufnahmen machen sich die Feuer-Forensiker am „Tatort“auf die Suche nach der Zündquelle beziehungsweise dem Brandherd. Dabei lautet die Faustregel: Wo das Haus oder die Wohnung am schwersten beschädigt ist, dort hat es am längsten gebrannt. „Gleichzeitig müssen wir drei Faktoren überprüfen: die Brandlast, das Sauerstoffangebot und die Strömungsverhältnisse. Das bedeutet, wir müssen heraus
finden, was gebrannt hat – und welches Sauerstoffangebot beim Brand herrschte. Ein Stapel abgebranntes Altpapier brennt beispielsweise wesentlich länger als die gleiche Menge Spiritus. Ein offenes Fenster sorgt ununterbrochen für Nachschub an Sauerstoff, führt zu einem Kamineffekt und heizt den Brand weiter an. All diese chemischen und physikalischen Faktoren müssen wir bei der Tatortbegehung im Kopf haben – denn sie können Spuren verfälschen“, sagt Klingenberg. Sind die Brandbedingungen geklärt, geht es schließlich ins Detail …
EIN HAUS, EIN TROPFEN – 220 MILLIONEN SENSOREN?
Wie sieht das Rußmuster an den Türen und Wänden aus? In welchem Zustand sind die Kabel und Leitungen (bei einem technischen Defekt müssten sie Auffälligkeiten wie Schmelzspuren aufweisen)? Welches Material ist wo im Haus wie schnell geschmolzen? Gibt es eine zweite Brandausbruchsstelle (starkes Indiz für Brandstiftung)? Jeder Quadratzentimeter am Tatort kann einen entscheidenden Hinweis zur Brandursache
liefern. Dabei dürfen sich die Brandursachenermittler keinen Fehler erlauben, keinen noch so winzigen Hinweis übersehen. Schließlich kann ihr Urteil wie im Fall von Ralf Staufenbiel entscheiden, ob jemand unschuldig verurteilt wird und lebenslang ins Gefängnis muss.
Immer häufiger werden bei der Brandursachenermittlung neben den Laboranalysen, in denen Schutt, Asche und verbranntes Mobiliar auf die Rückstände von Brandbeschleunigern untersucht wird, zudem auch sogenannte Brandmittelspürhunde hinzugezogen. Ausgestattet mit 220 Millionen Riechzellen in der Nase (zum Vergleich: Der Mensch hat gerade einmal 6 Millionen), sind diese speziell ausgebildeten Vierbeiner in der Lage, in einem Gebäude, das nur an einer einzigen Stelle einen Tropfen Brandbeschleuniger enthält, diesen aufzuspüren.
Folge: Selbst wenn scheinbar alle Spuren vernichtet sind, finden die Forensiker in zwei Drittel der Fälle die Zündquelle am Tatort. „Selbst wenn es schon vor Tagen erloschen ist und scheinbar alles zerstört hat – jedes Feuer hinterlässt Spuren“, erklärt Harald Klingenberg. Man muss sie nur lesen können…
„Die Frage ist nicht nur: Wo hat es gebrannt? Sondern auch: Was hat gebrannt?“Harald Klingenberg, Brandursachenermittler