Warum das Schnabeltier das WASSER LIEBT
Schwimmen ist die Lieblings-Fortbewegungsart des Schnabeltiers: An Land verbraucht das Umherrobben auf den kurzen Beinchen 30 Prozent mehr Energie, als ein ähnlich großes Säugetier mit kräftigeren Beinen aufbringt. Und gegen den Temperaturverlust im Wasser ist das Schnabeltier bestens gewappnet: Seine 32 Grad Körpertemperatur hält es selbst unter extremsten Bedingungen. Der Trick: Erstens können Schnabeltiere ihren Grundumsatz massiv reduzieren; zweitens ist ihr Fell ein wahres Thermo-Wunder. Der Pelz von Eisbären verliert im Wasser bis zu 96 Prozent seiner isolierenden Wirkung – beim Schnabeltier sind es maximal 60 Prozent.
Winston vertilgt jeden Tag 700 Würmer – und braucht dafür die Unterstützung des britischen Volkes. Wer also reichlich Würmer sammelt und sicher verwahrt in einem Glas nach London schickt, tut ein gutes Werk – für Winston, das Land, die Krone.“Ein Aufruf, so oder so ähnlich formuliert, soll 1943 die Menschen im Königreich mobilisieren. Mitten im Zweiten Weltkrieg sind die Briten aufgerufen, einem höchst ungewöhnlichen Gast vom anderen Ende der Welt ein warmes Willkommen zu bereiten – auf dem Papier ist dieser Plan zumindest bereits bis ins Kleinste ausgearbeitet.
Doch bis Winston tatsächlich auf dem bis an die Zähne bewaffneten Kriegsschiff „MV Port Philipp“eintrifft, bleibt die „Operation Platypus“top secret. Besonders in der Downing Street Nr. 10 wartet ein Mann gespannt auf den Gast: Premierminister Winston Churchill hatte seinen Amtskollegen in Australien telegrafiert, dass er gern ein Schnabeltier für seinen kleinen Privatzoo hätte. Bis dato hatte keines dieser Tiere englischen Boden betreten. Ursprünglich will der Premierminister erst sechs Schnabeltiere, die Australier, die die Ausfuhr von Schnabeltieren eigentlich gesetzlich verboten haben, bewilligen ihm nur eines und benennen es gleich nach ihm. Winston erhält ein aufwendig eingerichtetes Terrarium samt persönlichem
Pfleger. Aber ach: Fünf Tage, bevor sie Liverpool erreicht, wird die „Port Philipp“von einem deutschen U-Boot beschossen. Das Schiff übersteht den Angriff, Winston nicht. Woran das Schnabeltier gestorben ist, bleibt lange ein Rätsel. Sicher aber ist: Winston ist der Erste und Einzige seiner Art, der infolge von Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg sein Leben lassen muss.
170 MILLIONEN JAHRE ALTES LEBENDES FOSSIL
Apropos „Einziger seiner Art“: Bei Schnabeltieren reden wir immerhin von 170 Millionen Jahren Erdgeschichte, die Ornithorhynchus anatinus oder Platypus, wie er auf Englisch heißt, in genau der Form, in der wir ihn heute kennen, auf dem pelzigen Buckel hat. Noch bevor Dinosaurier die Vegetation platttreten, paddelt das Schnabeltier schon durchs Süßwasser. Im Laufe seiner Entwicklung hat sich das Tier allerhand nützliche Eigenschaften aus der Welt der Reptilien, Vögel und Säugetiere nach dem Motto „Man weiß ja nie, wozu man das braucht“angeeignet – und, was noch viel wichtiger ist, auch bewahrt. Schließlich hat es zu keinem Zeitalter jemals ein anderes Tier aus seinem Bereich verdrängt, sodass das Schnabeltier eine bestimmte Sinnesleistung zugunsten eines neuen Lebensraumes hat aufgeben müssen. Und genau das macht es so einzigartig: Als Ursäuger klassifizieren Zoologen das Schnabeltier in die Ordnung der sogenannten Kloakentiere, zu der nur noch der nicht minder eigentümliche Ameisenigel gehört. Beide Tiere leben in Australien, beide sind eierlegende Säugetiere. Der Ameisenigel kann sich jedoch bei Gefahr in einen Stachelball verwandeln und seine Eier in einem praktischen Beutel ausbrüten. Doch Kollege Schnabeltier wirft bereits rein genetisch grundsätzliche Fragen zu den Mechanismen der Natur auf: Eine komplette Gen-Se
„Glaubt jemand nur seinem eigenen Verstande, könnte er ausrufen: Gewiss müssen hier zwei verschiedene Schöpfer am Werk gewesen sein.“
Charles Darwin begegnet einem Schnabeltier während einer Reise durch Australien im Jahr 1836
quenzierung bei einem Schnabeltierweibchen namens Glennie hat vor einigen Jahren ergeben: Es besitzt zehn Geschlechtschromosomen. Zehn! Zur Erinnerung: Die meisten anderen Säugetiere inklusive Mensch haben zwei. Bei uns entscheiden X- und Y-Chromosom über männliche oder weibliche Nachkommen. Beim Schnabeltier weisen Männchen 5 X- und 5 Y-Chromosomen auf, Weibchen erkennt man an 10 X-Chromosomen. Was bei uns und bei den meisten anderen Säugetieren über die Jahrmillionen durch Mutationen verloren gegangen ist, erweist sich beim Schnabeltier-Genom als Geschichtsbuch der Evolution, enthält es doch das Erbgut aller drei Unterarten der Säugetiere: das der Ursäuger, das der Beutelsäuger wie des Kängurus und das der höheren Säuger wie des Menschen. Und mehrere Geschlechtschromosomen-Paare finden sich übrigens auch bei Vögeln. Um den Zoo, der in diesem einen Tier steckt, noch zu komplettieren: Richtig wehrhaft macht das
Schnabeltier seine Reptil-Seite. Das männliche Schnabeltier ist eines der wenigen Säugetiere, die Gift ähnlich wie eine Schlange produzieren, und verteilt dies mithilfe zweier Stacheln an den Hinterbeinen an Angreifer (meist rivalisierende Männchen). Die Wirkung dieses Toxins hat sich im Laufe der Evolution nicht etwa gnädig in Richtung „Harmlos“neutralisiert: Schon 0,05 Milliliter reichen aus, um bei Menschen sofortige grausame Schmerzen auszulösen – und Schwellungen, die über Monate anhalten.
Hunde sollen unbedarfte Angriffe auf das Schnabeltier häufig mit dem Leben bezahlen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen, ist eine weitere Flüssigkeit, die Schnabeltierweibchen produzieren: die Milch. Die geben sie nicht aus Zitzen, sondern aus Drüsen über das Fell an ihre gerade aus dem Ei geschlüpften Jungen weiter. Das birgt hygienische Risiken, da sich im Fell, an dem die Jungtiere saugen, Bakterien sammeln können. Aus diesem Grund ist die Schnabeltiermilch mit einer antibakteriellen Substanz angereichert, die Forschern in dieser Zusammensetzung bislang unbekannt war – und die eine vielversprechende Alternative zu bisherigen Antibiotika abgeben könnte. Während Forscher also fieberhaft daran arbeiten, dass Schnabeltiere irgendwann Menschenleben retten, sind Nacht für Nacht die Tage unzähliger Shrimps, Krabben und Würmer gezählt: Beim Tauchen in dunklen Gewässern weisen dem Schnabeltier nicht etwa die Augen, die es ohnehin geschlossen hält, den Weg zum Essen.
WENN DER SCHNABEL DIE AUGEN ERSETZT
Im ledrigen Schnabel verbergen sich 40 000 hochempfindliche ElektroRezeptoren. Bewegt der winzigste Shrimp einen Muskel – das Schnabeltier erfasst die so erzeugten elektrischen Impulse, paddelt sofort heran, umfasst die Beute mit dem Schnabel und zermahlt sie zwischen den Hornplatten, die es dort anstelle von Zähnen hat. Und während es so auf seine Beute zuschwimmt, erstellt es mithilfe von 60 000 Bewegungssensoren, die ebenfalls im Schnabel sitzen, im Kopf eine exakte Karte seiner Umgebung, um nicht mit einer der allgegenwärtigen Baumwurzeln im trüben Wasser zu kollidieren. Diese Form der elektrischen Orientierung kennt man etwa von Haien. Bei Säugetieren beherrscht diese Kunst einzig – man kann es sich denken – das Schnabeltier. Heute nimmt man an, dass gerade diese geniale Fähigkeit dem weit gereisten Winston im Jahr 1943 zum Verhängnis geworden ist: Möglicherweise waren die sonarund radargesteuerten Verteidigungsanlagen des Schiffes, die beim Angriff des UBoots aktiviert wurden, zu viel für Winstons hochempfindlichen Elektrosinn. Daran konnten in diesem Fall auch 170 Millionen Jahre Erfolgsgeschichte nichts ändern …