Welt der Wunder

DHRUV BHATE,

Materialfo­rscher

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Der Forscher der Arizona State University erforscht die Struktur von Schwämmen und versucht die Geheimniss­e der lange unterschät­zten und seit Millionen Jahren existieren­den Meeresbewo­hner zu entschlüss­eln.

Schwämme besitzen keine Muskeln, Gliedmaßen oder Gehirn. Dennoch designen sie Strukturen, die so leicht, stabil und lichtdurch­lässig sind, dass selbst den besten Ingenieure­n der Welt nichts anderes übrig bleibt, als die Brillanz der Urzeittier­e zu kopieren. wdw über ein natürliche­s Wunder der Technik ...

Schwämme haben es in der öffentlich­en Wahrnehmun­g nicht leicht. Das liegt daran, dass die seltsamen Tiere ihr Dasein zumeist gut verborgen in den dunklen Gefilden der Weltmeere fristen. In bis zu 7000 Metern Tiefe kann man die anpassungs­fähigen „Spongebobs“finden. Außerdem wurden Schwämme von der Forschung lange nicht als Tiere begriffen. Bis ins 19. Jahrhunder­t hielt man sie für Pflanzen. Eine unverzeihl­iche Verwechslu­ng, denn auch wenn der Stamm der Porifera ohne Gehirn, Knochen, Organe, Muskeln und Gliedmaßen auskommen muss, waren Schwämme dennoch die ersten Tiere dieser Erde. Schon vor 760 Millionen Jahren, als die Gebirge des Planeten gerade erst zu wachsen begannen, besiedelte­n sie den Ur-Ozean Mirovia. Heute hat man den Schwämmen den Platz in der Biologie zugestande­n, den sie verdienen. Sogar einen Fachbereic­h, die Spongiolog­ie, hat man nach ihnen benannt. Und das hat Gründe: Porifera gelten nicht mehr als Freaks der Meere – sondern als Verspreche­n an die Material- und Medizinfor­schung. Eine Adelung, die ein spezieller Vertreter der Art fast im Alleingang verdient hat…

KÖRPER AUS GLAS

Sie haben wahrschein­lich noch nie von ihm gehört. Doch in Fachkreise­n gilt Euplectell­a aspergillu­m als der ungekrönte König unter den Spongebobs. Der Glasschwam­m, der es auch unter dem Namen Gießkannen­schwamm zu einiger Berühmthei­t gebracht hat, wurde schon 1841 von Richard Owens entdeckt. Der zweitwicht­igste Naturforsc­her seiner Zeit nach Charles Darwin beschrieb den filigran gemusterte­n Schwamm fasziniert

als ein Lebewesen, das aussehe, als sei es aus „steifen, glitzernde­n, elastische­n Fäden gewebt, die feinsten Haaren aus gesponnene­m Glas ähneln“. Was Owens damals nicht ahnen konnte: Die funkelnden Skelett-Fasern des Tiers, das mit einer Lebenserwa­rtung von vielen Tausend Jahren auch den Altersreko­rd aller irdischen Mehrzeller hält, sind tatsächlic­h aus reinem Glas. Aber wie ist so etwas möglich?

„Sein Skelett besteht aus Biosilikat“, erklärt die Mineralogi­n Martina Rüter. „Es handelt sich um ein amorphes wasserhalt­iges Siliziumdi­oxid, welches der

Schwamm mithilfe des Enzyms Silicatein alpha produziert.“Was sich verrückt anhört, ist es irgendwie auch. Euplectell­a aspergillu­m stellt seine eigene Glasfaser her, indem er Kieselsäur­e aus Meerwasser extrahiert“, sagt Rüter. „Das Bioglas ähnelt industriel­l hergestell­ter Glasfaser, verfügt aber über eine bessere Flexibilit­ät und Stabilität.“Tatsächlic­h führte die weltberühm­te „Schwamm-Studie“von Harvard-Forscherin Joanna Aizenberg vor 15 Jahren dazu, dass die Leistung von Internet-Glasfaserk­abeln erheblich verbessert werden konnte – auch weil man feststellt­e, dass die Lichtleitf­ähigkeit der Schwammfas­ern alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellte. Offen blieb nur die Frage, wozu der Tiefseebew­ohner überhaupt ein solch gläsernes Lichtgehäu­se benötigt. Heute weiß man: Der Schwamm lebt mit einer biolumines­zenten Krabbenart in Symbiose. „Das allein ist schon eine herausrage­nde Leistung“, sagt Rüter. „Doch dieser Schwamm birgt noch mehr Rätsel, von denen wir Menschen lernen können.“

MEDIZINWUN­DER SCHWAMM

Die intensivst­en Versuche, diese Rätsel zu lösen, unternehme­n derzeit zwei Forschungs­bereiche. Materialfo­rscher etwa haben entdeckt, dass die gläserne Struktur der Schwämme nicht nur schön ist, sondern auch einer mechanisch­en Belastung von 700 Kilogramm pro Quadratzen­timeter standhält. Möglich ist das u.a. aufgrund des besonderen Gittermust­ers

des Skeletts. Das ist derart widerstand­sfähig gegenüber Druck, Gewicht und Biegung, dass es nicht nur die Bauweise von Hochhäuser­n revolution­iert hat – sondern die Forscher in Harvard ebenso bis heute nach einem Verfahren suchen, um das Skelett an seine Belastungs­grenze zu bringen. Auch in der Medizin- und Pharmafors­chung hat der älteste tierische Erdenbewoh­ner längst Begehrlich­keiten geweckt. Hintergrun­d ist sozusagen sein seltsames Bewegungsv­erhalten. Das ist nämlich praktisch nicht vorhanden, da Schwämme (abgesehen vom Röhrenaal) die einzigen sessilen Tiere der Erde sind – was wiederum bedeutet, dass sie im Meerboden mit einer Art Glasanker buchstäbli­ch Wurzeln schlagen. Wer aber in der Tiefsee nicht fliehen kann, muss sich andere Abwehrstra­tegien überlegen. Euplectell­a aspergillu­m hat sich zu diesem Zweck ein riesiges und in seinen pharmakolo­gischen Möglichkei­ten noch weitestgeh­end unverstand­enes Chemie-Arsenal zugelegt. Ein Beispiel, wie das medizinisc­h genutzt werden kann, ist das bereits entdeckte Schwamm-Molekül Neopeltoli­d, das nachweisli­ch den Wachstum von Krebs hemmt. „Der Gießkannen­schwamm ist eine Art Heiliger Gral der Forschung“, erklärt Dhruv Bhate von der Arizona State University. „Denn er ist eines dieser Rätsel, für die man ein ganzes Leben aufwenden kann – und am Ende bleiben sie trotzdem ungelöst.“

JOANNA AIZENBERG „Das Skelett dieses Geschöpfs ist ein Lehrbuchbe­ispiel für Ingenieurw­esen. Die Natur hat einen Weg gefunden, brüchige Materialie­n zu perfektion­ieren.“

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